19.04.2025

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Bei der Bonner Konferenz am 27. Februar 1971: Dr. Herbert Czaja spricht über die damalige Ostpolitik
Bild: picture allianceBei der Bonner Konferenz am 27. Februar 1971: Dr. Herbert Czaja spricht über die damalige Ostpolitik

Erinnerung

Verpönt – verleumdet – verkannt

Herbert Czaja hat keine Memoiren hinterlassen, aber ein Vermächtnis. Am 18. April 1997 ist er verstorben

Stefan P. Teppert
18.04.2025

Bei der Landeskulturtagung der Landsmannschaft Nieder- und Oberschlesien im Haus der Heimat in Stuttgart am 28. Oktober 2024 stellte Christine Czaja Leben und Wirken ihres Vaters Dr. Herbert Czaja dar, der langjähriger Bundestagsabgeordneter für die CDU und Präsident des Bundes der Vertriebenen war.

Wie wohl kaum einem anderen Menschen sind Christine Czaja Lebensweg, Charakter, Glauben, Ziele und Wirken ihres Vaters vertraut, hat sie ihn doch Jahrzehnte lang bis zu seinem Tod zu Hause in Stuttgart und in Bonn tatkräftig unterstützt und viele seiner öffentlichen Auftritte miterlebt. Als vom Vater testamentarisch bestimmte Archiv-Nachlassverwalterin kennt die ehemalige Lehrerin einschlägige Manuskripte, Briefe und Publikationen, Quellen und Archive. Manchem deutschen und polnischen Doktoranden konnte sie daher nützliche Auskünfte erteilen. Sie selbst hat 2003 in dem Band „Herbert Czaja. Anwalt für Menschenrechte“ aufschlussreiche Aufsätze versammelt und damit eine erste Aufarbeitung zu einer noch wenig erforschten Gestalt der Zeitgeschichte von kaum zu überschätzender Wirkungsmacht geliefert. Immer, wenn sie über ihren Vater spricht, holt Christine Czaja eigentlich etwas nach, was dieser konsequent mied: von sich selbst Aufhebens zu machen und eigene Verdienste in den Mittelpunkt zu stellen. Diese Bescheidenheit ist wohl auch der Grund dafür, dass Czaja zwar keine Memoiren, aber ein Vermächtnis hinterlassen hat.

Charta der Vertriebenen
Zu Beginn ihres Vortrags bezog sich Christine Czaja auf drei Roll-ups, die gerade im Haus der Heimat aufgestellt waren, gestaltet vom Kurator des Museums der Bessarabiendeutschen in Stuttgart-Ost Olaf Schulze, auf denen in konzentrierter Form die Charta der Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 und ihre Auswirkungen dargestellt sind. Auf einem der dort wiedergegebenen Fotos ist unter den 150.000 Vertriebenen vor den Ruinen des Stuttgarter Neuen Schlosses, die damals dem Verzicht auf Rache und Vergeltung und dem visionären Aufbau eines vereinten Europas ihr Votum gaben, auch Czaja als Stadtrat von Stuttgart zu sehen. Damit setzte die Vortragende einen Akzent der Charakterisierung ihres Vaters, der zeitlebens ein fürsorglicher, Nöte lindernder, auf Ausgleich und Versöhnung bedachter Friedenspolitiker war, die deutsche und europäische Teilung überwinden und eine gesamteuropäische föderale Ordnung der Staaten, Völker und Volksgruppen schaffen wollte.

Herbert Czaja, am 5. November 1914 in Teschen, Österreichisch-Schlesien, geboren, wuchs behütet in einem katholischen, sozial engagierten und toleranten Elternhaus auf. Als seine Heimat 1920 Polen zugeschlagen wurde, musste die deutsche Minderheit um ihre nationale Selbstbehauptung ringen. In Skotschau, wo er aufwuchs, lebten drei Völker und Religionen friedlich miteinander, solange es den Kaiser gab. Der Versailler Vertrag bedeutete den Untergang dieser Harmonie und die Teilung des Städtchens zwischen Polen und Tschechien. Dennoch blieb der fließend polnisch sprechende Czaja stets rücksichtsvoll gegenüber anderen Nationen und bewahrte seine Achtung vor den in ihrer Kultur und Geschichte begründeten Lebensrechten. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen weigerte er sich, der NSDAP beizutreten. Der in Krakau 1939 über „Stefan George und sein autonomes Menschentum“ promovierte Germanist war Oberschullehrer, bevor er zum Gegner jeder Art von Atheismus, Chauvinismus und Radikalismus wurde.

