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Ukrainekrieg offenbart in Polen historische Doppelzüngigkeit

Ein Dokumentarfilm kratzt am Narrativ eines Aufstandes der Oberschlesier vor 100 Jahren

Chris W. Wagner
26.05.2022

„Plebiszit mit Folgen. Das turbulente Jahr 1921 in Oberschlesien“, heißt ein Film, der dieser Tage Premiere hatte und den der Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen (VdG) in Auftrag gegeben hat. Dass die Produktion ein Jahr nach dem 100. Gedenkjahr der Volksabstimmung in Oberschlesien erschien, ist dem Film eher zugutegekommen. Außerhalb des Trubels von Staatsakten, die sich im rot-weißem Meer polnischer Fahnen abspielten, kam die Premiere im Museum des Oppelner Landes (Muzeum Śląska Opolskiego) an einem Montag um 14 Uhr leise daher. Dennoch verbreitete sich der Film umso schneller und lauter in den elek-tronischen Medien.

Der Film fängt mit der Szene eines Dialoges zwischen Mutter und Tochter an. Die Mutter beweint ihre gefallenen Söhne, die Tochter bangt um ihren Ehemann, der gegen die Polen kämpft. Zudem erschwert die mitten im Dorf gezogene Grenze ihr Leben. Die junge Frau muss mehrmals täglich über die Grenze, um ihre Kühe zu melken und das Feld zu bestellen. Solche Bilder haben in Zeiten des Krieges in Osteuropa eine besonders starke Aussage.

„Angesichts des Krieges im Osten, den wir einhellig verurteilen, wirkt die Verherrlichung einer militärischen Lösung als Reaktion auf die friedliche Volksabstimmung wie eine Doppelzüngigkeit“, so Bernard Gaida, Vorsitzender des VdG. Er spielt dabei auf die Ereignisse nach dem Plebiszit an, den sogenannten Dritten Polnischen Aufstand, der wie der Kattowitzer Historiker Ryszard Kaczmarek im Film sagt, „nicht als Aufstand, sondern als militärischer Einsatz der polnischen Armee geplant war“, der eine Grenzverschiebung erzwingen sollte. „Dieser Aufstand wurde militärisch mit vollem Einverständnis des polnischen Verteidigungsministeriums und des polnischen Regierungschefs Wincenty Witos konspirativ vorbereitet“, unterstreicht Kaczmarek.

Diese Sicht widerspricht der in Polen gängigen Erzählung von der nationalen Auflehnung der Oberschlesier gegen die Deutschen. Gaida nennt es: „angeordnetes historisches Gedächtnis“ und will mit dem Film ein Gleichgewicht schaffen. Protagonisten äußern sich auf Polnisch mit deutschen Untertiteln, umgekehrt werden Aussagen in deutscher Sprache polnisch untertitelt.

Außer dem Professor Kaczmarek kommen im Film Waldemar Gielzok, Chef der Deutschen Bildungsgesellschaft in Oppeln, einer Organisation der Deutschen Minderheit, und der Berliner Historiker oberschlesischer Abstammung Matthias Lempart zu Wort.

Widerspruch zur polnischen Sicht

Für alle drei ist die Volksabstimmung von 1921 ein durch und durch demokratischer Akt gewesen. Auch Gaida sieht im Plebiszit einen Sieg der Demokratie, denn „zum ersten Mal in der Geschichte wurden die Bewohner danach gefragt, in welchem Staat sie leben möchten: Ob im neu geschaffenen Polen oder in der Weimarer Republik“. An der Volksabstimmung hatten 98 Prozent der Stimmberechtigten oder 1.19 Millionen Menschen teilgenommen. 40,3 Prozent stimmten für den Anschluss an Polen, 59,7 Prozent für den Verbleib bei Deutschland.

Der 27-minütige Film, der unter VdG-Media auf Youtube abgerufen werden kann, löst „eine wichtige Akzentverschiebung aus Sicht der Gegenwart“ aus, so Gaida, denn die Oberschlesier „entschieden mehrheitlich für die Zugehörigkeit zu Deutschland und dennoch wählte die polnische Seite gegen ihren Willen eine militärische Lösung und Blutvergießen“.


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Kommentare

sitra achra am 26.05.22, 11:19 Uhr

Die Ukrainer um Sanok hatte man auch nicht gefragt, ob sie durch Zwangsvertreibung ihre Heimat verlassen wollten, um die entvölkerten deutschen Gebiete mit Menschenmaterial zu füllen. Ihre ukrainische Identität wurde ebenfalls vollständig unterdrückt, genau wie die der im neuen Staatsgebilde verbliebenen nunmehr deutschen Minderheit. Aber derzeit werden die Grenzen wiederum aufs neue verschoben, vielleicht kommen demnächst nach einem Russeneinfall Millionen Schutz suchender Polen als Flüchtlinge nach Deutschland.

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