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Antisemitismus

Verrat der Linken an den Juden

Jean Améry prangerte schon den Antisemitismus der 68er an, der als linker Judenhass lebendig ist

Holger Fuß
03.02.2024

Wer jemals die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz besucht hat, wer in den Häftlingsbaracken stand und mit der Hand die hölzernen Etagenbettgestelle berührte, auf denen die Menschen kauerten und litten, den konnte dort das Empfinden durchzucken, was es bedeuten kann, dem Bösen in all seiner Entschlossenheit zu begegnen. Und wer Fotos von Jean Améry betrachtet, kann spüren, wie sich das Entsetzen über Unsagbares in die Gesichtszüge dieses Mannes gefurcht hat.

Jean Améry war ab Januar 1944 in Auschwitz inhaftiert, die Gefangenen-Nummer 172364 hatten ihm SS-Wachleute auf den linken Unterarm tätowiert und ein nie wieder schwindendes Grauen in sein Gemüt. „Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt“, schrieb er später über seine erlittenen Peinigungen. „Dass der Mitmensch als Gegenmensch erfahren wurde, bleibt als gestauter Schrecken im Gefolterten liegen.“ 1978 nahm er sich das Leben.

Geboren wurde Améry 1912 als Hans Mayer in Wien. Sein Vater war, wie der Sohn überliefert, „geborener Volljude“ und fiel im Ersten Weltkrieg. Seine Mutter „war Christin, aber nicht ,rein arisch', wie ich später erfuhr“. Der Junge wuchs im katholischen Milieu auf, erst Anfang der 30er Jahre, als in Wien der Judenhass florierte und allenthalben Hakenkreuze prangten, wurde der 19-Jährige sich seines Jüdischseins bewusster. Vollends machten ihm die Nürnberger Rassengesetze von 1935 klar, dass er „für die Mehrheit aller Deutschen und Österreicher“ als Jude galt, auch wenn sich „meine Kenntnis biblischer Vorgänge auf die Josephs-Tetralogie Thomas Manns“ beschränkte.

Selbst als Jude verfolgt
Er, der an keinen Gott glaubte und auf der Flucht vor den Nationalsozialisten eine jüdisch-orthodoxe Chanukkah-Feier in den Pyrenäen als zutiefst befremdlich erlebte, wurde ob seiner Herkunft als Jude markiert, verfolgt und schließlich ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht. Als er dort 1945 befreit wurde, war der Mann, der bislang Hans Mayer hieß, 32 Jahre alt. Er lebte fortan in Belgien und änderte seinen Namen um in Jean Améry. Jean heißt französisch Hans und Améry ist ein Anagramm von Mayer. 1966 wurde der Name notariell beglaubigt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Améry bereits publizistisches Ansehen erworben, er schrieb von Brüssel aus als Kulturjournalist für Schweizer Zeitungen und bundesdeutsche Rundfunkhäuser und machte vor allem französische Literatur und Philosophie im deutschsprachigen Raum bekannt. In die Stadt Paris verliebte er sich, Jean-Paul Sartre wurde „so etwas wie meine ,Vaterfigur'“.

Mit seiner Essaysammlung „Jenseits von Schuld und Sühne – Bewältigungsversuche eines Überwältigten“ gelang ihm 1966 im deutschsprachigen Raum der Durchbruch. Die Schilderungen seiner Erlebnisse in den Konzentrationslagern gehören zu den zentralen Texten der Holocaustliteratur: „Ich trage auf meinem linken Unterarm die Auschwitz-Nummer; die liest sich kürzer als der Pentateuch oder Talmud und gibt doch gründlicher Auskunft. Sie ist auch verbindlicher als Grundformel der jüdischen Existenz.“

Zeitlebens empfand sich Améry zudem als Linker, vielleicht auch, weil zwischen Juden und Linken von jeher eine tiefe Verbindung bestand. „Beide waren sie Minoritäten, beide gehörten sie zu ,Verdammten dieser Erde'“, schreibt er 1973. Es ist eine Beziehung, „deren Ende brüsk durch das Jahr 1967 markiert ist“. Die neue Linke, wie sie in Gestalt der Studentenbewegung in Europa und den USA ihr Haupt erhob, zeigte ihre judenfeindliche Fratze. Für Jean Améry entrollte sich ein weiteres existenzielles Drama, das sein letztes Lebensjahrzehnt verdüstern sollte.

