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Musik

Von der Musik gerettet, nach dem Krieg verurteilt

Zur Geschichte der Philharmonie des Generalgouvernements in Krakau (1940–1945)

Jolanta Lada-Zielke
22.07.2024

Lange wurde über die Existenz der Philharmonie des Generalgouvernements in Krakau nicht gesprochen. Der Gründer dieser Institution war nämlich Hans Frank, der Kriegsverbrecher, der zugleich ein großer Kunst- und Musikliebhaber war.

Nach der Besetzung Polens durch die Wehrmacht im September 1939 und der Bildung des Generalgouvernements mit der Hauptstadt Krakau übernahm Frank das Amt des Generalgouverneurs. Hier errichtete er nicht nur eine brutale Besatzungsherrschaft, hier beschloss er auch, sich einen langen persönlichen Traum zu erfüllen: die Gründung eines philharmonischen Orchesters, welches das Beste im Dritten Reich werden sollte.

Der Lebenstraum eines Kriegsverbrechers
Die Philharmonie des Generalgouvernements – kurz: GG-Orchester – war das einzige Ensemble im besetzten Polen, das ausschließlich aus polnischen Musikern bestand. Nach dem Krieg und dem Ende der deutschen Besatzung wurden diese jedoch vom kommunistischen Polen verfolgt. Selbst ihre vormaligen Kollegen, die weniger Glück hatten und während der Besatzung körperlich arbeiten mussten, behandelten die ehemaligen Mitglieder des GG-Orchesters abweisend. Auch heute wird in Polen stark darüber diskutiert, ob die Mitglieder des Orchesters Opfer oder Kollaborateure des NS-Regimes waren.

Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Krakau einige kleine symphonische Ensembles, aber keine Philharmonie im eigentlichen Sinne. Erst im Juli 1940 gründete Frank hier die Philharmonie des Generalgouvernements als eine offizielle musikalische Institution. Dazu gehörten 93 der besten polnischen Musiker aus Warschau, Posen, Kattowitz, Lemberg, Tarnów und Krakau. Nur der Konzertmeister, der 21-jährige Fritz Sonnleitner aus München war Deutscher. Der erste künstlerische Leiter der GG-Philharmonie wurde Hans Rohr und der zweite Dirigent Rudolf Erb, der zwei Jahre später einen philharmonischen Chor gründete. In anderen Krakauer Kultureinrichtungen – wie der Oper, dem Ballett und später dem SS- und Polizeitheater – arbeiteten fast nur Deutsche als Künstler.

Polnische Musiker kamen aus verschiedenen Gründen in die GG-Philharmonie: einige, um der KZ-Deportation oder der Zwangsarbeit, zum Beispiel im Baudienst, zu entgehen. Andere wurden von den Besatzern dazu gezwungen, wie die Harfenspielerin Helena Rostkowska-Smoczny, die von Warschau nach Krakau ziehen musste. Man gab ihr eine Wahl: Krakau oder Auschwitz. Ihre Entscheidung für Krakau hat sich nicht nur für sie ausgezahlt. Später holte Rohr die Mitglieder ihrer Familie aus Auschwitz und aus dem Gefängnis heraus.

Konzertkarten günstiger als Zucker
Das Eröffnungskonzert des GG-Orchesters fand am 14. Oktober 1940 im Gebäude der „Urania“ statt, das auch heute noch Sitz der Krakauer Philharmonie ist. Auf dem Programm standen Werke von Bach, Beethoven und Brahms. In der lokalen „Krakauer Zeitung“ erschien eine enthusiastische Rezension, in der man den stürmischen Beifall des Publikums hervorhob. In den fünf Jahren der Besatzung gab die Philharmonie insgesamt 210 Konzerte in Krakau und anderen Städten des Generalgouvernements. Das Ensemble trat zunächst für das deutsche Publikum auf, und dann wiederholte es das gleiche Programm für die Polen.

