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Obwohl Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seit Jahren vielerorts als Sorgenkind der Europäischen Union gilt, haben ihn seine Landsleute soeben mit deutlicher Mehrheit im Amt bestätigt. Eindrücke aus dem Umfeld einer europäischen Wahl
Zum vierten Mal in Folge haben die Ungarn am vergangenen Wochenende ihren Ministerpräsidenten Viktor Orbán und seine Partei „FIDESZ – Ungarischer Bürgerbund“ mit dem Auftrag zur Regierungsbildung ausgestattet – und zum vierten Mal in Folge mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Laut ungarischem Wahlbüro kommt FIDESZ mit seinem Koalitionspartner KDNP auf 53 Prozent der Stimmen und 135 der 199 Mandate im Budapester Parlament, die Oppositionsallianz „Ungarn in Einheit“ unter Führung des Bürgermeisters Péter Márki-Zay, die aus sechs linken, grünen, liberalen und rechten Parteien bestand, lediglich auf 35 Prozent der Stimmen und 56 Parlamentssitze. Aus deutscher Sicht erfreulich ist, dass auch Imre/Emmerich Ritter als Kandidat der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen in das Budapester Parlament gewählt wurde (siehe dazu auch das Porträt auf Seite 8).
Gottseibeiuns der EU
Obwohl Orbán damit nicht nur der am längsten regierende, sondern auch der derzeit erfolgreichste europäische Politiker ist, gab es in Europa für diesen Erfolg keineswegs ungeteilte Anerkennung. Vielmehr herrschten – mit Ausnahme konservativer und rechter Parteien – sowohl in Brüssel als auch in vielen Hauptstädten der EU Skepsis und Zurückhaltung.
Schon seit Jahren gilt Orbán als eine Art Gottseibeiuns der europäischen Politik, geht er doch in vielen Grundsatzfragen einen gänzlich anderen Weg als die meisten anderen in der Europäischen Union vereinten Demokratien. So wurde bei der Änderung der Verfassung im Jahre 2011 – in einer Zeit, in der in den meisten westlichen Ländern der Laizismus voranschritt – Ungarn als Teil des christlichen Europas beschrieben und ein Gottesbezug in die Verfassung eingefügt. Zudem wurde die ungarische Nation ausdrücklich ethnisch-kulturell definiert. Und während sich andernorts die Gender-Ideologie ausbreitete, bekannte sich Orbán mit seinem FIDESZ zu einem klassischen Familienbild.
Zum offenen Zerwürfnis kam es jedoch nach 2015, als die ungarische Regierung ihren Auftrag aus dem Schengener Abkommen erfüllen und die EU-Außengrenzen gegenüber einer unkontrollierten Zuwanderung sichern wollte – und sich dafür zahlreiche Vorwürfe anhören musste, inhuman zu handeln. Vor allem zu Deutschland, das sich konträr zur ungarischen Politik zu einer „Willkommenskultur“ bekannte und monatelang eine unkontrollierte Masseneinwanderung zuließ, ist das Verhältnis seitdem gestört.
Schlechte Noten bekommen Orbán und seine Regierung in den vergangenen Jahren auch von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie „Freedom House“ oder den „Open Society Foundations“, die dem Land eine Verschlechterung der bürgerlichen Rechte und Freiheiten sowie der Situation der Nichtregierungsmedien und oppositioneller Parteien vorwerfen, jedoch oft zumindest anteilig von Orbáns altem Widersacher George Soros finanziert werden.
Zerrbilder und Wirklichkeiten
Ist Ungarn also ein autoritärer Staat, ein Ort der Unfreiheit und des Wahlbetrugs? Wer – wie der Autor dieser Zeilen in den vergangenen Tagen – die Gelegenheit hat, das Land an der Donau aus der Nähe kennenzulernen, kommt unweigerlich zu einem differenzierten Bild. So ist die Hauptstadt Budapest eine traditionelle Hochburg der liberalen und linken Opposition. Erst 2019 – also zu einer Zeit, in der den Kritikern zufolge Ungarn bereits zahlreiche Freiheiten eingebüßt hatte – konnte der der grünen Dialog-Partei angehörende Gergely Karácsony den zwischendurch regierenden und von FIDESZ getragenen Oberbürgermeister István Tarlós ablösen. Was belegt, dass demokratische Regierungswechsel auch im Ungarn Viktor Orbáns möglich sind. Autoritäre Regime lassen keine Siege der Opposition ausgerechnet in der Hauptstadt zu.
Dass der FIDESZ-Erfolg bei der Parlamentswahl am Sonntag gleichwohl so deutlich ausfiel, liegt wesentlich an der faktischen Zweiteilung Ungarns: auf der einen Seite der Ballungsraum der Millionen-Metropole Budapest, auf der anderen Seite der überwiegend ländlich und kleinstädtisch geprägte „Rest“ des Landes. Hier, wo die deutliche Mehrheit der Ungarn lebt, wählen die Menschen wie nahezu überall auf der Welt mehrheitlich konservativ.
