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Politik

Ursachen eines Unbehagens

Im Wahlkampf 2021 verweigern Politik und Medien beharrlich die Debatte über brennende Fragen. Dennoch – oder gerade deshalb – zeichnen sich Umrisse der Entwicklung für die Zeit nach der Kanzlerschaft Angela Merkels ab

Werner J. Patzelt
23.09.2021

Was ist in Deutschland los, wo unmittelbar vor einer als wichtig angesehenen Bundestagswahl ein Großteil der Wähler noch unentschieden ist? Wo es weder eine klare Wechselstimmung gibt noch Lust auf bloßes Weitermachen? Wo die Mehrheit weder ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis wünscht noch die bisherige „große“ Koalition? Wo die meisten sich gezwungen fühlen, unter mehreren Übeln das kleinste zu wählen?

Einen ersten Hinweis auf mögliche Ursachen geben vielerlei Klagen über einen „inhaltsleeren Wahlkampf“. Wie sollte der auch anders sein, wenn jene Themen durch Journalisten und Parteien aus dem öffentlichen Gespräch herausgehalten werden, die vielen Leuten auf den Nägeln brennen: Zuwanderung, Integration, Rentenfinanzierung, die Rolle von Nationalstaaten in der sich wandelnden Europäischen Union? Und was sollte dem Wahlkampf Inhalte geben, wenn fast alle Parteien sich einig sind über die großen Anliegen (Stabilisierung des Erdklimas, soziale Gerechtigkeit, ausreichende und bezahlbare Energie ...), es aber sorgsam vermeiden, in die vom Wahlsieger dann auszugestaltenden Einzelheiten zu gehen: Welchen anderen Einfluss auf das Weltklima kann das kleine Deutschland haben als den eines Vorbilds, an dessen Wesen die Welt genesen möge? Schafft man soziale Gerechtigkeit eher durch Steuererhöhungen oder durch Wirtschaftswachstum? Wie wird Deutschland aussehen, sobald – wie erstrebt – zwei Prozent der Landesfläche mit Wind- und Solarparks bebaut sind?

Klagen über das Personal

Einen weiteren Hinweis geben die Klagen über das konkurrierende Personal. Teile der Union machten sich sogar ans Demontieren des eigenen Kanzlerkandidaten. Die SPD wollte ihren jetzigen Spitzenmann um keinen Preis als Parteivorsitzenden. Und die Traumfrau der Grünen entpuppte sich als Leichtgewicht, das grüne Sprechblasen besser beherrscht als die Fakten. Was besagt es eigentlich über unsere Berufspolitiker und die Bedingungen ihres Karriereerfolgs, wenn diese drei wirklich das Beste sind, was unser Land für die Kanzlerschaft aufzubieten hat?

Und einen dritten Hinweis auf die Ursachen unserer Wahlkampfmalaise bietet, dass die AfD in Sachsen stärkste Partei werden dürfte, im übrigen Osten wohl die zweitstärkste, und dass sie ihre – halb so zahlreiche – Anhängerschaft im Westen auch nicht verlieren wird. Wie wirkt es sich da auf die Bürgerschaft aus, wenn die Ursachen des Aufstiegs und der Verstetigung der AfD im Wahlkampf keine Rolle spielen – gerade so, als hätte man die Haltung zur AfD nicht jahrelang wie eine Schicksalsfrage unseres Landes behandelt? Doch unseren Politikern scheint es inzwischen zu reichen, sogar Gespräche mit dieser unerwünschten Konkurrenzpartei auszuschließen, während zugleich viele Unions- und SPD-Wähler abseits der Öffentlichkeit wie AfDler reden. Offenbar wird die politische Klasse von sehr anderen Anliegen bewegt als die Bürgerschaft. Dann freilich muss es nicht wundern, wenn so viele den Wahlkampf als inhaltlich unbefriedigend empfinden.

