25.04.2024

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Winterfreuden auf dem Eis: Lustiges Treiben vor dem Königsberger Schloss um 1941
Foto: Archiv PAZWinterfreuden auf dem Eis: Lustiges Treiben vor dem Königsberger Schloss um 1941

Winter in Ostpreußen

Vom Zauber der weißen Pracht

Königsberg versank nach langer Zeit wieder in Schneemassen – Einst und jetzt begeistern Winterfreuden die Menschen

Bärbel Beutner
08.01.2023

Eine E-Mail aus Königsberg, wie immer ein beglückender Gruß, berichtete von einem massiven Wintereinbruch Mitte Dezember 2022, mit Schnee und Minusgraden. Fotos waren beigefügt: der Dom mit weißem Dach, überzuckerte Bäume daneben, das Fischdorf vor nebelverhangener Kulisse am teilweise zugefrorenen Pregel, weihnachtlich geschmückte Geschäfte mit einer schneebedeckten Tannengirlande und bunt glitzernde Tannenbäume auf einem weißen Gehweg, im Hintergrund die Synagoge.

Das wäre nun ein richtiger ostpreußischer Winter, hieß es in dem Begleittext, aber gleich mit der Einschränkung, dass die berühmten langen und eisigen Winter in der Nachkriegszeit nicht immer eine Selbstverständlichkeit waren. Das hörten die deutschen Ostpreußen oft, wenn sie zu Besuch in die Heimat kamen. „Wenn die Deutschen erzählen, dass hier früher im Winter ganz hoher Schnee gelegen hat mit zwanzig Grad Kälte – das haben wir nicht erlebt!“, sagte ein lieber Freund. Er stammte aus Omsk in Sibirien und hatte von daher andere Erfahrungen. Auch unsere Reiseleiterin Valentina, immer chic und flott, erzählte: „Wir stehen an Weihnachten und Neujahr manchmal mit dem Regenschirm da! Richtig kalt wird es erst im Januar und Februar.“

Ein richtiger ostpreußischer Winter

Das ist schon ein Unterschied zu den Schilderungen des ostpreußischen Winters früher. Da war in Omas Erzählungen in unserer Kindheit die Rede davon, dass in Hohlwegen die Pferde bis zum Bauch einsanken. Schlittschuhlaufen in Königsberg auf dem Schlossteich und auf dem Oberteich – ein unerschöpfliches Thema auch in der Literatur. Fanny Lewald (1811–1887) schildert in „Meine Lebensgeschichte“ Schlittenfahrten durch die winterlichen Straßen Königsbergs und mit besonderem Behagen die Heimkehr in das warme Haus – wenn „in unserer nördlichen Heimat“ um 16 Uhr schon der Mond am Himmel stand. Auf dem Dorf rodelten die Kinder nicht nur brav den „Berg“ hinunter – wie man die kleinen Hügelchen in dem flachen Samland voller Stolz nannte. Nein, eine Schlange von Kinderschlitten wurde an einen Einspänner mit Schlitten gebunden – und dann ging es los. So eine Fahrt war natürlich nur den großen Jungens vorbehalten, denn ungefährlich war das nicht, und die letzten Schlittenfahrer flogen oft genug von ihren Sitzen. So erzählten jedenfalls die 30er Jahrgänge des vorigen Jahrhunderts, und vielleicht wurde bei den Heimattreffen im Westen auch mitunter „Seemannsgarn“ gesponnen ...

Ernst Wiechert (1887–1950) beschreibt den Winter als die Zeit der Einsamkeit und der schweren Gedanken, aber auch als die Zeit der frohen Feste in seiner Kindheit in Masuren. Materiellen Reichtum gab es nicht. „Unsere Rodelschlitten bestehen aus zwei abgeschrägten Brettern, über die ein drittes Brett genagelt ist.“ „Unsere ersten Schlittschuhe sind Holzpantoffeln, in deren Sohle wir einen langen Draht einhämmern.“ So erzählt er in seinen Jugenderinnerungen „Wälder und Menschen“. Der Weihnachtsmann bringt allerdings in einem Jahr dann doch „richtige“ Schlittschuhe in das Forsthaus Kleinort bei Sensburg, wo der Försterssohn Wiechert aufgewachsen ist. Ein Paar Schlittschuhe für alle drei Brüder ...