In Stuttgart, seiner Wahlheimat, gründete er 1948 mit der aus Bad Cannstatt stammenden Kinderkrankenschwester Eva-Maria Reinhardt eine Familie und engagierte sich unermüdlich im Stadtrat der Landeshauptstadt wie auch später im Deutschen Bundestag für die Belange der Flüchtlinge wie Lastenausgleich, Eingliederung, Existenzförderung, Renten, Schul-, Gesundheits- und Familienpolitik. Mit dem Sozialen Wohnungsbau hatte er bis Mitte der 1960er Jahre ein einflussreiches Ressort im Bundestag inne. Eine enge Zusammenarbeit pflegte er mit dem sudetendeutschen Augustinerpater Dr. Paulus Sladek und dem schwäbischen Domkapitular Prof. Dr. Alfons Hufnagel, die wie er selbst hervorragende Kenner der scholastischen Theologie waren, besonders des Albertus Magnus und Thomas von Aquin. Geprägt von diesen Kirchenlehrern und der christlichen Gesellschaftslehre setzten die Freunde neue sozialpolitische Maßstäbe.

Sein Wirken und das seiner Frau als Fürsorgerin in den Flüchtlingslagern um Stuttgart in der unmittelbaren Nachkriegszeit ist ein eigenes Kapitel. Czaja gehört zum politischen Urgestein der Bundesrepublik Deutschland. Er spielte eine maßgebliche Rolle bei der friedlichen Integration von zwölf Millionen Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland und gehörte zusammen mit Herbert Hupka zu den großen „Kümmerern“ und Fürsorgern der damaligen Vertriebenen und später auch der Aussiedler.

In seiner Treue zu Verfassung und Völkerrecht hielt der CDU-Politiker mehr als vier Jahrzehnte, bis zu seinem Tod 1997, daran fest, über die deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße nur in einem gerechten Interessenausgleich mit Polen innerhalb einer gesamteuropäischen Friedensordnung zu verhandeln. Mit seinem Kampf für das Recht auf die Heimat, den Schutz von Minderheiten und ihren Menschenrechten wurde er zum Gegner der Ostpolitik von Willy Brandt und geriet zuletzt selbst in den eigenen Reihen in die Isolation. Czaja hat jedoch niemals die Wiederherstellung der Reichsgrenzen vom 31. Dezember 1937 gefordert, wie ihm viele ohne Kenntnis seiner Argumentation vorwarfen, sondern beharrte immer nur auf den Rechten der Deutschen, wie sie sich aus Geschichte und Völkerrecht ergeben.

Czajas Buch „Ausgleich mit Osteuropa. Versuch einer europäischen Friedensordnung“ erschien 1969 und fand bald auf Umwegen über Wien Verbreitung in den osteuropäischen Ländern, eigenartigerweise finanziert von seinem politischen Gegner Herbert Wehner, der damals Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen war. Der Inhalt dieses Buches ist immer noch brisant. Seine Schrift über „Verletzungen von Menschenrechten“ war an epochemachender Stelle präsent, auch in Übersetzungen: bei den Konferenzen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE).

Verfassungsbeschwerde
Zu seinen größten politischen Erfolgen zählten diejenigen Verfassungsbeschwerden von 1973, durch die verhindert werden konnte, dass seine in der Heimat verbliebenen oberschlesischen Landsleute samt sämtlichen Aussiedlern aus der deutschen Staatsangehörigkeit entlassen wurden, wie es die Ostverträge vorsahen. Trotz vielfacher Bemühungen, führte Christine Czaja aus, sei es durch die „Neue Ostpolitik“ lange nicht zu wesentlichen menschlichen Erleichterungen gekommen.

1970 wurde Czaja in Bad Godesberg zum Präsidenten des Bundes der Vertriebenen gewählt, ein Ehrenamt, das eigentlich einen Vollzeitberuf darstellt, nicht zu Karrierezwecken taugt, sondern viel Verschleiß mit sich bringt, wie der Kandidat schon am Wahlabend wusste. Dennoch übte er das Amt in einer schwierigen Zeit voller heftiger Auseinandersetzungen um die sogenannte Neue Ostpolitik und politischer Umwälzungen 24 Jahre lang aus. Da die meisten Vorsitzenden des BdV bis dahin aus der SPD gekommen waren, sah sich Czaja zunächst nur als Übergangspräsident. Aber als Repräsentant der Heimatvertriebenen fiel ihm eine langfristig defensive Aufgabe zu, weil die damalige Regierungskoalition aus SPD und FDP eine in seinen Augen verfehlte Ostpolitik begonnen hatte. Seine unverbrüchliche Solidarität mit den Vertriebenen trug ihm viel Feindschaft ein, im Plenarsaal musste er Spott und Häme über sich ergehen lassen, die linksliberale Presse hetzte, von links- wie auch rechtsextremer Seite kamen zahlreiche anonyme Anrufe und Drohbriefe vor allem ins Bonner Büro, aber auch in die Stuttgarter Privatsphäre. Czajas sonntägliche Spaziergänge mit der Familie wurden selten, denn an den Wochenenden trat er als Redner auf. Alle seine Reden hat der unermüdliche Arbeiter selbst konzipiert und oft noch während der Anfahrten ausgearbeitet. Zweifellos ist es nicht zuletzt Herbert Czaja zu verdanken, wenn der Bund der Vertriebenen allen Versuchen, ihn zu marginalisieren, widerstanden hat und bis heute eine gesellschaftliche Kraft geblieben ist.

