28.11.2025

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In seinem Arbeitszimmer im Jahr 1846: Friedrich Wilhelm IV.
Bild: Deutsches Historisches Museum/WikimediaIn seinem Arbeitszimmer im Jahr 1846: Friedrich Wilhelm IV.

Deutsche Frage

Vier kleindeutsche Lösungsversuche im Vergleich und die Lehre daraus

Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. verzichtete vor 175 Jahren mit der Olmützer Punktation darauf, seine Pläne für eine Deutsche (Erfurter) Union weiterzuverfolgen

Manuel Ruoff
28.11.2025

Die 48er-Revolutionäre scheiterten mit dem Versuch einer kleindeutschen Lösung der deutschen Frage von unten. Das lag allein schon daran, dass der als Kaiser ausersehene preußische König Friedrich Wilhelm IV. die Annahme der ihm vom Paulskirchenparlament angebotenen Kaiserkrone mit der Begründung ablehnte, dass ihr der „Ludergeruch der Revolution“ anhafte. Wenige Jahre später gelang Friedrich Wilhelms jüngerem Bruder und Nachfolger, Wilhelm I., mit der Reichsgründung von 1871 der Versuch einer kleindeutschen Lösung von oben. Das ist soweit Lehrstoff deutschen Geschichtsunterrichts.

Schon weniger bekannt dürfte sein, dass vor Wilhelm I. bereits Friedrich Wilhelm IV. nach der 48er Revolution einen Versuch unternahm, eine kleindeutsche Lösung der deutschen Frage von oben zu realisieren. Dieser Versuch scheiterte indes kläglich.

Vor 175 Jahren musste er sich auf die Olmützer Punktation einlassen. Sie war das Ergebnis einer Konferenz der drei Ostmächte Preußen, Österreich und Russland vom 28. bis zum 30. November 1850 in der besagten nordmährischen Stadt Olmütz. Preußen verzichtete auf eine Fortführung seiner Pläne für einen kleindeutschen Bundesstaat unter seiner Führung, die sogenannte Erfurter oder Deutsche Union, und erklärte sich stattdessen bereit, mit den anderen Mächten an einer Restauration des österreichisch dominierten großdeutschen Deutschen Bundes von 1815, der von der 48er Revolution in Frage gestellt worden war, mitzuwirken. In Preußen sprach man traumatisiert von der „Schande von Olmütz“, und „ein zweites Ölmütz“ wollte man dort nie erleben.

Es liegt die Frage nahe, warum Wilhelms Versuch klappte und Friedrich Wilhelms nicht. Damit hängt die weitere Frage zusammen, worin sich die entscheidenden Faktoren unterschieden.

Gescheiterte Versuche 1849 und 1850
Sicherlich war Wilhelms Ministerpräsident Otto von Bismarck ein größerer Außenpolitiker und Diplomat als Friedrich Wilhelm und dessen Minister. Auch mag die preußische Armee nach der von Wilhelm mit Bismarcks Hilfe durchgesetzten Heeresreform von 1859 bis 1866 schlagkräftiger gewesen sein als in der Herbstkrise von 1850. Allerdings sollte der Seitenwechsel Russlands von der österreichischen zur preußischen Seite nicht unterschätzt werden.

Zweifellos empfand Alexander II., der 1855 seinem Vater Nikolaus I. auf dem Zarenthron folgte, große Sympathie für seinen Onkel Wilhelm auf dem preußischen Thron. Aber es gab auch politische Gründe für den Kurswechsel.

Vor dem Krimkrieg war Russland österreichfreundlich. Es stand nicht nur in der durch die Olmützer Punktation beendeten Herbstkrise auf der Seite des Kaisertums, sondern unterstützte es auch gegen die separatistischen Ungarn während der 48er Revolution. Umso enttäuschter war Petersburg ob der Wiener Parteinahme für die Westmächte im Krimkrieg. Zwar war die Donaumonarchie im Gegensatz zu Frankreich und Großbritannien keine offene Kriegspartei, aber sie war als formal Neutraler ein derart unsicherer Kantonist, dass Russland sich gezwungen sah, sicherheitshalber an der russisch-österreichischen Grenze Truppen zusammenzuziehen, die im Kampf gegen Briten und Franzosen fehlten. Das neutrale Preußen war von allen Großmächten im Krimkrieg am russlandfreundlichsten.

