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Über die historische Verdrängung eines lange dominierenden Kontinents und das Leben in einer Welt, deren klimatische Veränderungen die etablierte Ordnung in Frage stellen. Teil 2 der PAZ-Sommerinterviews 2023
Die Welt um uns herum verändert sich rasant wie lange nicht mehr. Doch welche Folgen dies hat, wollen viele Zeitgenossen noch immer nicht wahrhaben. Ausblicke auf ein „unheimliches Jahrhundert“, das einen wahren Epochenwechsel markiert.
Herr Fasbender, Ihr Buch „Das unheimliche Jahrhundert“ hat den Untertitel „Vor der Zeitenwende“. Auch der Bundeskanzler gebrauchte dieses Wort in seiner Rede zum Ausbruch des Ukrainekriegs. Allerdings erscheint die „Zeitenwende“ bei Ihnen anders als bei Olaf Scholz. Was ist die Intention Ihres Buches?
Ich habe den Begriff der „Zeitenwende“ durchaus auch deshalb gewählt, weil er von Olaf Scholz ins Spiel gebracht wurde. Das Buch ist zwar im Wesentlichen schon vorher entstanden, aber in der Tat erleben wir einen Epochenwechsel. Der ist allerdings weitaus umfangreicher als Scholz es beschrieben hat.
Worin besteht Ihrer Meinung nach die eigentliche Zeitenwende?
Europa steuert auf eine Dreifachkrise zu, deren Auswirkungen uns das gesamte Jahrhundert über massiv beschäftigen werden. Da ist zum einen der rapide Machtverlust des westlichen Europa nach rund 500 Jahren globaler Dominanz. Die Zeiten, in denen Briten, Franzosen, Deutsche und andere der Welt politisch, kulturell, wissenschaftlich, technisch und ökonomisch den Stempel aufgedrückt haben, sind Geschichte.
Die zweite Großkrise ist der Klimawandel. Fakt ist: Er findet statt. In den vergangenen Jahren wurde vor allem diskutiert, wer dafür verantwortlich ist und wie man ihn aufhalten kann. Das Aufhalten wird aber nicht gelingen. Also müssen wir uns fragen: Was bedeutet es konkret, in einer um zwei oder mehr Grad wärmeren Welt zu leben? Welche Auswirkungen wird das haben, wie gehen wir damit um?
Das dritte Thema ist der Bevölkerungszuwachs in Afrika, vor allem in der Subsahara-Region. Dort erleben wir eine Verdoppelung der Einwohnerzahlen bis 2050 und bis 2100 sogar eine Vervierfachung. Irgendwann im 22. Jahrhundert wird mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung aus Subsahara-Afrika stammen.
Hier schlummern die eigentlichen Zeitenwenden. Wir treten ein in eine Welt, in der Europa vielleicht noch als lebendiges Museum wahrgenommen wird. Sicher nicht mehr als Leuchtturm oder Vorbild.
Viele der von Ihnen skizzierten Entwicklungen sind Ihrer Ansicht nach nicht zu steuern. Was wollen Sie dann mit Ihrem Buch bewirken?
Das Buch ist zunächst ein Anstoß zu begreifen, welche ungeheuren Ausmaße die Zeitenwende, in der wir uns längst befinden, in der Realität hat. Dann geht es mir darum, den Wandel auch als Chance zu begreifen, als Herausforderung. Die Menschheit geht auch in einer zwei oder drei Grad wärmeren Welt nicht unter. Es wird extrem unangenehme Begleiterscheinungen geben, die unser gewohntes Leben unmöglich machen. Aber der Mensch ist auch extrem anpassungsfähig. Darüber müssen wir reden. Wir können nicht mehr so tun, als ließe sich das Gewohnte retten.
Sie kritisieren nicht nur die Leugner bestimmter Entwicklungen, sondern auch diejenigen, die glauben, dass Politik alles regeln könne. Dazwischen bleibt aber kaum Spielraum, oder?
Doch – die Anpassung. Die haben wir nur weithin verlernt. Wovon wir Abstand nehmen müssen, ist der Machbarkeitswahn. Seit dem 20. Jahrhundert, als die Menschen den Hunger und viele Krankheiten besiegten und bis in den Weltraum vorstießen, hegen kluge Köpfe den Glauben, mit Technik hätten wir alles im Griff. Nun müssen wir mit Demut erkennen, dass wir eben nicht alles gestalten oder gar kontrollieren können. Das heißt aber nicht, dass uns in jeder Hinsicht die Hände gebunden sind. Wir müssen nur erkennen, wo wir etwas bewirken können – und wo nicht.
Nehmen Sie als Beispiel die Klimapolitik. Natürlich muss die Menschheit aus der fossilen Energieerzeugung aussteigen. Das gilt erst recht für eine Welt, in der noch einmal zwei Milliarden mehr Menschen leben als heute. Andererseits sehen wir, wie langsam das geht. Was wir in Deutschland unternehmen, hat praktisch keine Auswirkung. Um so erstaunlicher finde ich, dass wir erst jetzt anfangen, uns mit dem Thema Anpassung zu beschäftigen. Das ist umso wichtiger, da wir jeden Euro nur einmal ausgeben können. Entweder für Klimaschutz (der nicht möglich sein wird) oder für Klimaanpassung.