Für den Wahlausgang nicht unerheblich ist naturgemäß auch die Situation der Medien. Hier werfen Kritiker der Regierung seit Jahren vor, insbesondere die Sender der öffentlich-rechtlichen Mediengruppe „Duna“ unter ihre Kontrolle gebracht zu haben. Anhänger der Regierung verweisen hingegen darauf, dass etwa das erste ungarische Fernsehen M1 lediglich eine Reichweite von durchschnittlich rund zehn Prozent hat, der Privatsender RTL Klub hingegen deutlich reichweitenstärker ist – und deutlich „anti-Orbán“. Die ungarische Medienbehörde NMHH verweist zudem auf die breite Vielfalt der ungarischen Medienlandschaft: Über 12.000 verschiedene Dienstleister, darunter 215 Radiostationen, 578 Fernsehsender, 7574 Zeitungen und Magazine sowie 3697 Internetanbieter werben laut NMHH regelmäßig um die Aufmerksamkeit der knapp zehn Millionen Magyaren.
Dass die Opposition keineswegs sprachlos ist und auch keine Hemmungen hat, den Regierungschef hart anzugehen, konnte der Autor dieser Zeilen selbst erleben. So wurden Nutzern auf der Online-Plattform YouTube immer wieder Werbespots gezeigt, in denen sich das Bildnis des russischen Präsidenten Putin unter bedrohlichen Begleitgeräuschen in das Konterfei des ungarischen Ministerpräsidenten verwandelte. Nach einer Opposition, die Angst vor der Regierung haben muss, sieht das nicht aus.
Der Krieg als Wahlkampfthema
Generell versuchte die Opposition, das seit Jahren gute Verhältnis zwischen Orbán und Putin zum Wahlkampfthema zu machen, um den Premierminister vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs diskreditieren zu können. Allerdings verfingen diese Versuche kaum, da Orbán trotz der hohen Abhängigkeit Ungarns von russischen Energielieferungen alle Sanktionen der EU gegen Russland mittrug und sich von Putins Angriffskrieg klar distanzierte.
Zudem nahm Ungarn ohne zu zögern bislang hunderttausende ukrainische Flüchtlinge auf, obwohl – wie FIDESZ-Anhänger betonen – das Nachbarland seit Jahren einen nationalistischen Kurs gegenüber seinen Minderheiten fahre und dabei auch die Rechte der in der Oblast Transkarpatien lebenden Ungarn beschneide. Bei einem Besuch am ungarisch-ukrainischen Grenzübergang Beregsurány konnte sich der Autor persönlich davon überzeugen, wie ukrainische Flüchtlinge nach dem Überschreiten der Grenze im Rahmen des ungarischen Hilfsprogramms „Híd Kárpátaljáért“ („Brücke für die Unterkarpaten“) mit Kleinbussen zur Aufnahmestation im Ort gefahren sowie mit Essen und Kleidung versorgt werden. Der anwesende Malteserhilfsdienst sorgt im Bedarfsfall für eine medizinische Erstversorgung. Von Beregsurány können die Flüchtlinge dann an ein Ziel ihrer Wahl weiterreisen, oder sie werden in eine staatliche Unterkunft gebracht.
Generell ist festzustellen, dass das Verfahren sehr geordnet wirkt. Ein entscheidender Unterschied zu Deutschland ist, dass die ungarischen Behörden alle Flüchtlinge konsequent erfassen. Während Bundesinnenministerin Nancy Faeser dies mit fragwürdigen Begründungen für Deutschland ablehnt, betonen ungarische Vertreter, dass die Registrierung nicht nur der Sicherheit ihrer Landsleute dient, sondern auch den Flüchtlingen selbst. So berichtete der regionale Parlamentsabgeordnete Attila Tilki (FIDESZ) von einem Fall, bei dem eine Mutter und ihr Kind bei der Weiterfahrt irrtümlicherweise auf zwei verschiedene Fahrzeuge verteilt wurden, aufgrund der namentlichen Erfassung jedoch schnell wieder zusammengeführt werden konnten.
Gründe eines historischen Wahlerfolgs
Fragt man als Außenstehender Politiker und Anhänger von FIDESZ nach dem Erfolgsrezept ihrer Partei, erhält man umgehend die Antwort, dass der „Bürgerbund“ in erster Linie Politik für Ungarn und seine Menschen mache – und nicht für „Brüssel“ oder irgendeine NGO. Die Bürger, so heißt es, erwarteten von der Politik vor allem Wohlstand und Sicherheit – und keine „woken“ Ideologien.