Unübersehbar trugen zu dieser Lage unsere etablierten, immer noch sehr reichweitenstarken Medien bei. Bemerken deren Journalistinnen und Journalisten wirklich nicht, dass sie allzu oft genau das aussparen, was sehr viele Leute sogar vorrangig interessiert – etwa: Wie passen wir unsere Integrationspolitik der mangelnden Integrationsbereitschaft von vielen ins Land Gelangten an? Wie gehen wir am besten um mit Clankriminalität und Gewaltbereitschaft von „südlich Aussehenden“? Wie mit jenem Islam, der nicht nur viele zum Flüchten bringt, sondern obendrein jene Gesellschaften verändern möchte, die muslimische Geflüchtete aufnehmen? Gibt es ernstzunehmende Gewalt nicht auch von links? Wie hängt sie zusammen mit der inzwischen selbstverständlichen kulturellen Hegemonie von Linken und Grünen in Deutschlands großen Städten? Alimentiert vielleicht unser Staat selbst deren Umfeld durch die üppige Finanzierung des „Kampfs gegen rechts“, der dann eben mit aller Macht geführt wird – und zwar auch gegen unliebsame Leute aus der politischen Mitte?

Nach der Ära Merkel ist alles möglich

Beim Nachdenken über das alles hilft es zu wissen, dass – ausweislich entsprechender Umfragen – rund zwei Drittel unserer Medienleute mit Grünen, Sozialdemokraten und Linken sympathisieren. Dazu passt auch der bei den „Triellen“ minutengenau angestrebte Proporz zwischen den wechselseitig Koalitionswilligen von SPD und Grünen sowie dem Kandidaten der Union. Hätte man da Annalena Baerbock wirklich nicht den das Kanzleramt ebenfalls verfehlenden Christian Lindner an die Seite stellen können? Anscheinend wollten die Medienleute jene Zweidrittelmehrheit unter den prominent platzierten Spitzenkandidaten. Warum auch nicht, hat die CDU doch seit vielen Jahren dem linksgrünen Meinungsdruck einfach nachgegeben. Was immer der beseitigen wollte, wurde zunächst nicht mehr verteidigt und dann aufgegeben: die friedliche Nutzung der Kernenergie, eine Zuwanderungssteuerung gemäß den Interessen des eigenen Landes, auch die jahrtausendelang für vorrangig gehaltene Ehe zwischen Mann und Frau – samt so vielen Kindern, dass die Bevölkerung eines Landes weder überaltert noch schnell schrumpft.

Als sich dann mehr und mehr bisherige Unionsanhänger einer Partei zuwandten, deren Namensgebung auf Behauptungen der Kanzlerin reagierte, ihre Politik sei „alternativlos“, da musste als Erklärung herhalten, solche Leute wären immer schon Rassisten und Faschos gewesen; wie gut, dass die Union sie endlich los sei! Wenn man Journalisten und der Unionskonkurrenz von links solchen strategischen Weitblick zutrauen wollte, so könnte man gar formulieren: Erst drückte und lockte man die Union so weit in die linke Mitte, dass sie viele Anhänger nach rechts außen verlor; dann verlangte man von der Union die Abgrenzung von den heimatlos Gemachten und diffamierte Bemühungen um deren Wiedergewinnung; und inzwischen kann man die jahrzehntelang politisch dominante Union in solche Koalitionen zwingen, die sie zum besonders leichten Angriffsziel der AfD machen. Doch das alles wurde im Wahlkampf auch dort nicht thematisiert, wo es um künftige Regierungsbündnisse ging. Muss man sich dann über das inhaltliche Unbehagen am Wahlkampf wundern?

Grüne und Linke beherrschen jedenfalls die Medien – und die Union beherrscht nicht einmal den Umgang mit ihnen; Rezo lässt grüßen. Unter medialem Eindruck kehrt aber nun eine jahrelang von der Union hofierte Laufkundschaft zum sozialdemokratischen und grünen Original zurück. Sie hat nämlich begriffen, dass dessen begabteste Kopistin die – wirtschaftlich denn doch vertrauenswürdigere – Union nicht länger auf dem von links her erwünschten Kurs halten wird. Überhaupt fällt Angela Merkel als stabilisierender Schlussstein im Gewölbe unseres Parteiensystem fortan aus. Deshalb wird nun alles möglich – auch ein Linksbündnis gegen mehrheitliche Bürgerwünsche.

Im politischen Grenznutzenbereich

Derweil bemerkt die Union, dass ihre lange Zeit hohen Zustimmungswerte nicht ihr als Partei galten, sondern allein der von ihr getragenen Kanzlerin. Die aber orientierte sich viel mehr an demoskopischen Befunden und journalistischen Meinungsführern als an den Wünschen jener Parteibasis, die noch im Alltag der Bürgerschaft verwurzelt ist. Auf diese Weise hob die Union von großen Teilen des Wahlvolks ab, das ihr lange Zeit vertraute. Im medialen Luftraum findet sie trotzdem keinen Platz. Das alles macht viele CDUler so unzufrieden mit dem Wahlkampf ihrer Partei.