Lassen Sie uns noch einmal zur Geopolitik zurückkommen. Sehen Sie den Niedergang Europas als unumkehrbar an?
Auf absehbare Zeit sind die Europäer als geopolitische Macht definitiv auf einem absteigenden Ast. Der ökonomischen Dynamik Asiens und der demographischen Entwicklung in Afrika haben sie nichts entgegenzusetzen.
Wir Europäer sind auch dadurch gehemmt, dass viele die neuen Realitäten entweder nicht erfassen oder nicht wahrhaben wollen. Im Gegenteil, wir überschätzen uns weiterhin. Ein prominentes Beispiel ist Außenministerin Baerbock. Wenn sie in Asien oder Afrika auf Basis ihrer „wertegeleiteten Außenpolitik“ Forderungen an dortige Regierungsvertreter richtet, nehmen die das nicht als Vorschlag zur Modernisierung ihres Landes wahr. Die sehen darin nur einen weiteren Versuch weißer Europäer, ihnen vorschreiben zu wollen, wie sie zu leben haben.
Wir müssen erkennen, dass die Welt nicht mehr wie früher bereit ist, unsere Wertvorstellungen als überlegen zu akzeptieren. Als Beispiel die Türkei und Russland: Die Türken nutzen geschickt ihre Scharnierfunktion am Übergang von Europa und Asien. Und die Russen zeigen im Ukrainekrieg, dass ihnen die etablierte europäische Ordnung wurscht ist. Jedes Spiel funktioniert nur so lange, wie sich alle an die Regeln halten. Schert einer aus, gibt es kein Spiel mehr, auch wenn die anderen noch so sehr schimpfen.
Was wird aus den zivilisatorischen Errungenschaften der Europäer, zum Beispiel ihren Ordnungsmodellen, die ja aus der Erkenntnis jahrhundertelanger Konflikte entstanden sind, dass gemeinsame Regeln sinnvoller sind als Kämpfe gegeneinander?
Es kann durchaus sein, dass Asiaten und Afrikaner nicht nur die westlichen Produktionsweisen übernehmen und weiterentwickeln, sondern auch westliche Ordnungsmodelle. Da gibt es kluge Köpfe, die sich ebenfalls Gedanken darüber machen, welche Folgen die gegenwärtige Entwicklung der Welt hat. Doch wenn man etwas von den Europäern übernimmt, dann künftig nur noch, weil man es selbst so will. Nicht, weil irgendein Europäer kluge Ratschläge erteilt.
In dem Zusammenhang sollten wir nicht vergessen, dass die sogenannten westlichen Werte schon innerhalb der Europäischen Union keineswegs unumstritten sind. Die Gender-Politik stößt in Ostmitteleuropa auf deutliche Ablehnung, auch die Migrationspolitik nach westeuropäischem Muster. Statt das zu akzeptieren, attackieren die Eliten in Berlin, Brüssel und Paris diese EU-Mitglieder und treiben so eine Spaltung auch innerhalb Europas voran.
Für die Zukunft Europas am bedeutendsten sind allerdings die Herausforderungen durch die Migration aus dem Süden ...
... die in Ihrem Buch einen großen Raum einnimmt.
Exakt. Ich glaube, dass wir in Westeuropa schon bald solch massive Folgen der Zuwanderung und Schwierigkeiten mit der Integration spüren werden, dass gar keine Energie mehr bleibt, um uns mit irgendwelchen geopolitischen Rollenspielen zu befassen oder gar Führungsansprüche zu formulieren. Nicht ohne Grund gehen Polen, Ungarn und andere da eigene Wege, weil sie den vermeintlichen Segen einer weithin unkontrollierten Zuwanderung nicht erkennen.
Warum sollte es nicht auch in den westlichen Nationen möglich sein, in der Zuwanderungspolitik umzusteuern?
Die Hauptprobleme der Westeuropäer in dieser Frage sind ihre geographische Lage und ihr Wohlstand. Ein Land wie Kanada kann seine Zuwanderung steuern, weil es durch zwei Ozeane und die USA vom Rest der Welt abgegrenzt ist. Europa hingegen ist extrem exponiert. Das Mittelmeer ist kaum mehr als ein großer See mit obendrein vielen Inseln für Zwischenstopps. Inzwischen gibt es schon Migrationsrouten von Westafrika auf die Kanaren. Sogar über den Ärmelkanal ziehen jedes Jahr Tausende auf die britischen Inseln. Das war noch vor ein paar Jahren unvorstellbar.