Auf diese und weitere Gründe verweist am Wahlabend auch der alte und neue Premierminister. Ausdrücklich bekennt sich Orbán dabei auch zur klassischen europäischen Christdemokratie und ihren konservativen Werten, zu denen nicht zuletzt auch ein gesunder Patriotismus gehört. Nachdem Orbán seine Siegesrede beendet hatte, stimmten seine Anhänger denn auch die patriotische Hymne „Kossuth Lajos azt üzente“ über den ungarischen Nationalhelden Lajos Kossuth von Udvard und Kossuthfalva an.
Diese Szene ist gleich in mehrfachem Sinne durchaus bemerkenswert. Zum einen, weil jeder der Anwesenden den Text mitsingen konnte und auch lauthals mitsang. Zum anderen aber, weil die FIDESZ-Spitze im Moment ihres großen Triumphes nicht die offizielle Nationalhymne „Himnusz a Magyar nép zivataros századaiból“ (Hymne aus den stürmischen Jahrhunderten des ungarischen Volks) anstimmte und damit ein Lied über die Schönheit und Größe der ungarischen Heimat, sondern vielmehr ein Lied über den Anführer der ungarischen Unabhängigkeitsbewegung 1848/49 – und damit ein Bekenntnis zur Freiheit abgab. Die Ungarn, so sagt es dieser Augenblick, wollen niemanden dominieren. Allerdings wollen sie auch von niemand anderem dominiert werden.
Zu fürchten braucht Europa dieses Ungarn also nicht – aber es könnte eine ganze Menge von dem kleinen Land an der Donau lernen.
Ausblick
Auch sonst sind die Kritiker sowohl in Brüssel als auch in zahlreichen Hauptstädten der Europäischen Union gut beraten, ihre Haltung zu Orbán und Ungarn zu überdenken. Und dies nicht nur wegen der Höhe seines Wahlerfolgs, sondern auch aus pragmatischem Eigeninteresse. Bei zahlreichen Grundsatzthemen von der Finanzpolitik bis zu den Sanktionen gegen Russland gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Eine weitere Verhärtung der Fronten könnte somit zu einer Handlungsunfähigkeit der EU führen, während ein Aufeinanderzugehen für alle Beteiligten von Vorteil ist.
Lieben müssen die Europäer den Ungarn deswegen nicht, aber sie sollten respektieren, dass er und die Mehrheit seiner Landsleute einen anderen Weg durch das 21. Jahrhundert gehen wollen als manche europäische Nachbarnation.
• Die Reise des Autors nach Ungarn erfolgte im Rahmen eines Begleitprogramms des Mathias Corvinus Collegiums (MCC) zur ungarischen Parlamentswahl 2022. Das MCC ist eine multidisziplinäre Denkfabrik.
www.mcc.hu
Dieter Hempel am 14.04.22, 19:16 Uhr
Das Hauptproblem der EU mit Ungarn und deren demokratich gewählten FIDESZ - Vertretern besteht doch darin, daß sich diese Bewegung der Befreiung von der EU Bevormundung auf allen Bereichen sich auch in anderen Ländern fortsetzt, vor allen Dingen in Osteuropa. Übrigens, ich lebe in Siebenbürgen (Erdely) und kann diesen Artikel nur von ganzen Herzen bestätigen. Hier gibt es viele Ungarn, die neben dem rumänischen auch einen ungarischen Paß besitzen und dadurch viele Vorteile in Ungarn, insbesondere auch im medizinischen Bereich nutzen können. Hier in Siebebürgen überzeugt vor allen auch die ausgelichene und für Familien sehr positive Famileinpolitik in Ungarn, die in der Welt ihresgleichen sucht, aber auch das Festhalten an traditionellen Werten, die gerade hier in Siebenbürgen für die Ungarn überlebenswichtig sind..
Sonja Dengler am 14.04.22, 08:57 Uhr
Organs Familienprogramme sind dermaßen gut und weltweit einmalig - und erfolgreich! Die stehen jenen Zielen der EU diametral entgegen. DAS ist der Grund, warum man ihn so drangsaliert, denke ich.
sitra achra am 11.04.22, 09:25 Uhr
Gute Politiker wachsen nicht auf den Bäumen, sonst hätten wir einige davon abbekommen. Aber man staune: selbst in der baumlosen Pußta wächst solides Gehölz.
Doch von einer Orbanisierung der Republik sind wir weit entfernt, denn außer Krüppelholz kommt hier kein wertvolles Menschenmaterial hoch.
Chris Benthe am 10.04.22, 14:24 Uhr
Danke für diesen überaus informativen Beitrag. Mit großem Interesse gelesen.
Jutta Seeber am 10.04.22, 07:21 Uhr
Liebes PAZ-Team,
endlich e. Berichterstattung die die wahre Situation in Ungarn sehr zutreffend beschreibt !
Herzliche Grüße
Jutta Seeber