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Der Dichtergott der Wiener Moderne – Vor 150 Jahren wurde Hugo von Hofmannsthal geboren
Mit Preußen hatte Hugo von Hofmannsthal naturgemäß als Wiener so seine Schwierigkeiten. Zum einen pflegte er eine Brieffreundschaft mit einem preußischen Unternehmer (siehe Seite 11). Zum anderen betonte er in ironischer Weise gegenseitige Vorurteile. In einer schematischen Gegenüberstellung von Stereotypen beider Völker, die im Kriegsjahr 1917 in der Berliner „Vossischen Zeitung“ erschienen war, bezeichnet er den Preußen als „selbstgerecht, anmaßend, schulmeisterlich“, während der Österreicher „verschämt, eitel, witzig“ sei.
Gut möglich, dass bei den letzteren Eigenschaften der Autor an sich selbst gedacht hat. Mit verschämten, eitlen und witzigen Dramen und Gedichten wurde der am 1. Februar 1874 geborene Hofmannsthal schon früh zum Star der Wiener Moderne, zu der Dichterkollegen wie Arthur Schnitzler, Joseph Roth, Karl Kraus und Robert Musil, Maler wie Gustav Klimt oder Egon Schiele, Komponisten wie Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Hugo Wolf, Alban Berg oder Anton von Webern sowie Siegmund Freud mit seiner „Traumdeutung“ zählten.
Heute ist sein Name jedem geläufig, aber sind es seine Werke auch noch? Anders als ein anderer großer moderner Autor aus dem Habsburgerreich, dessen dieses Jahr gedacht wird: der vor 100 Jahren gestorbene Franz Kafka, wird Hofmannsthal weniger gelesen als gesehen – und gehört. Sein Mysterienspiel „Jedermann“ gehört seit 1920 zum alljährlichen Aufführungsritual der Salzburger Festspiele, die Hofmannsthal mitbegründet hat.
Zunächst hatte er gehofft, sein allegorisches Schauspiel „Das Salzburger große Welttheater“ würde ihn auf den Festspielen unsterblich machen. Es kam anders. Heute strömt das Publikum jeden Sommer nach Salzburg, um über dem Domplatz den lang gezogenen Ruf „Jeee-deer-mann“ erschallen zu hören, mit dem der personifizierte Tod aus verschiedenen Richtungen zum finalen Bühnentanz auffordert. Die Rolle des Jedermann gilt als Auszeichnung in der Schauspielwelt.
Auch mit anderen Bühnenwerken wird der Name Hofmannsthal dauerhaft verbunden sein: mit jenen sechs Opern von Richard Strauss, für die er die Librettos schrieb. Noch viele nachfolgende Generationen dürften sich in den Opernhäusern der Welt an „Elektra“, „Der Rosenkavalier“, „Die Frau ohne Schatten“ oder „Arabella“ erfreuen.
Ob Salzburg oder Strauss – überall steckt Hofmannsthal drin, ohne dass es den meisten bewusst ist. Sein Schicksal ist, dass fast alle seiner anderen über zwei Dutzend Dramen von den Spielplänen der Theater inzwischen verschwunden sind. Das dürfte sich auch im Jubiläumsjahr kaum ändern. Dabei hatte er zu Lebzeiten einen rasanten Aufstieg erfahren. Bereits mit Mitte zwanzig und der Veröffentlichung einiger Gedichte wurde er als Genie hofiert. Der Lyrikerkollege Stefan George warb darum, ihn in seinen elitären Dichterkreis aufnehmen zu dürfen.
