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Während Deutschland einen Sonderweg geht, weitet sich die Europäische Atomkraft-Allianz weiter aus – Experten warnen vor zu viel Optimismus
Mit der Abschaltung seiner drei letzten Kernkraftwerke Mitte April 2023 hat sich Deutschland auf einen Sonderweg begeben. Schon im vergangenen Dezember hatten die Vereinten Nationen auf der Weltklimakonferenz in Dubai die Kernkraft in ihre Auflistung der Klimaschutztechnologien aufgenommen. Auf dem Klimagipfel kündigten die USA und 21 andere Staaten zudem an, ihre Kapazitäten zur Erzeugung von Nuklearenergie bis 2050 zu verdreifachen.
Unter der Führung Frankreichs haben sich vor rund einem Jahr elf europäische Staaten zu einer Allianz zusammengetan, die bei der Nutzung und Erforschung der Kernenergie zusammenarbeiten wollen. Kurz vor Ostern hat sich die Europäische Nuklearallianz erneut zu einem Gipfel in Brüssel getroffen. Diese Allianz ist mittlerweile auf 14 Staaten angewachsen. Zum Gipfel angereist waren zudem Vertreter anderer Staaten, etwa Chinas Vizepremier sowie der japanische Außenminister.
Beteiligt sind nun auch die Niederlande und Belgien, die ihre Kernkraft-Ausstiegspläne wieder aufgegeben haben. Belgien, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, war es auch, das zusammen mit der Internationalen Atomenergiebehörde zu dem Gipfel für Atomenergie nach Brüssel eingeladen hatte. Beschlossen hat die Nuklearallianz auf ihrem Treffen den Aufbau einer unabhängigen, europäischen, nuklearen Lieferkette.
Allianz unter französischer Führung
Wie dringend dies ist, zeigt sich an der Sanktionsliste der EU gegen Russland. Diese umfasst Erdgas, Öl und Kohle, nicht aber Uran. Wie Daten der Statistikbehörde Eurostat zeigen, haben sich die Importe von russischen Nuklearbrennstoffen in die EU im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2022 sogar mehr als verdoppelt. Im Jahr 2022 zahlten EU-Staaten für nukleare Brennstoffe insgesamt 280 Millionen Euro an Russland, vergangenes Jahr betrug die Summe sogar 686 Millionen Euro. Das Gewicht der Importe wuchs von 314 auf 573 Tonnen. Hauptabnehmer waren Tschechien und die Slowakei. Auch Bulgarien, Ungarn und Finnland sind stark auf russische Uranlieferungen angewiesen.
Die Euratom-Versorgungsagentur erklärt den massiven Anstieg der Russlandimporte mit Bemühungen von Abnehmern in der EU, sich für den Fall der Verschärfung von Sanktionen einen Vorrat an Brennmaterial zuzulegen. Auch die Importe der USA von nuklearen Brennstoffen stiegen im vergangenen Jahr auf ein Rekordhoch von 1,2 Milliarden Dollar. Der Wert dieser Importe legte damit im Vergleich zu 2022 um 40 Prozent zu. Die Biden-Regierung hat inzwischen die Weichen gestellt, um die Uran-Förderung in den USA und die heimische Herstellung von nuklearem Brennmaterial anzukurbeln. Branchenexperten gehen allerdings davon aus, dass die Abhängigkeit von russischen Importen noch Jahre andauern wird.
Mit Ausnahme von Ungarn sehen sich auch die europäischen Abnehmerländer nach Alternativen zum Lieferanten Ros-atom um. Frankreich droht allerdings, einen wichtigen Uranlieferanten zu verlieren. Die 56 französischen Reaktoren laufen unter anderem mit Uran aus dem Niger. Mit dem Machtwechsel im Niger können diese Lieferungen zum Erliegen kommen.
Vereinbart haben die Staaten der europäischen Atomallianz auch, ihre gemeinsame Forschung an der zivilen Nutzung der Kernkraft zu verstärken. Dabei wird es insbesondere um die neue Generation von kleinen Reaktoren gehen. Nach den Vorstellungen von Herstellern wie Rolls-Royce oder Hyundai Engineering soll die neue Generation von Reaktoren wie am Fließband vorgefertigt und dann zum Einsatzort transportiert werden. Dies ist eine Reaktion auf die Erfahrungen mit Großprojekten im Nuklearbereich. Bei den Mammutprojekten kommt es immer wieder zu Kostenexplosionen und Bauzeitüberschreitungen.
Intensive Forschung beschlossen
Zum Jahresanfang gab der Energiekonzern Électricité de France (EDF) bekannt, dass das Projekt Hinkley Point C in Südengland erst zwischen 2029 und 2031 in Betrieb gehen wird. Ursprünglich sollten die beiden Reaktoren am Bristolkanal schon 2023 ans Netz gehen. Die Kosten hatte EDF mit 21 Milliarden Euro kalkuliert, nun ist von 38 Milliarden Euro die Rede.
Trotz der Bemühungen vieler Staaten, eine nukleare Renaissance einzuleiten, warnen Branchenexperten vor allzu unrealistischen Erwartungen. Ian Edwards, Chef des großen kanadischen Anlagenbauers „AtkinsRéalis“ mahnte etwa in der „Financial Times“: „Kunden, Regierungen und auch wir selbst als Akteure in der Industrie ... wir sind alle zu optimistisch geworden.“ Edwards forderte in diesem Zusammenhang alle Beteiligten auf, sowohl die Planungen als auch die Umsetzung neuer Nuklearprojekte zu verbessern.