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Kommunalwahlen

Von Bürgern, Parteien und Unmut

Wahlen in Vorpommern bestätigten, was lange „in der Luft“ lag – Bündnisse allerorten bestimmten die Wahl

Thorsten Seegert
16.06.2024

Am Sonntag wurde in Vorpommern gewählt – nicht nur das Europäische Parlament, sondern auch Kreistage, Städte- und Gemeindevertretung sowie Bürgermeister standen zur Wahl. Schon Wochen zuvor gab es dabei ungewöhnliche Entwicklungen, für die vor allem die etablierten Parteien sorgten.

So erklärte beispielsweise der Staatssekretär für Vorpommern, Heiko Miraß, seine Kandidatur auf der SPD-Liste für den Kreistag des Landkreises Vorpommern-Rügen. Ob es sich, vorausgesetzt er erhält ein entsprechendes Mandat vom Wähler, um einen Interessenkonflikt handelt, bleibt abzuwarten. Es verdeutlicht aber in jedem Fall, dass es den Sozialdemokraten in Vorpommern an Bindekraft und Persönlichkeiten zu fehlen scheint.

Probleme der Etablierten
Auch die Schwäche der CDU, die in den ersten beiden Jahrzehnten nach 1989 die politische Landschaft Vorpommerns prägte, zeigt sich an ihren Mitgliedern. Beispiel Rügen: Hier verwunderte ein Parteimitglied aus Lohme, welches sowohl für das Bürgermeisteramt als auch für die Gemeindevertretung kandidierte und sich noch vor der Wahl mit einem Rundbrief an die Bürger wandte. In diesem rief er zur Wahl der mit der CDU konkurrierenden Wählergemeinschaft „Bewahrt Lohme!“ auf. Zuvor hatte die eigene Ortsgruppe versucht, seine Kandidatur zu verhindern. Als dies nicht möglich war, ließen die Parteifreunde ihre Mitgliedschaften ruhen und gründeten eine eigene Wählerinitiative.

Überhaupt die CDU! Während man in Garz, der ältesten Stadt der Insel Rügen, in der vergangenen Wahlperiode die eigenen Sympathisanten verlor, die nun mit einer eigenen Wählergruppe bei dieser Wahl in Konkurrenz zur CDU angetreten war, konnte die CDU-Ortsgruppe des Ostseebades Binz nicht widerstehen, die Wahlwerbung der Wählergemeinschaft „Bürger für Binz“ einem eigenen „Faktencheck“ zu unterziehen.

Bevormundung kritisiert
Die Bürger haben sich in vielen Städten und Gemeinden formiert. Sie nennen sich selbstbewusst „Gemeinsam für ...“ oder „Bürger für ...“ und „Bündnis für ...“. Auslöser war übrigens oft der Unmut über die Politik, welche in den vergangenen Jahren „über die Köpfe der Bürger hinweg“ entschieden habe. In Beggerow bei Demmin ging es „gegen Windräder“, auf Rügen „gegen ein LNG-Terminal“ (wir berichteten). Der Unmut war also schon vor der Wahl spürbar – nun mobilisierte er.

Messbar war das in der Wahlbeteiligung zwischen 61,4 Prozent (Vorpommern-Rügen) und 64,4 Prozent (Vorpommern-Greifswald) und in den Stimmengewichtungen. In beiden pommerschen Kreistagen werden nun nach der Wahl am vergangenen Sonntag die CDU (mit 28,8 beziehungsweise 23,9 Prozent) und die AfD (25,8 Prozent beziehungsweise 29,6 Prozent) den politischen Diskurs bestimmen. SPD, Linke und Grüne können dem nichts entgegensetzen.

Das Wahlergebnis der Linken hat sich im Vergleich zur letzten Wahl im Landkreis Vorpommern-Rügen von 16,3 Prozent auf etwa 9,4 Prozent fast halbiert. So jedenfalls der Stand der Auszählung am 10. Juni um 3.07 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt fehlte in beiden pommerschen Landkreisen noch je das Ergebnis eines Wahlbezirkes (Quelle: wahlen.mvnet.de).