Wenige, aber rauschende Feste feierte man im Winter in dieser ländlichen Gegend, in den Wäldern. Gefeiert wurde mit Inbrunst, „als seien die Menschen, die sie feierten, auch mit dem Willen hingefahren, festlich zu sein und alles dafür zu tun“. Für das Kind war „die Fahrt schon ein Märchen, durch den tief verschneiten Wald, über den der Mond und die Sterne so standen, daß man es glauben mußte, dort sei eine andere Welt“. Der spätere Dichter erlebt hier offenbar das, was Immanuel Kant (1724–1804) beim Anblick des „bestirnten Himmels“ erkennt: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht ... Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“

Es muss der Winterhimmel in der Vaterstadt des Königsberger Philosophen gewesen sein, der ihm zeigte, dass es eine Verbindung gibt zwischen der Unendlichkeit des Weltalls und dem menschlichen Denken, ja vielleicht zwischen einer überirdischen, vielleicht metaphysischen Welt und dem menschlichen Geist.

Einen solchen Winterhimmel durfte ich in unserem Heimatdorf erleben. Es war bereits im März Ende der 90er Jahre, aber der Winter herrschte noch uneingeschränkt. Wir waren zu Besuch bei unserer Freundin Ludmilla und traten nach dem gemütlichen Abend in die klare Winterluft. Es war windstill, der Schnee glitzerte, als ich den Sternenhimmel erblickte. Eine funkelnde Welt stand über uns, leuchtend mit strahlendem Licht. Es gab ihn also wirklich, den bestirnten Himmel, nicht nur als Metapher, sondern als wahre Natur.

Für den Gymnasiasten Wiechert verband sich die Musik mit dem „leuchtenden Sternenhimmel unserer Winternächte“. Er besuchte in Königsberg „den ersten Liederabend einer großen Sängerin in dem nüchternen Saal der Börse“. Die Melodien drangen tief in seine Seele. Die Musik allein könne „zeigen, daß diese Welt nicht alles ist, was wir besitzen, sondern daß hinter ihr eine zweite Welt vorhanden ist“, versucht er die Wirkung zu beschreiben. Sie könne „die Wurzeln unserer Seele da berühren, wo Gott sie schon in seinen Händen hält“. Der Sternenhimmel über Königsberg vertieft auf dem Heimweg dieses Erlebnis.

„Der Winter ist die große Zeit der Einsamen.“ So beginnt das 5. Kapitel in dem letzten Roman „Missa sine nomine“ („Messe ohne Namen“) von Wiechert. Hier bekommt der Winter Symbolbedeutung. Es ist in dem Roman nicht der Winter in Ostpreußen, sondern der Winter in der Rhön, der die gleichen Merkmale hat. „Der Frost schrie im Eis auf dem See“, wird über Masuren gesagt. „Der Frost spaltete die Bäume im Walde wie vor einem Jahr.“ So geschieht es in der Rhön. „Der Winter ist die Zeit der langen Nächte, und alle Dinge werfen große Schatten in ihnen.“ „Große Schatten“ – das bedeutet auch schwere Gedanken und schmerzhafte Erinnerungen, „die Schreie der Vergangenheit“. Der Winter ist also auch eine bedrückende Zeit, die man „überstehen muss“. Doch Ernst Wiechert nennt ihn auch indirekt eine Zeit der Reinheit, vielleicht auch der „Reinigung“. „Er ist nicht die Zeit der Tiere und der Blumen, sondern die der Sterne ... Es ist kalt und rein wie die Sterne selbst.“

Zeit der langen Nächte

Für die alten Ostpreußen bedeutet der Winter trotz aller erheiternden Kindheitserinnerungen auch immer die Zeit des Schreckens, als sie auf vereisten Straßen und in klirrender Kälte die Heimat verlassen mussten. Besonders der Januar ruft das Fluchttrauma immer wieder hervor, auch bei den Kindern und Enkeln der Betroffenen. Es wird von „damals“ erzählt.

Eine Ostpreußin, die bei Kriegsende noch sehr klein war, berichtete einmal von ihrem Besuch bei russischen Freunden irgendwo im Samland. Man saß in fröhlicher Runde zusammen, als die Rede auf den Krieg kam. Eine russische Nachbarin erzählte von ihrer Mutter, die mit ihrem Säugling ein Vierteljahr vor der Front flüchtete, bis sie endlich im Dorf ihrer Eltern ankam, am Ende ihrer Kräfte und mit einem entkräfteten, aber noch lebenden Kind. Dann erzählte die deutsche Besucherin ein Erlebnis aus ihrer frühen Kindheit, als eine Tante nach einigen Jahren aus der Gefangenschaft zurückkam. Unvergesslich blieb für sie das Weinen der Großmutter, die ihre Tochter in die Arme schloss. Die Erzählerin hatte den Blick gesenkt und mehr zu sich selbst gesprochen. Als sie aufschaute, sah sie Tränen in den Augen ihrer russischen Gastgeber. Der „leuchtende Sternenhimmel unserer Winternächte“ in Ostpreußen hatte sich hier geöffnet.


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