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Heute eröffnete im Berliner Deutschlandhaus das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Ein Gespräch über die Konzeption und die künftige Arbeit eines einzigartigen Gedenkorts in der deutschen Erinnerungslandschaft
Es war ein weiter Weg. Seit 1999 die damalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach und der SPD-Politiker Peter Glotz die Idee eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ präsentierten, wurde viel darüber diskutiert, wie Deutschland der Opfer von Flucht und Vertreibung gedenken soll. 2005 vereinbarte die Bundesregierung ein „sichtbares Zeichen“ zur Erinnerung an den Heimatverlust von Millionen Ost- und Auslandsdeutschen. Im Jahr 2008 nahm die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung unter Gründungsdirektor Manfred Kittel ihre Arbeit auf. 2009 begann die Sanierung des Berliner Deutschlandhauses, nach deren Abschluss nun das Dokumentationszentrum unter der Ägide von Gundula Bavendamm eröffnen konnte.
Frau Bavendamm, über das Dokumentationszentrum ist viel diskutiert worden, lange bevor es überhaupt seine Arbeit aufnahm. Deshalb zunächst die Frage: Was ist das für ein Haus, das nun in der Mitte Berlins entstanden ist?
Ganz allgemein ist es das „sichtbare Zeichen“, das die Bundesregierung 2005 beschlossen hatte, einen Impuls des Bundes der Vertriebenen und dessen langjähriger Präsidentin Erika Steinbach aufgreifend. Trägerin ist die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung unter dem Dach der Stiftung Deutsches Historisches Museum. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Erinnerung an Flucht und Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat in Mittel- und Osteuropa am Ende des Zweiten Weltkriegs und danach sowie die Thematisierung von Vertreibungen in der Gegenwart.
Das Wort „Dokumentationszentrum“ klingt eher technisch. Was verbirgt sich inhaltlich dahinter?
Es ist ein Haus, in dem vor allem die Sammlungen der Stiftung gezeigt werden. Die Besucher erwartet eine Ständige Ausstellung auf 1300 Quadratmetern auf zwei Etagen. Außerdem gibt es einen Saal für Sonderausstellungen, in dem wir uns einmal im Jahr einem speziellen Aspekt widmen. Im Frühjahr 2022 fangen wir hier mit der vom Jüdischen Museum Frankfurt konzipierten und realisierten Ausstellung „Unser Mut. Juden in Europa 1945–48“ an, die sich der Lebenssituation der Überlebenden der Shoah in der Nachkriegszeit widmet.
Wir haben ferner einen Raum der Stille, in dem die Besucher über das Thema Flucht und Vertreibung vertieft nachdenken können. Zu den Kernelementen des Hauses gehören nicht zuletzt eine große Präsenzbibliothek mit tausenden Fachbüchern und belletristischen Werken zum Thema Flucht und Vertreibung sowie ein umfangreiches Archiv, in dem Dokumente der Vertreibungsgeschichte eingesehen und Zeitzeugeninterviews gehört werden können. Das alles ist kostenfrei und öffentlich zugänglich.
Was ist nach dem grundlegenden Umbau vom alten Deutschlandhaus geblieben?
Das alte Deutschlandhaus ist in vielem noch lebendig. So trägt das Gebäude weiterhin diesen Namen. Im Foyer sind drei Buntglasfenster aus dem früheren Treppenhaus des Deutschlandhauses zu sehen, die auf Schlesien, Pommern und Ostpreußen verweisen. Außerdem gibt es Räume, die noch das alte Interieur haben. Das gleiche gilt auch für das frühere „Café Stresemann“, das nun als Restaurant „Margarete“ neu ersteht. Der Name stammt von der schlesischen Großmutter des Gastronomen, der dieses Restaurant betreiben wird.
Die alte Stiftung Deutschlandhaus ist 1999 erloschen, ein Teil ihrer Bestände ist in den Besitz der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung übergegangen. Der Gründungsdirektor unserer Stiftung, Manfred Kittel, hat ab 2010 damit begonnen, eine Objektsammlung zusammenzutragen. Über die Jahre haben wir zudem sehr viele Exponate und Dokumente überlassen bekommen, sodass wir künftig in der Lage sind, in großer Breite Familiengeschichten und Einzelschicksale zu erzählen. Wir können zum Beispiel die Geschichte eines Handwagens zeigen, mit dem eine Familie geflohen ist. Wir können den Fluchtweg nachzeichnen, wer dabei war, wer vielleicht ums Leben gekommen ist, wo diese Menschen gelandet sind und wie sich ihr weiteres Leben gestaltet hat.