Doch noch mehr prägt diesen Wahlkampf, wenn auch unterschwellig: Viele Leute spüren, dass gar nicht wenige bislang bewährte Politiken in ihren Grenznutzenbereich gelangt sind, also trotz steigenden Aufwands immer weniger an politischem oder persönlichem Nutzen erbringen. Weder von mehr Globalisierung und Europäisierung noch von einer weiteren Liberalisierung aller Lebensbereiche, auch nicht von höheren Ausgaben für unseren Sozialstaat erwarten die meisten mehr Vorteile als Nachteile für unser Land. Doch die reichweitenstarken Medien und etablierten Parteien tun so, als gäbe es da keine grundsätzlichen Probleme. Obendrein werden als wichtig empfundene und tatsächlich in Deutschland lösbare Probleme – von der Regulierung der Zuwanderung bis zur Sicherung einer preisgünstigen Energieversorgung – dadurch aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt, dass sie eine starke moralische Aufladung der Streitpositionen erfahren. Dann scheinen auf der einen Seite „die Guten und Vernünftigen“ zu stehen, auf der anderen aber die „Dummen und Verstockten“.

Warten auf bessere Zeiten

Wer alsbald von Edelmenschen angegriffen wird, die nicht nur für ihre Sache brennen, sondern auch um keinen eigennützigen Schachzug verlegen sind, der duckt sich klugerweise ab und wartet solange, bis üble, zuvor für unmöglich erklärte Entwicklungen eben doch eintreten. Nur geschieht dann viel vermeidbarer Schaden. Das vorauszusehen, macht die innere oder zumindest kommunikative Emigration natürlich nicht angenehmer. Obendrein ist unser politischer Diskurs inzwischen zerfallen zwischen jenen, die auf die etablierten Medien schwören, und denen, die ihre Filterblasen und Echokammern nur noch in der Absicht verlassen, auf die Bewohner anderer Meinungshöhlen einzuschlagen.

Wie kommen wir aus diese Lage? Wahrscheinlich werden wir abwarten müssen, bis die linksgrünen Hegemonen ihre Machtposition so sehr übernutzt haben, dass ihre Glaubwürdigkeit schwindet. Das tröstliche Sprichwort dafür lautet: „Nicht nachgeben gewinnt auch!“ Und alle, die Besserndes beitragen wollen, könnten sich obendrein an eine altrömische Spruchweisheit halten: Worte belehren nur, Beispiele hingegen ziehen mit.

Prof. Dr. Werner J. Patzelt lehrte bis 2019 Vergleichende Politik­wissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Zuletzt
erschien „Parlamentarismusforschung. Eine Einführung“ (Nomos 2020).

http://wjpatzelt.de


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Kommentare

Tom Schroeder am 24.09.21, 23:45 Uhr

Die CDU hat den Hofstaat für beide Könige*innen Kohl*Merkel gegeben und dabei Arbeitnehmerinteressen immer zu Gunsten des reicheren Teils der Gesellschaft benachteiligt - soll nicht heißen, dass die Sozen mit Schröder und Muente besser waren. Nun ist die Lichtgestalt weg und das Vakuum ist jetzt da. Das war typisch Merkel - "jetzt sind sie da, wir schaffen das" - der Rest wird nicht mitgenommen, agieren ohne die Konsequenzen auf die Untertanen (Bürger und Parteimitglieder) zu beachten, denn die folgten immer nach, egal was die beiden Sonnenkönige der CDU in ihrer Selbstherrlichkeit auch machten. Diese Partei gehört wirklich unter 10 % - tut mir leid Herr Patzelt, so sehr ich Sie und manch anderen individuell aus der CDU schätze, aber ich fühle mich von Ihrer Partei hintergangen und betrogen, auch von der SPD. Bleibt nur noch Protest, vielleicht lässt ein Linksregierung die sozial-bürgerliche Seele noch mal aufleben, ich verspreche mir von den insgesamt verlogenen Demokraten nicht mehr viel und hoffe, dass ich dann mit 63 in Rente kann - mit Abschlägen - ich habe nämlich die Nase voll diesem unnützen Sozialstaat, den unter seelischen Qualen und Rückenschmerzen im Büro weiter zu finanzieren, während sich viele Beamte - kenne ich nur zu gut - und Sozialstaatseinwanderer ein arbeits-armes Leben machen. Nicht nur der Dachdecker kann nicht mehr. Hehre Ziele - prima Klima, Flüchtlinge, Nationbuilding in Afghanistan, Euro und dessen Rettung, Asyl für alle geplagten dieser Welt, Subventionen für Konzerne usw. - und dann verlängerte Lebensarbeitszeit? Da hacken die AFDler noch nicht so richtig rein, aber wenn da mal ein smarter Kerl loslegt und in diese Kerben so richtig reinhaut - ich denke an Haider in Austria - dann werden die die CDU locker überholen - warum auch nicht? Machen Sie es doch bitte besser und unbedingt mit Bodenhaftung!

