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Vor 150 Jahren wurde Richard Schirrmann geboren – Der Ostpreuße begründete das Deutsche Jugendherbergswerk
Grunenfeld [Gronówko] war ein großes Gut mit ein paar Höfen bei Braunsberg. Dort kam Richard Schirrmann vor 150 Jahren, am 15. Mai 1874, zur Welt. Bis zum 15. Lebensjahr besuchte er dort die von seinem Vater geleitete Dorfschule.
Grunenfeld gehörte zum Kirchspiel Eisenberg. Eisenbergs zweiklassige Schule wurde von Schirrmanns Großvater geführt, und der unterrichtete anschließend seinen Enkel.
Und Letzterem fiel auch nichts Originelleres ein, als Lehrer zu werden. 1895 legte er die erste Lehrerprüfung ab und trat noch im selben Jahr seine erste Stelle an der Grundschule in Königshöhe, Kreis Lötzen an. Neben seinem Lehrerberuf war Schirrmann ein begeisterter Wanderer. Er versuchte, Beruf und Hobby zu verbinden. Es entstand die Idee der „wandernden Schule“. Bestärkt wurde er in seinem Vorhaben dadurch, dass er mit seinen Fähigkeiten zur verbalen Kommunikation in seiner ersten Stelle an Grenzen stieß. Von 60 Schülern sprachen nur vier Deutsch.
Nach seiner Versetzung vom Lande in den Ruhrpott nach Gelsenkirchen kam ein weiterer Aspekt und ein zusätzliches Argument hinzu: die Gesundheit. Mit Klassenausflügen in die Natur glaubte er dem „Kinderelend im Industriegebiet“ entgegenwirken zu können.
Ab 1900 war Schirrmann im Verband Deutscher Touristenvereine maßgeblich an der Schaffung eines Unterkunftsnetzes für Wanderer und Jugendgruppen beteiligt. Sein Ideal war ein Netz, das so dicht war, dass man sich bei mehrtägigen Wanderungen von Unterkunft zu Unterkunft hangeln konnte.
Schirrmanns Idee der „wandernden Schule“ stieß bei seinen Vorgesetzten auf geringe Begeisterung. Sie unterstellten ihm, dass unter dem Wandern das Unterrichten der Kinder leiden würde. 1903 wurde er in die Kleinstadt Altena im Sauerland strafversetzt.
In Altena richtete Schirrmann 1907 die erste noch provisorische Jugendherberge ein, in der Netterschule, der späteren Richard-Schirrmann-Realschule, an der er seit 1905 unterrichtete.
1910 machte er seine Gedanken in der großen deutschen Tageszeitung „Kölnische Zeitung“ publik. Das Echo war positiv, die Unterstützung vielfältig. Insbesondere in dem Fabrikanten Wilhelm Münker fand Schirrmann einen potenten wie engagierten Förderer und Mitstreiter.
Erster Herbergsvater in Altena
Als Schirrmann erfuhr, dass die Burg Altena wiederaufgebaut werden sollte, erreichte er, dass 1912 die Jugendherberge aus den provisorischen Räumlichkeiten in der Netterschule in die Burg umziehen konnte. Schirrmann wurde der erste Herbergsvater einschließlich Dienstwohnung in dieser ersten eigenständigen Jugendherberge der Welt. Die Einrichtung erregte Aufmerksamkeit über die Landesgrenzen hinaus. Noch im selben Jahr besuchten Pressevertreter und andere Gäste nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem benachbarten Ausland bis hin nach England die Jugendherberge Burg Altena.
Weitere Jugendherbergen folgten. 1913 gab es bereits 83 Jugendherbergen mit 21.337 Übernachtungen. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs war die Zahl der Herbergen auf 372 angewachsen.
Nach dem Krieg, im Jahr 1919, wurde auf der Burg Altena der Zentrale Hauptausschuss für Jugendherbergen gegründet, aus dem faktisch das Deutsche Jugendherbergswerk – Hauptverband für Jugendwandern und Jugendherbergen (DJH) hervorging. Schirrmann übernahm den Vorsitz. 1922 ließ sich der Lehrer vom Schuldienst beurlauben, um sich nun ganz seinem Werk und dem Werben dafür zu widmen.
Dabei war Schirrmann Erfolg beschieden. Im letzten vollständigen Jahr der Weimarer Republik gab es in Deutschland 2124 Jugendherbergen mit über vier Millionen Übernachtungen. Dieses Jahr 1932 brachte einen großen internationalen Erfolg. Unter maßgeblicher Beteiligung Schirrmanns wurde in Amsterdam die Internationale Arbeitsgemeinschaft für Jugendherbergen (IAJH) – ab 1946 Internationaler Jugendherbergsverband (IYHF), seit 2006 Hostelling International (HI) – gegründet. Ein Jahr nach der Gründungsversammlung wurde Schirrmann auf der zweiten internationalen Jugendherbergskonferenz zum ersten Präsidenten dieses internationalen Dachverbandes der Jugendherbergen gewählt.
Internationales Engagement
Das Jahr 1933 war auch das der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland. Obwohl Schirrmann – aus Überzeugung oder um sein Werk zu retten – zur Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern bereit war, wurde er von diesen erst auf nationaler und dann auch auf internationaler Ebene entmachtet. 1934 wurde das Deutsche Jugendherbergswerk in die Hitlerjugend (HJ) integriert und Schirrmann an dessen Spitze durch einen Freund und Parteifreund des Reichsjugendführers Baldur von Schirach ersetzt, erhielt aber wenigstens einen Ehrenvorsitz.
1936 kam es zu einer weiteren Zäsur. Wegen „schwerer Disziplinlosigkeit und HJ-schädigenden Verhaltens“ wurde er aus der HJ ausgeschlossen, der er seit 1933 angehörte, und in die „Warnkartei“ der NSDAP aufgenommen. Kurz darauf musste er auf Druck der Reichsjugendführung auch seinen Posten in der IAJH aufgeben. Mittlerweile Pensionär, zog sich Schirrmann aus der Mitarbeit beim Jugendherbergswerk ins Privatleben zurück und von Altena nach Grävenwiesbach um, wo er sich zur Aufbesserung seiner Pension als Obstbauer betätigte. Während der Kriegszeit wurde er in seinem neuen Wohnort dann noch einmal als Volksschullehrer reaktiviert.
Schirrmanns schlechte Behandlung durch die Nationalsozialisten, sein internationales Wirken und Renommee als Präsident der IAJH und der grenzüberschreitende Erfolg seiner Jugendherbergsidee führten dazu, dass er nach dem Krieg in der jungen Bundesrepublik und von dieser hofiert und gut behandelt wurde. Wenige Monate nach der Verkündung des Grundgesetzes wurde auf der Burg Altena das Deutsche Jugendherbergswerk neu gegründet und Schirrmann zu dessen Ehrenpräsidenten ernannt. An der offiziellen 50-Jahr-Feier des DJH auf der Burg Altena nahmen in der ersten Reihe Schirrmann und der damalige Bundespräsident teil. Wenige Jahre nach dieser Ehrung starb Richard Schirrmann am 14. Dezember 1961 in Grävenwiesbach.