Hinzu kommt, dass Europa mit seinem Wohlstand und seinen Sozialsystemen einfach zu attraktiv ist für Migranten aus ärmeren Regionen der Welt. Auch das römische Reich hat lange versucht, an Rhein und Donau bis hinunter zum Schwarzen Meer seine Grenze gegen unkontrollierte Einwanderung zu schützen – und war am Ende erfolglos. Ich glaube, dass diese Entwicklung auch in unserem Fall nicht aufzuhalten sein wird.
Wäre eine Stärkung der Entwicklungshilfe eine Lösung? Bei steigendem Lebensstandard hätten Millionen Afrikaner keine Veranlassung mehr, gen Norden zu ziehen.
In der Theorie vielleicht. Aber schauen Sie sich die Größenordnungen an. In Afrika werden in den nächsten 50 Jahren mindestens zwei Milliarden Menschen zusätzlich geboren. Das bedeutet einen enormen zusätzlichen Bedarf an Wasser, Nahrung, Energie, Wohnraum – ungeheure Ressourcen werden vonnöten sein. Da kommen Sie mit Entwicklungshilfe nicht weit. Und all das findet buchstäblich vor unserer Haustür statt. Da stellt sich die Frage: Wie viele von den zusätzlichen 2000 Millionen Menschen werden ihr Glück in Europa suchen?
Natürlich heißt das nicht, dass wir die Dinge einfach laufen lassen sollten. Auch künftig wird es eine vordringliche Aufgabe europäischer Politik sein, die Entwicklung wenigstens einigermaßen in gelenkten Bahnen zu halten. Zugleich müssen sich die Verantwortlichen von der Illusion verabschieden, alles planen oder gar vorgeben zu können.
Daher taugt auch der Begriff „Entwicklungshilfe“ nicht mehr. Wir müssen uns ehrlich fragen, was wir wirklich noch gestalten können und wo wir bestenfalls Zuschauer, wenn nicht gar Getriebene sind. Stattdessen glauben manche, sie könnten mit dem Rückbau der eigenen Industrie das Klima schüt-zen. Das ist genauso Selbstbetrug wie die Vorstellung, dass die Zuwanderung in den gegenwärtigen Größenordnungen ohne Einfluss auf unser Zusammenleben bliebe.
Sie bezeichnen das „unheimliche Jahrhundert“ als „Antipoden der bürgerlichen Ordnung“. Wie ist das zu verstehen?
Ein wesentliches Element bürgerlicher Ordnung ist die Stabilität der Verhältnisse. Unser Klima war in den letzten zehntausend Jahren weitgehend stabil. Darin gründet die Entfaltung der Zivilisation. Die globale Erwärmung binnen zwei, drei Jahrhunderten und das Bevölkerungswachstum in Afrika bilden dagegen Herausforderungen, denen unsere überalterten europäischen Gesellschaften nicht gewachsen sind. Das sich wandelnde Klima beeinflusst ja nicht nur, wie die Menschen künftig leben wollen, sondern auch wo. Und das führt zu Verteilungskämpfen zwischen denen, die schon länger an den begehrten Wohnorten leben, und jenen, die dort erst hinziehen wollen. An der neuen Unordnung der Welt wird die bürgerliche Ordnung zerbrechen.
Martin Luther wird das Zitat zugeschrieben: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute einen Apfelbaum pflanzen.“ Würden Sie heute noch einen Apfelbaum pflanzen, wo dieser doch durch den Klimawandel schon nach wenigen Wochen vertrocknet sein könnte?
Absolut! Ich würde allerdings versuchen, eine Sorte zu finden, die möglichst trockenheitsresistent ist. Als praktizierender Katholik gibt es für mich immer Hoffnung. Nur nicht die Hoffnung, dass irgendetwas so bleibt, wie es ist. Deshalb ist mein Buch auch kein Ausblick auf den nahenden Weltuntergang, sondern eine ungeschönte Beschreibung von ein paar unschönen Entwicklungen. Und ein Appell, uns darauf einzustellen.
Das Interview führte René Nehring
Thomas Fasbender Das unheimliche Jahrhundert. Vor der Zeitenwende. Landt Verlag 2022, Fadenheftung mit Leseband,
186 Seiten, ISBN: 978-3-948075-49-1, 26 Euro
Dr. Thomas Fasbender ist Journalist und Publizist. Er schreibt unter anderem für die „Berliner Zeitung“. Zu seinen Werken gehört „Wladimir Putin. Eine politische Biographie“ (Landt Verlag 2022). thomasfasbender.de
sitra achra am 26.07.23, 11:12 Uhr
Schon mal was von Geburtenkontrolle gehört? Sir Malthus' Prophezeiung ist ungewöhnlich aktuell! Bei der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen in Afrika und andeswo ist jedenfalls die Zimperlichkeit und theologische Selbstbespiegelung des vorderasiatischen Religionsmärchens namens Christentum sowie die Erwähnung angeblicher "Menschenrechte" auszuschließen. Rette sich,wer kann!
Tjitze Dijkstra am 24.07.23, 09:58 Uhr
Wow! Endlich mal Klartext. Wäre nicht schlecht wenn das unsere westliche Politiker mal um die Ohren gehauen wurde.