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Berliner Senat

Verkehrswende im Handstreich

Angeblich vorübergehende Zusatzwege sollen auf Kosten des Autoverkehrs dauerhaft werden

Norman Hanert
10.06.2020

Führende Köpfe der Berliner Grünen sehen die Corona-Krise offenbar als Chance, in der Verkehrspolitik lang gehegte Ziele durchzudrücken. Derzeit wird im Schnellverfahren der Straßenraum zugunsten von Radfahrern umverteilt. Leidtragende sind nicht nur Autofahrer.

Abermals ist es der grün regierte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der in Berlin eine Vorreiterrolle spielt. Als durch die Pandemiebeschränkungen der Autoverkehr massiv zurückging, nahm der Bezirk Ende März am Halleschen Ufer den Autofahrern eine Fahrspur weg und richtete stattdessen einen Radweg auf der Straße ein. Im Eiltempo wurde mit gelben Markierungen und rot-weißen Warnbaken der Straßenraum neu verteilt.

Als Begründung führte der Bezirk an, zur „Infektionsschutzvorsorge“ müsse der ohnehin beschlossene Radwegeausbau beschleunigt werden: Fahrradfahrer und Fußgänger könnten durch die „temporären“ Radwege die pandemiebedingte Abstandsregelung besser einhalten, so die Argumentation.

„Auf möglichst vielen Strecken“

Was im Amtsdeutsch als „Einrichtung von pandemieresilienter Infrastruktur in Form von temporären Radverkehrsanlagen“ bezeichnet wird, breitet sich im Stadtgebiet immer mehr aus. Mehrere Bezirke haben inzwischen mehr als zehn der sogenannten Pop-Up-Radwege eingerichtet, Anmeldungen für weitere 25 Abschnitte liegen vor. Nun plant die Verkehrsverwaltung unter Senatorin Regine Günther (Grüne), das Provisorium zu einer Dauereinrichtung zu machen.

Obwohl die Fahrradwege ursprünglich nur bis Ende Mai getestet werden sollten, hat die Senatsverkehrsverwaltung das Projekt inzwischen bis zum Jahresende verlängert. Bereits Ende Mai hatte die Verwaltung signalisiert, die provisorisch eingerichteten Radfahrstreifen sollten „auf möglichst vielen Strecken“ durch dauerhafte Lösungen ersetzt werden.

Positiv über die Berliner „Pop-Up-Radwege“ hat sich die „Deutsche Umwelthilfe“ geäußert. Der umstrittene Abmahnverein empfahl das Kreuzberger Beispiel sogar als bundesweites Vorbild. Starke Zweifel am Nutzen des Vorgehens hat dagegen der ADAC. Volker Krane, Verkehrsvorstand des ADAC Berlin-Brandenburg, warf dem Berliner Senat vor, eine Notsituation auszunutzen, um Gruppeninteressen zu verfolgen. Auf der Grundlage eigener Vor-Ort-Zählungen bezweifelt der Automobilklub auch, dass sich die Anteile von Autoverkehr und Radverkehr tatsächlich so weit verschoben haben, dass nun quasi im Schnellverfahren der Straßenraum neu verteilt werden muss. Festgestellt hatte der ADAC bei seiner Zählung, dass siebenmal mehr Pkw als Radler unterwegs waren.

Auch der Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB), Christian Amsinck, warf der Senatsverwaltung für Verkehr vor, „im Handstreich“ den Verkehrsraum in Berlin umzubauen, ohne dabei die Belange der Wirtschaft zu berücksichtigen. Tatsächlich steht durch die eilig eingerichteten Radwege nicht nur Pkw-Fahrern weniger Platz zur Verfügung, sondern auch Paketdiensten, Lieferanten und dem öffentlichen Nahverkehr. Massive Probleme für Linienbusse durch lange Warteschlangen vor Ampeln werden bereits aus der Kantstraße und der Neuen Kantstraße gemeldet. Zieht man die Parkplätze und die neu eingerichteten Radwege ab, bleibt für den fließenden Verkehr in den beiden viel befahrenen Straßen häufig nur noch eine Spur pro Richtung.

„City-Maut“ gegen Berufspendler

Mittlerweile wird die Corona-Krise noch für ein anderes Wunschprojekt der Grünen als Argument genutzt: Fraktionschefin Antje Kapek nutzt Folgen der Pandemie als Argument für die Einführung einer Straßennutzungsgebühr für die Berliner Innenstadt. Angesichts starker Einnahmeverluste im öffentlichen Personennahverkehr in den vergangenen Monaten sagte Kapek: „Wir haben bereits jetzt eine Finanzierungslücke von 1,9 Milliarden Euro bei der BVG.“ Um den zusätzlichen Geldbedarf aus dem Landeshaushalt zu decken, will Kapek die „City-Maut“ oder eine verpflichtende Nahverkehrsabgabe für alle Berliner einführen.

Welche Kosten auf Autonutzer durch eine Innenstadt-Maut zukommen könnten, macht ein kürzlich vorgelegtes Diskussionspapier des Wissenschaftszentrums Berlin deutlich. Die Autoren des Papiers schlagen einen dreijährigen Modellversuch innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings vor.

Der Preis einer Maut-Tageskarte für Autofahrer würde sich dabei am Tarif einer Tageskarte für den öffentlichen Nahverkehr orientieren. Schon jetzt wären dies fast neun Euro, hinzu kämen noch Parkgebühren von zwei Euro je Stunde. Mit den genannten Beträgen wäre das Thema Autofahren in der Berliner Innenstadt insbesondere für weniger betuchte Berufspendler vermutlich erledigt.


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Kommentare

sitra achra am 13.06.20, 11:17 Uhr

Dass Rot-Grüne keine Verkehrsexperten sind, hat ja das Spektaktel um den BER bewiesen.
Mit der jetzigen Popup-Politik befeuert der Magistrat eine ideologisch geprägte Appetizerpolitik, die zielgenau auf das schräge Weltbild ihrer Klientel zugeschnitten ist.
Ökonomische und sicherheitstechnische Aspekte scheinen dabei offensichtlich keine Rolle zu spielen.

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