Dieses verantwortungsvolle Amt nahm er neben seinem Mandat als Mitglied des Deutschen Bundestages wahr, das er 1953 bis Ende 1990 ununterbrochen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ebenso gewissenhaft versah, darüber hinaus behielt er seine Bürgersprechstunden im Stuttgarter Wahlkreis bei. Intensiv kümmerte er sich um jeden einzelnen Menschen, der seinen Rat und seine Hilfe suchte, egal, ob der ihn gewählt hatte oder nicht. Es ging ihm um das Wohl der Menschen, nicht um seine spätere Wahl.

Bezeichnenderweise bat der tiefgläubige Christ in seinem Testament seine Mitmenschen um Verzeihung, falls er sie einmal ungerecht behandelt haben sollte. Erst nach Herbert Czajas Tod am 18. April 1997 erfuhr die Familie, dass er 37 Jahre lang bis 1990 vom polnischen Geheimdienst observiert worden war. Nur gut, meinte Tochter Christine, dass er am Telefon nie jemanden kompromittierte, stets vorsichtig war und häufig Abkürzungen verwendete, um Personen unkenntlich zu machen.

Handeln als Christ
Ausgiebig zitierte die Referentin aus den biografischen Aufzeichnungen des Volksschulfreundes Karl Walter Neumann, die 1984 erschienen sind und ein menschlich nahes, gemütvolles Bild von Herbert Czaja zeichnen, wie es die Presse, zumal die vertriebenenunfreundliche nie vermochte. Sie zitierte auch aus der Predigt, die Kardinal Joachim Meisner, ein schlesischer Landsmann, zum Sechs-Wochen-Amt am 23. Juni 1997 im Bonner Münster hielt und dabei den Verstorbenen treffend charakterisierte. Als in der Heimaterde und im Vaterland Verwurzelter sei Czaja gleichermaßen fähig gewesen, nationale Interessen zu verfolgen und kosmopolitisch am Schicksal der Völker mitzugestalten. Als „Erdenbürger mit Himmelsperspektive“ sei er ein Prophet der Menschlichkeit und ein Brückenbauer, ein Segen für das Schicksal unseres Volkes gewesen. Pragmatisch habe er, ohne Ideologie und Nostalgie, die Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn gesucht.

Ein einziger Vortrag könne nicht ein Leben darstellen, das noch eng mit dem österreichischen Kaiserreich verbunden war und bis zum Ende des 20. Jahrhunderts reichte, schloss Christine Czaja ihre Ausführungen, sie habe lediglich Marksteine setzen können. Eingehende Akten- und Archivstudien seien vonnöten, um ein geschlossenes Bild zu entwerfen. Stoff für selbstständige Vorträge hergeben würde beispielsweise seine Tätigkeit als Stuttgarter Stadtrat 1947-53 (Czaja war bis 1951 der einzige Vertriebene in diesem Gremium), als Sprecher der katholischen Vertriebenenorganisationen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Landsmannschaft der Oberschlesier, aber vor allem seine aufreibende Zeit als Präsident des Bundes der Vertriebenen. Mittlerweile liegen etliche Dissertationen vor – auch in polnischer Sprache –, die sich mit dem BdV und den Landsmannschaften befassen und umfangreiche Kapitel auch dem Wirken von Herbert Czaja widmen, doch bleiben Desiderate, die wohl erst zu bearbeiten sind, wenn der umfangreiche Nachlass in Christine Czajas Besitz der Forschung zugänglich gemacht ist.

Vieles von dem, was ihr Vater als Politiker bewirken wollte, sei von politischen Gegnern und kommunistischer Hasspropaganda verzerrt, verpönt und verleumdet worden. Auch damals wurde schon mit Desinformation gearbeitet, um unliebsamen Meinungen und Repräsentanten zu schaden, sie unglaubwürdig zu machen oder sie gar ihrer Würde zu berauben. Deshalb ist es für Tochter Christine bis heute ein Herzensanliegen, das Wesen ihres Vaters und sein bleibendes Vermächtnis bis zur Kenntlichkeit von Diffamierung und Verunglimpfung zu befreien.


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