Das zahlte sich für Preußen bei der Reichseinigung aus. Beim entscheidenden dritten und letzten der deutschen Einigungskriege verhielt sich keine der Großmächte preußenfreundlicher als Russland. Zwar ergriff es im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 nicht offen für Preußen Partei, doch hatte der Zar seine Bereitschaft bekundet, die Neutralität des österreichischen Nachbarn bei einem preußisch-französischen Konflikt notfalls mit Waffengewalt zu erzwingen. Russland hielt Preußen im Osten den Rücken frei.

Vereinigung 1871 und 1990
Das war bei den Westmächten etwas anders. In Frankreich liebt man bekanntlich Deutschland so sehr, dass man froh ist, wenn es gleich mehrere davon gibt. Und Großbritannien steht allein schon aufgrund seiner Gleichgewichtspolitik
jedem Einungsversuch des – abgesehen vom russische – größten Volkes Kontinentaleuropas grundsätzlich skeptisch gegenüber. Dass es aber trotzdem Frankreich nicht beisprang, als dieses 1870/71 versuchte die deutsche Einigung zu verhindern, lag nicht zuletzt auch an Bismarcks großem Geschick.

Großbritannien vertrat schon damals den Anspruch, eine regelbasierte werteorientierte Außenpolitik zu betreiben. Damit hätte es sich schwer vereinbaren lassen, sich im französischen Angriffskrieg gegen Preußen offen auf die Seite des Aggressors zu stellen. Zudem hatte Bismarck Frankreichs Geheimpläne für einen Griff der seefahrenden Großmacht nach Belgien offengelegt, aber Belgien, die kontinentale Gegenküste zur Themsemündung in den Händen einer seefahrenden Großmacht war für Großbritannien ein aus Gründen der Staatsräson unbedingt zu verhinderndes Schreckensszenario. Und trotzdem fürchtete Bismarck eine Intervention Großbritanniens zugunsten Frankreichs.

Bei der deutschen Vereinigung von 1990 war es analog. Aus dem Westen Europas kam abermals wie 120 Jahre zuvor Widerstand. Die britische Premierministerin äußerte offen ihr Missfallen, und der französische Präsident forderte als Preis für seine Einwilligung den Verzicht der Deutschen auf ihre D-Mark und ihre Mitgliedschaft in einer Währungsunion mit Weichwährungsländern wie der seinigen. Hingegen hätte ohne die Bereitschaft Russlands, die DDR zu verkaufen beziehungsweise aus dem Warschauer Vertrag zu entlassen, die deutsche Vereinigung 1990 nicht zustande kommen können. Die Vereinigung klappte also wegen der Deutschlandpolitik des Systemrivalen im Osten und trotz der Deutschlandpolitik der europäischen Freunde und Partner in EU und NATO.

Die USA auf der anderen Seite vom Teich reagierten mit der Souveränität einer Supermacht. Sie waren und sind im Gegensatz zu Großbritannien und Frankreich auch einem vereinigten Deutschland an Bevölkerungszahl und Wirtschaftspotential weit überlegen. Gerne wird dem damaligen US-Präsident George Bush senior in der Bundesrepublik für seine Deutschfreundlichkeit, die in seiner damaligen Deutschlandpolitik zum Ausdruck gekommen sei, gedankt. Dabei handelte er nur im offenkundigen Interesse der USA, denn seit klar war, dass der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl als erklärter politischer Enkel Konrad Adenauers einen Fortbestand der NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik als conditio sine qua non forderte, war klar, dass die Führungsmacht im Bündnis bei einer Vereinigung nicht auf ihren Teil Deutschlands verzichten brauchte, sondern vielmehr auch noch Mitteldeutschland erhielt.

Final lässt sich aus Autorensicht konstatieren, dass der Versuch einer deutschen Einigung mit einem widerspenstigen Russland 1850 scheitere, 1871 sowie 1990 mit einem wohlwollenden Russland gegen ein zumindest teilweise ablehnendes Westeuropa jedoch gelang.


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