Werner Philipzik (PAZ-Abo) am 24.09.21, 09:43 Uhr

Herr Dr. Petzelt hat in seiner Analyse, es gebe im Wahlkampf zwischen den Parteien kaum Unterschiede in der Themenbehandlung und deswegen sei die Auseinandersetzung so dröge, nicht ausreichend berücksichtigt, daß die AfD ein absolutes Alleinstellungsmerkmal hat, gleichsam ein zusätzliches Markenzeichen, worauf sie in ihrem Wahlkampf, vielleicht nicht ausreichend genug, aber hinweist. Es ist dies die entschiedene und eindeutige Ablehnung der sog. Energiewende, fälschlicherweise Klimaschutz genannt, die DE in den wirtschaftlichen und damit allgemeinen Abgrund stürzen wird. Dies wird unzweideutig allein von der AfD thematisiert und von daher ist in der jetzigen politische Situation sie allein nur wählbar, weil die Ablehnung der Energiewendepolitik zwar nicht alles ist, aber alles nichts ist, wenn sie, die selbstmörderische Energiewendepolitik fortgesetzt wird.
Oder wie auch formuliert werden kann, oder besser sogar muss:
Heuer, in der die Altparteien mehr oder weniger alle „grün“ sind, die AfD NICHT zu wählen, ist eindeutig damit vergleichbar, in der Weimarer Republik die braune Pest gewählt zu haben.
Ja, so einfach und eigentlich zwangsläufig ist es jetzt tatsächlich, die einzig sinnvolle Wahl treffen zu können, ohne sich oder seine Mitbürger (können natürlich auch weiblich sein, das für die Minderbemittelten im Allgemeinwissen, denen anscheinend nicht oder nicht mehr bekannt ist, daß es neben dem grammatikalischen ein generisches Geschlecht gibt, das alle (m,w,d) umfasst) nicht in das wirtschaftliche Elend zu stürzen, zumal die Hetze und Verleumdung, die diese Partei (gerade auch erkennbar ,wie der Mord in Idar-Oberstein gegen sie instrumentalisiert wird), nicht nur von den anderen Parteien, sondern auch durch viele Medien ausgesetzt ist, jeden dazu bringen müsste, der sich ein Gefühl für Anstand und Fairness bewahrt hat, die Partei bereits ob dieser Perfiderie zu wählen.
Wenn diese doch ganz einfache Wahrheit allgemein erkannt werden würde, dann dürfte Ablehnung der AfD durch die anderen Parteien keine Rolle mehr spielen, weil dann die Altparteien noch nicht einmal die 5-%-Hürde knacken könnten. Aber leider, leider sind die meisten Wähler zu sehr ideologisiert und erkennen das nicht und sägen lieber mit voller Kraft den Ast ab, auf dem sie sitzen.Fürchterlich!

Michael Holz am 23.09.21, 23:41 Uhr

Sehr geehrter Herr Patzelt, Sie schreiben, "Wahrscheinlich werden wir abwarten müssen, bis die linksgrünen Hegemonen ihre Machtposition so sehr übernutzt haben, dass ihre Glaubwürdigkeit schwindet."
Ich bin der Meinung, dass ist eine ganz gefährliche Auffassung. Das hatten wir in Deutschland schon einmal. 1933 meinten viele Deutsche < Lasst den Adolf das schon machen. Er schafft es nicht, wir sind den Kerl Ende 33 wieder los> Das war ein Trugschluss, wie wir alle bitter erfahren mussten. Aber die Banausen von heute sind, zumindest in Geschichte, ungebildet.

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