Zu diesem Zeitpunkt stand Hofmannsthal bereits an einem poetischen Scheidepunkt, den er 1902 in seinem sogenannten Chandos-Brief selbst ausdrückte: Ihm fehlten die Worte, um die Welt erfassen zu können. So schrieb er in dem sprachkritischen Essay: „Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen.“
Ein Manifest der Moderne
Der fiktive „Brief“ – Hofmannsthal lässt darin den Lord Chandos an den englischen Renaissance-Philosophen Francis Bacon schreiben – ist so etwas wie ein Manifest der Moderne. Damit hat Hofmannsthal den sich im Fin de Siècle unter vielen Schriftstellern manifestierenden Sprachskeptizismus zum Ausdruck gebracht. Gegen Ende der fast 68 Jahre dauernden Regierungszeit Franz Josephs I. flüchteten sich viele Autoren in einen Ästhetizismus, der den starren und verkrusteten Gesellschaftsformen entsprach, aber keinen Ausweg mehr zu einer lebendigen Poesie fand.
Hofmannsthal drückte das in seinem 1899 entstandenen, aber erst posthum veröffentlichten Werk „Das Bergwerk zu Falun“ aus, das die Dramatisierung einer Erzählung des Königsberger Schriftstellers E. T. A. Hoffmann ist. Geschildert wird, wie in dem verschütteten Bergwerk ein in Vitriolwassser konservierter Leichnam nach 50 Jahren geborgen wird und als junger Mann von seiner inzwischen gealterten Braut wiedererkannt wird.
Ähnlich mumifiziert empfand Hofmannsthal die Sprache und Poesie seiner Zeit. Als Konsequenz verzichtete er nach Veröffentlichung des Chandos-Briefs vollständig auf das Verfassen von Lyrik. Es war keineswegs so, dass er nicht weiterhin produktiv gewesen wäre – er schrieb weiterhin Dramen, Librettos, Erzählungen, Essays –, doch es folgte der Absturz vom Olymp als gefeierter Dichter. So schrieb Thomas Mann: „Wenn er nach den Gedichten und ersten lyrischen Spielen gestorben wäre, es ist wahr, er wäre ein Gott gewesen.“
Doch Hofmannsthal hatte noch rund 30 Jahre zu leben. Er starb 1929 im Alter von 55 Jahren nach einem Schlaganfall, den er auf dem Gang zum Begräbnis seines durch Suizid umgekommenen ältesten Sohnes erlitt. Bis dahin war er nicht mehr der Dichtergott, sondern eher, wie sein Landsmann Robert Musil diese Generation beschrieb, ein Mann ohne Eigenschaften: kaisertreu, dem morbiden Charme des Verfalls der Donaumonarchie ergeben, auf den Untergang hoffend.
Der kam mit dem Ersten Weltkrieg, in dem Hofmannsthal noch patriotische Reden hielt. Er war ganz „ein Kind seiner Zeit“, wie sein nur zwölf Jahre älterer Schriftstellerkollege Hermann Broch in seinem langen Essay „Hofmannsthal und seine Zeit“ festhielt, einer, der das „Vakuum“ vor dem Krieg spürte, was ihm die Kraft der Sprache raubte.
Nach dem Krieg fand er seine Sprache wieder. Mitte der 20er Jahre versuchte er mit dem Schauspiel „Der Turm“ eine Art Comeback. Uraufgeführt wurde es aber erst 1948 in Wien, wie das meiste von ihm auch erst posthum erschienen ist. Zwei Drittel seiner Werke wurden erst nach seinem Tod erschlossen. Darin ist er wieder Kafka ähnlich, dessen Werk nach seinem Tod auch nur durch die Beharrlichkeit seiner Freunde gerettet wurde.
In beiden Fällen hat der S. Fischer Verlag gute Nachlassarbeit geleistet. An der „Kritischen Ausgabe“ der Werke Hofmannsthal hat man rund 50 Jahre lang gearbeitet. Sie umfasst 28.500 Seiten in 40 sündhaft teuren Bänden, wobei der letzte vor zwei Jahren für 325 Euro erschienen ist. Mit geradezu preußischer Akribie hat man daran gefeilt. Damit kann Hofmannsthal getrost zu Grabe getragen werden.