Die Eintrittspreise zu den Philharmonischen Konzerten lagen zwischen 2,30 und 10,30 Zloty inklusive Garderobe. Zum Vergleich: Während des Krieges kostete ein Kilo Roggenbrot fünf Zloty, ein Liter Milch 1,5 Zloty, ein Kilo Rindfleisch acht bis zehn Zloty. Am teuersten war der Zucker, ein Kilogramm kostete zwischen 18 und 20 Zloty. Die Orchestermitglieder verdienten 500 Zloty und der Konzertmeister 680 Zloty im Monat. In der Philharmonie gab es eine Kantine, in der die Musiker zu Mittag essen konnten. Sie bekamen Lebensmittelgutscheine, auch für Wodka, den sie gegen Nahrungsmittelprodukte eingetauscht haben.

Erst 2010 haben zwei ehemalige Geiger des GG-Orchesters etwas von dieser Zeit erzählt. Leszek Izmaiłow (1925–2019), der zweite Konzertmeister seit 1943, kam als 17-Jähriger in das Ensemble: „Im GG-Orchester habe ich weder einen Druck noch eine Demütigung gespürt. Dort herrschten nur Mozart, Beethoven und Haydn. Die Deutschen haben uns mit einem gewissen Respekt behandelt.“ Die jüngste Musikerin des Orchesters war die erst 13-jährige Elżbieta Wysocka, die in der zweiten Geige zusammen mit ihrem Vater Kazimierz spielte.

Eine Insel europäischer Klassik inmitten des Krieges
Das Repertoire des GG-Orchesters bestand hauptsächlich aus Werken deutscher und österreichischer Komponisten: Bach, Beethoven, Brahms, Cornelius, Haydn, Mozart (vor allem im Mozartjahr 1941), Schubert, Schumann, Johann Strauss, Weber und Wagner. Man spielte auch französische, italienische und sogar slawische Stücke von Tschaikowsky und Smetana. Im Jahr 1942 hob man das Verbot der Aufführung der polnischen Komponisten auf, sodass man auch die Musik von Kurpiński, Chopin, Moniuszko und anderen spielen durfte.

Allerdings wollten polnische Solisten nicht, dass ihre Namen auf Plakaten erschienen, um den Verdacht zu vermeiden, dass sie freiwillig mit den Besatzern kollaborierten. Diese Probleme hatten deutsche Solisten, die das Orchester zu Gastauftritten nach Krakau einlud, zum Beispiel die berühmten Wagner-Sänger Marta Fuchs und Julius Patzak, nicht. Was den polnischen Musikern jedoch am meisten in Erinnerung blieb, war der hervorragende Auftritt des Pianisten Wilhelm Kempff, der im Oktober 1941 Chopins Konzert in f-Moll spielte. „Hans Frank war gerührt von unserem Chopin-Spiel. Er hatte Tränen in den Augen, als er unsere Musik hörte; was ihn jedoch nicht daran hinderte, die Hinrichtungen unserer Landsleute zu befehlen“, so Izmaiłow später.

Als Hans Rohr seine Familie zu Weihnachten 1941 in Deutschland besuchte, starb er dort unerwartet an einem Herzinfarkt. Kazimierz Wysocki schrieb über ihn einen Artikel für „Ilustrowany Kurier Polski“, in dem er feststellte, dass dieser Dirigent durch die Kunst eine Brücke zwischen den beiden Nationen bauen wollte: „Als Mensch war Dr. Rohr sehr gut. Es gibt kein Mitglied unseres Orchesters, dem er in diesen schwierigen Zeiten nicht geholfen hat, sei es durch seinen Einfluss oder durch direkte finanzielle Unterstützung“. Nach dem Krieg bestraften die kommunistischen Behörden Wysocki für diesen Nachruf mit einem sechsmonatigen Berufsverbot.

Beethoven wichtiger als Gestapo
Nach dem Tod Rohrs wurde Rudolf Hindemith, Cellist und Dirigent sowie Bruder des Komponisten Paul, neuer künstlerischer Leiter der GG-Philharmonie. Der Überlieferung nach war er nicht so freundlich wie Rohr, konnte wütend werden und schreien, hat allerdings niemanden im Orchester schlecht behandelt. Einmal rettete er sogar einige Orchestermitglieder, die gerade in eine Razzia hingeraten waren und nach Auschwitz deportiert werden sollten. Er holte sie aus der Menge heraus und schrie, dass er wegen der Gestapo nicht proben könne, und dass Beethoven das Allerwichtigste sei. Hindemith forderte auch die Herausgabe zweier jüdischer Musiker aus dem Konzentrationslager Płaszów, wo sie in Steinbrüchen arbeiten mussten. Dank ihm überlebten sie den Krieg.

