29.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Foto: Verlag

Rechtsstaat

Verfassungsschützer auf Abwegen

Mathias Brodkorbs Kritik an einem Dienst, der zunehmend als Sprach- und Gedankenpolizei agiert

Cora Stephan
13.04.2024

Es ist ein Krimi. Und eine Horrorstory. Mathias Brodkorbs Studie über den deutschen Verfassungsschutz bietet einen Berg von Argumenten für die Abschaffung dieses „Dienstes“, dessen Grundlage widersprüchlich ist, dessen argumentatives Gerüst wackelt und dessen Mitarbeiter offenbar überfordert sind, Texte und Aussagen logisch zu durchdringen.

Dass der Verfassungsschutz sich parteipolitisch engagiert, was ihm nicht zusteht, ist wohl mittlerweile offenkundig. Das gilt für die Beobachtung seines früheren Chefs Hans-Georg Maaßen ebenso wie für das Bemühen um die Delegitimierung einer großen Oppositionspartei, der AfD. Der Sozialdemokrat Brodkorb analysiert den Verfassungsschutz als „eine für die Demokratie unwürdige Institution“, die es im Übrigen in keiner anderen westlichen Demokratie gibt. Er schwinge sich immer mehr „zu einer Sprach- und Gedankenpolizei auf“ und halte wahnhaft „an seiner Verfolgungsabsicht entgegen der Beweislage“ fest.

Ein Pranger mit dem Potential, Existenzen zu vernichten
Der Verfassungsschutz ersetzt im Informationszeitalter den Pranger. Die Einstufung einer Person oder Organisation etwa als „rechtsextremistisch“ und die öffentliche Verkündung dieser Einstufung ist geeignet, bürgerliche Existenzen zu zerstören, zumal die derart Angeprangerten noch nicht einmal Einsicht in die sie belastenden Akten nehmen dürfen. Innerstaatliche Feinderklärung dient der Ausgrenzung, erst recht die Aufforderung an alle Bürger, sich daran zu beteiligen. Der derzeitige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat 2022 die Katze aus dem Sack gelassen: Es sei nicht allein seine Aufgabe, die Umfragewerte der AfD zu drücken, auch die Bürger müssten daran mitwirken. Hier wird der als neutral konzipierte Verfassungsschutz zum parteipolitischen Kampfross.

Als größten Skandal benennt Brodkorb die durch Haldenwang eingeführte Kategorie „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, womit bereits bloße Regierungskritik gemeint ist. Dabei ist sogar verfassungsfeindliches Denken vom Grundgesetz gedeckt, es darf nur nicht zu einem Handeln gegen das Grundgesetz führen.

Ausgewogene Fallbeispiele
Brodkorb stammt wie so viele kluge und kritische Geister aus der DDR, war erst Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie bis 2019 Finanzminister in Mecklenburg-Vorpommern. Seine Analysen in der Zeitschrift „Cicero“ sind stets scharfsinnig und lesenswert. Und er macht sich mit den behandelten Themen oder Personen nicht gemein.

Seine Fallbeispiele sind ausgewogen. Der erste Fall betrifft Bodo Ramelow, Thüringer Ministerpräsident von der Partei „Die Linke“, der immerhin 27 Jahre lang vom Dienst beobachtet worden war und erst nach zehnjähriger rechtlicher Auseinandersetzung im Jahr 2013 vor dem Bundesverfassungsgericht obsiegte. Der Rechtsanwalt Rolf Gössner ist gleich vier Jahrzehnte beobachtet worden, mit einer eigenen Personenakte, die besonders bösen Verfassungsfeinden vorbehalten ist. Gössner wurde nicht nur Kontaktschuld, sondern auch „Konsensschuld“ vorgeworfen, da er teils wie die DKP argumentiere.

Hans-Georg Maaßen war stets dagegen, dass der Verfassungsschutz politische Parteien beobachtet und sich zum Büttel der Politik macht. Nun ist er selbst Objekt des Dienstes geworden – wobei seine Beobachter ausschließlich öffentlich zugängliche Quellen zusammengetragen haben.

Brodkorb begibt sich auch in die ultrarechte Höhle der „Superspreader von Hass und Gewalt“, zum Institut für Sozialpolitik (IfS) in Schnellroda. Doch dort geht es seiner Beobachtung nach ruhig und freundlich zu, Besucher aus aller Welt schauen vorbei. Der Blick in die Akten des Verfassungsschutzes aber enthüllt Bemerkenswertes: Auf 1000 Seiten findet sich fast nichts, was man relevante geheimdienstliche Erkenntnisse nennen könnte. Während das Innenministerium behauptet, die Schnellrodianer träumten von einem „Führer“ einer „ethnisch oder rassisch homogenen Volksgemeinschaft“, hat der Verfassungsschutz dafür keine Beweise gefunden. Aber macht ja nichts, das ist diesen Rechten schließlich zuzutrauen. Doch sind schon „Demokratiefeinde“, wer die Parteienherrschaft kritisiert? Auch „Antisemitismus“ ist dem IfS nicht nachzuweisen, höchstens das Beharren darauf, dass man die politisch motivierten Massenmorde unter Mao, Stalin und Pol Pot nicht außer Acht lassen sollte, womit man schließlich das Leid der Juden weder leugne noch verkleinere.

Schwammige Begrifflichkeiten
Aber das Völkische! Dieser Holzhammer wird ja gern geschwungen, wenn sich jemand über Multikultur nicht so richtig zu freuen vermag. Doch auch hier sind die Instrumente des Verfassungsschutzes unscharf. Brodkorbs präzise Analyse führt vor Augen, wie begriffslos der Dienst argumentiert. Der „ethnische Volksbegriff“ ist dem Verfassungsschutz das größte Übel; es verstoße gegen die Menschenwürde, wenn man die Zugehörigkeit zum deutschen Volk „von ethnisch-kulturellen Merkmalen“ abhängig mache. Man kennt dort offenbar den Unterschied zwischen „ethno-kultureller Identität“ und Staatsbürgerschaft nicht. Dabei bekennt sich das Bundesinnenministerium in einer Broschüre zur regelrechten Förderung der „ethnokulturellen Identität“ – von Auslandsdeutschen. Im Ausland also darf der Deutsche noch Volk sein. Verblüffend.

Mangelhaftes Grundlagenwissen
Offenbar muss so ein Verfassungsschutz nicht über solide historische Kenntnisse verfügen. Dass auch jene Menschen Deutsche seien, die im Zuge des Zweiten Weltkrieges in der DDR oder in Russland gelandet sind, bedeutete, dass sie auf den Schutz der Bundesrepublik setzen konnten. Den hätte es nicht geben können, hätte man sie lediglich als „Staatsbürger“ (der DDR, der SU) betrachtet, denn deutsche Staatsbürger waren sie ja nicht mehr. Deshalb hat das Grundgesetz schon immer zwischen rechtlichem Staatsvolk und ethnisch deutschem Volk unterschieden. Das Grundgesetz verpflichtet im Übrigen auch nicht zu einer Politik, die eine multikulturelle Gesellschaft herbeiführt.

Kurz: Beim Verfassungsschutz wird je nach eigener politischer Neigung geurteilt beziehungsweise danach, was dem Dienstherrn passt.

Mathias Brodkorb „Gesinnungspolizei im Rechtsstaat? Der Verfassungsschutz als Erfüllungsgehilfe der Politik“, zu Klampen Verlag, Springe 2024, Hardcover, 250 Seiten, 25 Euro


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS