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Großbritannien

Viel Vertrauen verspielt

Premierminister Johnson ist angeschlagen, doch der linke Kulturkampf könnte ihm helfen

Claudia Hansen
05.09.2020

Zu Beginn der Corona-Krise stand Boris Johnson noch blendend da in den Umfragen. Inzwischen ist er tief abgesackt. Der Premier, der die Wahl im Dezember gegen den Sozialisten Jeremy Corbyn glänzend gewonnen und dann den Brexit vollzogen hatte, wirkt unentschlossen und wankelmütig angesichts des Ernstes der Lage. In der Corona-Krise kletterte Großbritannien auf der Liste der am schwersten betroffenen Länder in Europa auf einen der vordersten Plätze. In Pflegeheimen starben erschreckend viele Alte an dem Virus, in Krankenhäusern fehlte Schutzkleidung. Gesundheitsminister Matt Hancock machte alles andere als eine gute Figur.

Dann kam hinzu, dass Johnsons Chefberater Dominic Cummings dabei erwischt wurde, wie er nach seiner Corona-Infektion trotz der Lockdown-Regeln eine weite Autofahrt zum Anwesen seiner Eltern machte. Während die Bürger sich an schmerzhafte Corona-Vorschriften halten müssten, fühle sich der Chefberater des Premiers darüber erhoben, donnerte eine kritische Presse.

In den letzten zwei Wochen gab es einen neuen Schlag für das Ansehen der Regierung: das Schulnoten-Fiasko. Das Bildungsministerium hatte nach monatelangem Unterrichtsausfall einen neuen, „modernen“ Ansatz ausprobiert, die Abschlussnoten der Schüler mit einem Computer-Algorithmus aus früheren Resultaten zu berechnen. Das ging völlig in die Hose. Hunderttausende Schüler erhielten schlechtere Noten zugeschrieben als erwartet. Nach einem Sturm der Entrüstung aus der Bevölkerung machte die Regierung eine Kehrtwende. Jetzt vergeben die Lehrer – nach ihrer subjektiven Einschätzung – die Abschlussnoten. Selbst hochrangige Tories zweifeln, ob Bildungsminister Gavin Williamson noch lange zu halten sein wird.

Derweil ächzt das Land unter der schweren Wirtschaftskrise, die das Virus und der Lockdown ausgelöst haben. Fast drei Monate lange mussten fast alle Geschäfte schließen. Zwar erholt sich die Konjunktur seit Juli etwas, doch erwartet die Notenbank noch immer die schwerste Rezession seit 300 Jahren. Noch immer ist unklar, ob bis Jahresende ein Freihandelsvertrag mit der EU geschlossen werden kann. Johnsons Versuche, einen „New Deal“ anzukündigen, mit mehr Investitionen und beschleunigten Verfahren, zündeten nicht richtig.

Schwerste Rezession seit 300 Jahren

Einzig Finanzminister Rishi Sunak, der Milliarden-Ausgaben zur Bekämpfung der Rezession angestoßen hat, ist hochpopulär. Der indischstämmige Jungpolitiker ist der Liebling in den Umfragen.

Die Werte der Tory-Partei hingegen sind von 50 Prozent zu Beginn der Corona-Krise auf etwa 42 Prozent gesunken. Labour unter dem neuen, gemäßigten und seriös wirkenden Vorsitzenden Keir Starmer hat sich auf etwa 37 Prozent verbessert. Im direkten Vergleich mit Johnson liegt Starmer sogar vorne.

Trotz der existenziellen Corona-Wirtschaftskrise leistet sich Großbritannien noch den Luxus eines von links angestoßenen Kulturkampfs. Nach den „Black Lives Matter“-Protesten und dem Sturz einiger Denkmäler versucht die Linke systematisch, die koloniale Vergangenheit des Landes aufs Korn nehmen. Die BBC wollte das patriotische Lied „Rule, Britannia“ mit der Zeile „Briten werden niemals Sklaven sein“ beim großen Sommerkonzert „Night of the Proms“ nicht mehr singen lassen. Auch „Land of Hope and Glory“ sollte plötzlich verpönt sein. Das wiederum gab eine heftige Gegenreaktion. Eine Mehrheit der Briten will das patriotische Lied singen. Johnson forderte, man müsse mit Selbstanklagen aufhören. Der konservative Politiker Jacob Rees-Mogg schrieb: „Briten dürfen sich niemals von der Politischen Korrektheit versklaven lassen.“ Die BBC ruderte inzwischen zurück. Und in den Charts der heruntergeladenen Lieder sprangen „Land of Hope and Glory“ und „Rule, Britannia“ an die Spitze.


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