Welchen Platz nehmen die heutigen Vertreibungen in der Arbeit des Hauses ein?
Das Vertreibungsgeschehen der Gegenwart – in der Wissenschaft sprechen wir eher von Zwangsmigration – ist überall im Haus präsent. Es wäre unglaubwürdig und auch unklug, wenn wir uns abschneiden würden von den Ereignissen der Gegenwart, denn diese sind den Besuchern meist präsenter als die historische Vertreibung der Deutschen. Zudem werden diejenigen, die selbst Flucht und Vertreibung aus dem Osten erlebt haben, stetig weniger. Zwar kommen auch ihre Nachfahren zu uns, doch auch für sie ist das Thema ein historisches. Wenn wir also das Bewusstsein für den Heimatverlust von rund 14 Millionen Deutschen durch Vertreibung und Flucht wachhalten wollen, müssen wir die Geschichte immer wieder in einen Resonanzraum der Gegenwart stellen. Nicht zuletzt zeigen wir so, dass Zwangsmigration in der modernen Welt kein lokales Ereignis ist, sondern eines der ganz zentralen Probleme.
Was entgegnen Sie Ostpreußen, Schlesiern und Pommern, die befürchten, dass bei dieser Herangehensweise, die durchaus nachvollziehbar ist, das eigene Vertreibungsschicksal nach und nach an den Rand gedrängt werden könnte?
Ich bin sicher, dass jeder, der hierherkommt, erkennen wird, dass Flucht und Vertreibung der Deutschen überall im Mittelpunkt stehen. Gerade im zweiten Teil der Ständigen Ausstellung wird explizit aufgefächert, wie die jeweilige Situation in Ostpreußen, Schlesien, Pommern oder auch in Südosteuropa war. Wir haben ja nicht nur mit den Vertriebenen von östlich der Oder und Neiße zu tun, sondern auch mit der Vertreibung der deutschen Minderheiten aus Siedlungsgebieten weit außerhalb der alten Reichsgrenzen. Außerdem erzählen wir die Geschichte der Integration im Westen, von der Ankunft in den Besatzungszonen bis zur schwierigen Sesshaftwerdung in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Menschen überzeugen können, dass unsere Herangehensweise, das Geschehen in Deutschland und im östlichen Europa in einen größeren Kontext zu stellen, dem besseren Verständnis dieses Themas dient.
Die Idee eines Ortes der Erinnerung an Flucht und Vertreibung wurde in Polen und Tschechien lange kritisch bis ablehnend kommentiert. Wie ist die Lage heute?
Da hat sich vieles entspannt. Im wissenschaftlichen Beraterkreis der Stiftung haben wir sowohl einen polnischen als auch einen tschechischen Historiker sowie übrigens auch Wissenschaftler aus den USA und aus Großbritannien. Die Zusammenarbeit mit allen Kollegen ist sehr konstruktiv, und ich habe den Eindruck, dass sie aus Überzeugung Teil des Gremiums geworden sind und dies auch vertreten in ihren Ländern.
Natürlich haben wir uns auch die jeweiligen nationalen Perspektiven unserer Nachbarn angesehen, wir haben geschaut, wo es besondere Sensibilitäten gibt, und dies auch in unserer Konzeption berücksichtigt. Deshalb gehe ich nicht davon aus, dass in den nächsten Wochen ein Sturm der Entrüstung in Polen oder in Tschechien losbricht. Nicht zuletzt, weil wir eben auch andere Perspektiven darstellen, neben dem Holocaust etwa auch die Zwangsumsiedlung polnischer Bürger aus dem Osten ihres Landes in den alten deutschen Osten.
Auch vor Ort in den einstigen Vertreibungsgebieten hat sich in den letzten Jahren vieles getan, in Universitäten und Museen wird offener mit der deutschen Geschichte umgegangen. Erfahren Sie von dort Interesse an einer Zusammenarbeit?
