Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Eine besinnliche Weihnachtserzählung
Nach einer alten vertrauten Sage hat sich mitten in der Adventszeit, als der leise Schnee sich sanft auf die masurischen Fluren legte, ein kleines Sternlein aus der großen Schar der am Himmelgewölbe leuchtenden Brüder und Schwestern losgelöst und ist zur Erde herabgestiegen, gerade in den Hausgarten eines altbetagten Bauern.
Kurz vor dem Schlafengehen, als er noch die Runde durch Stall und Hof machte, sah er das leuchtende Etwas auf der Schneedecke liegen, näherte sich behutsam dieser Fülle von Licht, hob es auf, unwissend was es sei, und stellte es mit zitternden Händen in die große Stube, die zu dieser kalten Jahreszeit nicht bewohnt war.
Als am nächsten Tage die Kunde von dem seltsamen Stern durch das ganze Dorf ging, fanden sich die Bauern mit ihren Frauen und Kindern auf dem Bauernhof ein, und man beschloß, den Stern als ein Zeichen des Himmels durch das Dorf zu tragen. In später Abendstunde, als das Abendrot nicht mehr schimmerte, trug der Hofbauer den Stern durch die Dorfstraße und eine Hymne nach der anderen stieg aus der Schar der Dörfler zum klaren Abendhimmel empor. Und so blieb es!
Alljährlich, mit dem ersten Advent beginnend, wurden in Masuren selbstgebastelte, aus verbrauchten Korn- und Mehlsieben hergestellte siebenzackige Sterne mit dem allerbuntesten Seidenpapier beklebt, auf einem Tragestock, der die Drehbarkeit der Sterne zuließ, unter dem Gesang von Advents- und Weihnachtsliedern durch das stille Dorf getragen, die Menschen ermahnend, dass bald das Christkind wieder zur Erde niedersteigt.
In den stillen Walddörfern war man bemüht, andere Dörfer um die Zahl der Sterne zu überbieten. Schön war es, wenn vier bis fünf Sterne von hochgewachsenen Burschen durch das Dorf getragen wurden, dahinter die Sängerschar, Jungen und Mädchen des Dorfes, Erwachsene und die Kinder. Das älteste Mädchen gab das Lied an, und nun klangen die Advents- und Weihnachtslieder in den frostklaren Himmel empor. Mit Eifer wurden um die Zeit daheim beim Lampenlicht die Lieder „Wie soll ich dich empfangen“, „Vom Himmel hoch da komm ich her“ und viele andere mehr auswendig gelernt, um das Dorfsingen zu bestehen.
Nun war das Gartentor des Pfarrhauses erreicht. Der Pfarrer trat aus dem Hause und dankte für den lieben Adventsgruß. Und dann ging's vor das Schulhaus, die Gasthäuser, vor die Tore und Türen der Bauern. Jeder der Besuchten gab ein kleines Geschenk mit. Gleichviel, ob die Weihnachtsfeiern in den Schulen oder Kirchen Südostpreußens am Heiligen Abend oder am 1. Weihnachtstag in der Frühe gehalten wurden, die Sterne geleiteten mit ihrem hellen Schein die Gemeindemitglieder zu den Andachtsstätten. Vor der armseligen Krippe verneigten sie sich und spendeten Licht in der Dunkelheit. Goldene Worte klangen durch den menschenerfüllten Raum von der Liebe, die alle Jahre einmal zur Erde niedersteigt:
Heut ist uns ein Stern vom Himmel gefallen, hat's keiner gesehen, es leuchtet uns allen, es leuchtet die Weihnacht mit hellichtem Schein – ins Herz mir hinein!