Texte von brisanter Aktualität
Unter dem Titel „Der neue Antisemitismus“ hat Amérys Hausverlag Klett-Cotta nun ein Bändchen mit sieben Essays
aus den Jahren 1969 bis 1978 herausgebracht. Die Texte lesen sich streckenweise, als wären sie nach den Massakern
der Hamas-Terroristen in Israel am 7. Oktober 2023 verfasst worden. „Doch neu ist in der Tat die Ansiedlung des als Anti-Israelismus sich gerierenden Antisemitismus auf der Linken“, schreibt Améry. „Einst war das der Sozialismus der dummen Kerle. Heute steht er im Begriff, ein integraler Bestandteil des Sozialismus schlechthin zu werden.“

Wie damals, Ende der 60er Jahre, marschieren auch gegenwärtig linksradikale Antifa-Aktivisten an der Seite pro-palästinensischer Judenverächter auf deutschen Straßen und skandieren die Vernichtung des Staates Israel. Im tendenziell linken Kulturbetrieb gewinnt die Israel-Boykott-Bewegung BDS seit Jahren wachsenden Einfluss. Auf der Documen-ta 15 wurden 2022 Künstler aus Israel ausgesperrt und offen antisemitische Bilder gezeigt. An deutschen Universitäten häufen sich antisemitische Vorfälle, Graffitis mit Davidsternen auf dem Campus sollen jüdische Studenten einschüchtern.

All diese Attacken gegen Juden, die uns seit Oktober vergangenen Jahres schockiert haben und die Juden in Deutschland in tiefe Verunsicherung katapultieren, haben einst im Kielwasser der Achtundsechziger-Bewegung ihren Ausgang genommen. Schon damals attestierte Améry den aufmüpfigen Studenten der neuen Linken einen Mangel an Empathie und „Trägheit des Herzens“, wie er sie bislang nur bei rechtsgesinnten Judenverächtern vorgefunden habe – „die Allianz des antisemitischen Stammtisches mit den Barrikaden“.

Zu den tragischen Verstrickungen, die in Amérys Essays sichtbar werden, gehören auch seine Beurteilung der Haltung deutscher Konservativer zu Israel. Wo sich „die Rechte“ als „genuin pro-israelisch hinstellt, flößt sie mir Skepsis ein“, schreibt Améry. „Die Rechte, vergessen wir's nicht, ist für eine Ordnung, die Unterdrückung heißt.“ Zweifellos schwingen hierbei Erinnerungen an eine parlamentarische Rechte mit, die den Steigbügelhalter für Hitler gab.

Aber dass er Franz Josef Strauß und den Verleger Axel Springer als unzuverlässige Israel-Freunde bezeichnet, kann aus heutiger Sicht nur als grobe Fehleinschätzung gelten. Jedenfalls hat sich der strukturelle Konservatismus des Staates Israel, der seit Gründung fortwährend seine Existenz verteidigen muss, zum nachkriegsdeutschen Konservatismus bislang als näherstehend erwiesen als zur nachkriegsdeutschen Linken.

Jean Améry: „Der neue Antisemitismus“, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2024, broschiert, 128 Seiten, 18 Euro


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Kommentare

Peter Faethe am 05.02.24, 08:25 Uhr

Die verflossene Sowjetunion rühmte sich seit ihrer Entstehung der Abwesenheit von Antisemitismus.
Das ist leicht zu beweisen:
Die Rote Armee hatte im Sept./Okt. 1939 bei ihrem Überfall auf Polen ca. 15´000 Offiziere des polnischen Heeres gefangengenommen. Davon waren 4400 im Kriegsgefangenen-Lager in Katyn.
Diese wurden sämtlich unbürokratisch und ohne antisemitische Diskriminierungen aus der Kriegsgefangenschaft entlassen.
Ob der gefangene Offizier nun katholisch oder jüdisch war – jeder bekam ohne Unterschied den Genickschuss.

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