Basis fehlt
Allerdings können auch die Wahlergebnisse auf der Kreistagsebene nicht darüber hinwegtäuschen, dass es den Parteien in den Gemeinde- und Stadtvertretungen an Zustimmung fehlt. Allen Parteien ist gemein, dass es ihnen an einer Basis auf der unteren Ebene fehlt, was auch die Landes- und Bundespolitik besser erklärt. Auf kommunaler Ebene stehen alle Parteien mit den Bürgern und deren Wählergemeinschaften in direkter Konkurrenz.

Zur Realität gehört auch, dass die Parteien in einigen Gemeinden längst keine eigenen Kandidaten mehr aufstellen können, das gelingt eher in den Städten. Dazu kommt, dass die Bürger wiederum mit ihren Initiativen längst auch erste Mandate in den beiden Kreistagen erringen – wie die „Bürger für Vorpommern-Rügen“ oder die „Bürger für Stralsund“. Letztere hatten in der vergangenen Wahlperiode Großdemonstrationen auf dem Alten Markt von Stralsund veranstaltet, zu denen Tausende von der Insel Rügen und dem pommerschen Festland strömten. Die Mobilisierung war für Wählergruppen ungewöhnlich, die überregionale Bekanntheit ist gegeben.

Schlangen vor Wahllokalen
So verwunderte es nicht, dass sich an diesem Sonntag schon früh Schlangen vor Wahllokalen bildeten. Bis zu 45 Minuten in Greifswald oder 60 Minuten in Binz mussten die Wähler zur Wahl anstehen.

In Waase auf der Insel Ummanz gingen sogar die Wahlzettel aus. Einige Wähler gaben entnervt auf und machten sich auf den Heimweg.

Erbitterter Kampf in Sassnitz
Mit viel Spannung wurde das Ergebnis der Stadtvertretung in Sassnitz auf Rügen erwartet. Die Stadt kam durch die Auseinandersetzung um einen LNG-Standort im Ortsteil Mukran bundesweit in die Schlagzeilen. Der Schlagabtausch war erbittert. Zwei Bürgerbegehren wurden durch CDU und SPD verhindert. Die Initiatoren des Bürgerentscheides sind zwischenzeitlich vor Gericht gezogen, Vertreter beider Parteien wurden im Wahlkampf auf Flugblättern für „unwählbar“ erklärt.

Der „politische Flurschaden“, der hier im Zuge von LNG durch die Landes- und Bundespolitik bei SPD und CDU entstanden ist, lässt sich nun auch in Zahlen der Wahl zur Stadtvertretung messen – AfD: 23,9 Prozent, Bürger für Sassnitz 22,3 Prozent, dahinter abgeschlagen die SPD mit 13,8 Prozent und die CDU mit 12,6 Prozent, Alternative Freie Wählergemeinschaft 8,5 Prozent, Linke 5,9 Prozent, FDP 4,1 Prozent (Quelle: NDR, Stand: 10. Juni, um 5.37 Uhr).

Zündstoff LNG-Terminal
Dieses Ergebnis wird in den kommenden Tagen für Betrachtungen und Interpretationen sorgen. Abzuwarten bleibt, ob die Partei Alternative für Deutschland in der Lage sein wird, diesen massiven Protest gegen das Flüssiggas-Terminal auch in Sachpolitik umzusetzen. Zweifel daran sind nicht unberechtigt, weil in der vergangenen Wahlperiode die Fraktion der Partei zerfiel und die Mandatsausübung schließlich zum Erliegen kam.

Festzustellen ist aber auch: Es sind neue Mandatsträger, die an den LNG-Protesten beteiligt waren. Wenn nun ein Bürgerentscheid gegen das Flüssiggas-Terminal im Sassnitzer Hafen Mukran durch die neuen Mehrheiten in der Stadtvertretung zustande käme, wäre es letztlich das, wofür Tausende Bürger in Sassnitz gekämpft und auch ihre Unterschrift geleistet haben.


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