Durchaus. Wir haben schon seit vielen Jahren Kontakte etwa zu polnischen Museen und Erinnerungsorten. In der Ständigen Ausstellung zeigen wir am Ende auch einen europäischen Epilog, in dem wir auf Projekte und Initiativen verweisen, die sich mit der deutschen Geschichte der eigenen Region beschäftigen und dabei auch auf Flucht und Vertreibung der Deutschen eingehen. In Brünn, Tschechisch: Brno, findet zum Beispiel seit Jahren der Brünner Friedensmarsch statt, der sich auf den Brünner Todesmarsch am Ende des Zweiten Weltkriegs bezieht, bei dem Tausende Deutsche ums Leben kamen. Dieser Friedensmarsch, einst von einem jungen Tschechen initiiert, ist inzwischen zu einem bedeutenden Ereignis der Region Brünn geworden, bei dem sich die heutigen Bewohner der Geschichte stellen.
Das Dokumentationszentrum sitzt inmitten einer reichhaltigen Gedenkstättenlandschaft. Wie steht man dort zu den neuen Nachbarn?
Ich stehe schon seit Jahren im Austausch mit den Leitungen der Gedenkstätten in der Nachbarschaft. Mit der „Topographie des Terrors“ auf dem Gelände des früheren Reichssicherheitshauptamtes gleich nebenan haben wir bereits gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt. Sehr gute Arbeitsbeziehungen gibt es auch zur Stiftung Exilmuseum; ein Projekt, das sich der Flucht deutscher Juden aus dem nationalsozialistischen Deutschland sowie deren Leben im Ausland widmet und hoffentlich bald am Anhalter Bahnhof, schräg gegenüber von uns, realisiert wird. Ich kann mir gut vorstellen, auch mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu kooperieren. Das alles muss natürlich wachsen.
Haben Sie ein Lieblingsexponat in Ihrem Haus?
Es gibt ein sehr schönes Exponat im ersten Teil der Ständigen Ausstellung. Dort haben wir an jeder Themeninsel sogenannte Leitobjekte, die in dieses Thema einführen. Das Leitobjekt zur Themeninsel „Wege und Lager“ ist ein Mantel mit Fellbesatz aus Ostpreußen. Dieser gehörte einst dem siebenjährigen Jungen Eitel Koschorreck, der bei Beginn der Flucht von seinen Eltern in diesen viel zu großen Mantel gewickelt wurde. Dieser Mantel war für den kleinen Eitel in den Wochen der Flucht der einzige Schutz gegen die Kälte. Entsprechend hat er den Mantel sein Leben lang aufgehoben, ihn gepflegt und wie seinen Augapfel gehütet. Jahrzehnte später hat er ihn dann an uns übergeben, sodass wir ihn nun zusammen mit historischen Fotos und Notizen aus dem Familienalbum der Koschorrecks zeigen können.
Zu guter Letzt ein Blick voraus: Kann das Dokumentationszentrum einen Beitrag dazu leisten, dass die Deutschen und ihre Nachbarn eines Tages Frieden schließen mit ihrer leidvollen Geschichte, gerade auch mit dem schmerzvollen Kapitel von Flucht und Vertreibung?
Ich hoffe es. Nicht ohne Grund tragen wir auch das Wort „Versöhnung“ im Namen. Wir versuchen, hier etwas anzubieten, das sowohl die deutschen Erfahrungen thematisiert als auch die Erfahrungen unserer Nachbarn. Wir wollen das Bewusstsein vermitteln, dass wir es bei Flucht und Vertreibung mit einschneidenden Erlebnissen zu tun haben, mit vielschichtigen Verlusterfahrungen sowie auch mit komplizierten sozialen Prozessen, etwa bei der Integration. Wir wollen zeigen, dass dies kein Thema nur der Betroffenen ist und schon gar nicht für politische Schlagabtausche geeignet ist, sondern ein universelles Thema bleibt, aus dem die gesamte Gesellschaft immer wieder ihre Lehren ziehen kann.
Das Interview führte René Nehring
• Dr. Gundula Bavendamm ist Historikerin und Kulturmanagerin. Von 2010 bis 2016 leitete sie das Berliner AlliiertenMuseum. Seit 2016 ist sie Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung.
www.flucht-vertreibung-versoehnung.de
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