Ab Herbst 1942 leitete Rudolf Erb den 80-köpfigen Philharmonischen Chor, der im Repertoire Bachs „Magnificat“, Haydns „Die Schöpfung“, Brahms „Requiem“ und Beethovens „Neunte“ hatte. Man stellte doppelt so viele Ausweise für Chormitglieder aus als tatsächlich angestellt waren. So bekamen viele Bedürftige eine fiktive Arbeitskarte. Sie kamen aber nie zu den Proben und niemand wusste, ob sie singen konnten.

1944 begann Rudolf Hindemith gesundheitlich zu schwächeln, und seine Aufgaben übernahm der österreichische Dirigent Hans Swarowsky. Zwar war seine Kandidatur umstritten, weil er angeblich „zu viele jüdische Verbindungen“ habe. Schließlich empfahl ihn Richard Strauss für die Stelle. Swarowsky behandelte die Musiker auf die gleiche Weise wie seine Vorgänger.

Das Ende und die Neuaufstellung einer Krakauer Philharmonie
In der letzten Saison des GG-Orchesters – vom 17. Oktober 1944 bis zum 14. Januar 1945 – fanden 35 Konzerte statt, die meisten davon für polnische Bürger. Im Laufe des Jahres 1944 verließen viele Deutsche Krakau, weil die Ostfront herannahte. Zu Beginn des Jahres 1945 wurde angeordnet, das gesamte Notenmaterial des Orchesters nach Deutschland zu transportieren. Ganze Sätze der Symphonien von Brahms, Beethoven, Bruckner, Schumann und anderen, von dem Wiener Universal, von den deutschen Peters und Breitkopf herausgegeben, sollten dazu in Kisten verpackt werden. Swarowsky schaute aufgrund einer gewissen Vermutung in eine der Kisten tiefer hinein und sah, dass dort ganz oben eine Stimme der ersten Geige lag – und darunter nur Zeitungen. Er lächelte nur in sich hinein und dachte: „Na dann, habt ihr ja nach dem Krieg etwas zum Spielen.“

Sein letztes Konzert in Krakau dirigierte Swarowsky mit der „Neunten“ Beethovens am 9. Januar 1945 für die Deutschen und am 14. Januar für die Polen. Dann packte er seine Sachen und verließ die Stadt für immer. Vier Tage später tauchte die Rote Armee in Krakau auf.

Am 3. Februar fand das erste Konzert in der neugegründeten Krakauer Philharmonie statt, die man von nun an für die erste und einzige richtige halten sollte. Einige Musiker des ehemaligen GG-Orchesters durften dort nicht spielen. Die anderen stellte man vor eine Verifizierungskommission. Izmaiłow wurde gefragt: „Haben Sie in diesem deutschen Orchester gespielt?“; „Ja“, antwortete er. „Haben sie das genossen?“ – „Ja.“ Und das war alles. Elżbieta Wysocka versuchte, die Dirigenten der GG-Philharmonie zu verteidigen: „Es waren keine schlechten Deutschen, sondern wunderbare Musiker! Es war mir eine große Freude, in diesem Ensemble zu spielen“. Dann gab die Kommission ihr Urteil schriftlich ab: „Aufgrund ihrer Minderjährigkeit erteilen wir unserer Kollegin nur einen strengen Verweis“.

Einen Verweis konnte man ebenso dafür bekommen, wenn man dem Gouverneur Frank die Hand schüttelte, wenn dieser einem polnischen Künstler gratulieren wollte. Die härteste Strafe war ein dreimonatiges Berufsverbot.

Izmaiłow und Wysocka hielten hingegen ihre Mitwirkung an dem Orchester für keine Kollaboration mit den Deutschen: „Dies war eine rein künstlerische Institution. Außerdem wollten alle leben und den Krieg überleben.“

Jolanta Łada-Zielke ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt auf kulturelle Themen. Sie schreibt unter anderem fürklassik-begeistert.de“.


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Kommentare

Chris Benthe am 23.07.24, 13:36 Uhr

Hochinteressante und bewegende Geschichte, danke.

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