27.07.2024

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Tuberkulose-Abwehr

Von ersten Fürsorgestellen zu Lungenheilanstalten

Zwischen 1900 und 1930 wurden in Ostpreußen zahlreiche Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Krankheit unternommen

Margund Hinz
21.09.2023

Die erste „Fürsorgestelle für Lungenkranke und Tuberkulöse“ Königsbergs, entstanden im Jahr 1904, konzentrierte sich in ihrer Arbeit zunächst auf Gesundheitsförderung und Beratung der Erkrankten. Sie bot ihnen und ihren Familien wirtschaftliche Hilfen wie Lebensmittelabgabe und Beihilfen zu den Kurkosten an und unterstützte sie durch praktische Wohnungsfürsorge in Form von Bettenlieferung und Desinfektionsmaßnahmen.

Um die Verbreitung der Tuberkulose in den Familien zu verhindern, unterwies die Fürsorgestelle den betroffenen Personenkreis. Als einige Jahre später ein Fürsorgearzt im Nebenamt angestellt wurde, trat die Erfassung der Tuberkulosekranken in den Vordergrund. Dem Stand der Wissenschaft gemäß vollzog sich die Auswahl der Kranken für Kuren in Heilstätten, die in Ostpreußen zuerst um 1900 in Geislienen im Kreis Hohenstein und 1907 im Stadtwald von Allenstein durch den Verein zur Errichtung von Lungenheilstätten entstanden.

1908 errichtete man im etwa 25 Kilometer von Königsberg entfernten Schneewalde ein Erholungsheim für Frauen. Es nahm an der geschlossenen Lungentuberkulose im Anfangsstadium Erkrankte oder Gefährdete auf. Die guten Erfahrungen mit diesem Heim führten zur Gründung einer ähnlichen Einrichtung für Männer in Klein-Hoppenbruch. Diese ist aber während des Ersten Weltkrieges nicht für Tbc-Kranke genutzt worden, sondern diente als Kriegslazarett.

Gesundheitsförderung ab 1904
Erst ab Mai 1929 konnten, aus wirtschaftlichen Gründen bedingt, in Schneewalde wieder Leichterkrankte und von Tuberkulose Bedrohte aufgenommen werden. Zu den Heilmaßnahmen gehörten Liegekuren und geeignete Ernährung. Die notwendige Hygiene und individuelle Fürsorge sollte durch regelmäßige, in kurzen Abständen durchzuführende Arztbesuche gesichert werden.

In Königsberg selbst schuf man nahe der Stadtgrenze eine Schrebergartenanlage, um Bedürftigen Gelegenheit zu geben, sich tagsüber an frischer Luft aufzuhalten. Die Plätze wurden an geeignete Tbc-Kranke vergeben, die sich in Fürsorge befanden. Eine bereitgestellte einfache Kücheneinrichtung und der Anbau von Obst und Gemüse ermöglichte es ihnen und ihren Familien auf Dauer im Garten zu bleiben und dosiert zu arbeiten. Die auf dem Gelände der Gartenanlage erbaute Liegehalle stand für Tagesliegekuren in ambulanter Behandlung befindlicher Kranker zur Verfügung.

Schrebergärten für die Gesundheit
Auch nach dem Ausscheiden der Gartenanlage aus der Verwaltung der Fürsorgestelle oblag die Verteilung der frei werdenden Plätze weiter dem Gutachten der Fürsorgeärzte. In der Nähe baute eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft, angeregt durch die Fürsorgestelle, einen Häuserblock. Darin wurden viele Wohnungen für Lungenkranke nach Vorschlägen der Fürsorgeärzte bereitgestellt. Durch Teilnahme eines Arztes der Fürsorgestelle an den Sitzungen des Wohnungsamtes suchte man die Wohnungsnot der Tbc-Kranken zu steuern.

Unter der Leitung des Stadtmedizinalrates Dr. Franz Jankowski erfolgte Anfang der 1920er Jahre der Ausbau der Fürsorgestelle in zunehmender Trägerschaft der Städtischen Gesundheitsbehörde. Sie führte die Bezirksfürsorge ein, die eine vertiefte Erfassung der Tbc in den Familien ermöglichte. Eine erfolgreiche Diagnostik in der Bevölkerungsgruppe der Jugendlichen konnte in enger Verbindung mit der Schulfürsorge gesichert werden. Den Schulkindern kamen überdies Tagesfahrten ins Freie mit Verpflegung und Aufenthalte in Erholungsheimen im Wald oder an der See zur Tuberkuloseabwehr zugute.

Ausflüge für Kinder
Die ärztliche Tätigkeit der Fürsorgestelle war darauf begrenzt, die frühzeitige diagnostische Feststellung der Erkrankung zu sichern. Die Durchführung von Umgebungsuntersuchungen in Schule, Betrieb und Heim erlaubten auch eine wirksame „Entseuchung“, bei der latente Infektionsquellen beseitigt wurden. Initiiert von Jankowski ist 1921 in der Städtischen Krankenanstalt von Königsberg unter Leitung von Professor Harry Scholz eine selbstständige Tuberkulose-Abteilung eröffnet worden. Ihr sowie der Medizinischen Klinik gliederte man je eine Fürsorgestelle an. In den Provinzstädten und Landkreisen vollzog sich der Aufbau von Fürsorgestellen in ähnlicher Weise wie in der Hauptstadt, nur etwas später. Sie wurden überwiegend von Kreis- oder Kommunalärzten geleitet. In größeren Provinzstädten gab es spezielle Fürsorgeärzte. In dem Regierungsbezirk Gumbinnen gelang es dem Medizinalrat Dr. Franz Ickert, in Kürze ein dichtes Netz an Fürsorgestellen zu schaffen.

Aufbau von Fürsorgestellen
Die 1926 gegründete Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der Tuberkulose hatte maßgeblichen Anteil am Ausbau der Tuberkulosefürsorge in der Provinz Ostpreußen. Sie stellte die finanziellen Mittel zur Ausstattung der Fürsorgestellen mit Röntgenapparaten bereit. Ferner widmete sie sich der Vor- und Fortbildung der an Fürsorgestellen beschäftigten Ärzte und der Praktiker, die mittels Kursen zur Arbeit mit Tuberkulosekranken geschult wurden.

Die dreiwöchigen Lehrgänge fanden an Krankenhäusern in Hohenkrug und Königsberg statt. Darauf folgte eine achttägige Arbeit in der modellhaft eingerichteten Fürsorgestelle Heinrichswalde und in Form von kürzeren Vortragsreihen an unterschiedlichen Orten. Auch die Krankenschwestern auf den Gemeindepflegestationen und die Fürsorgerinnen wurden in regelmäßigen Abständen in Vorbereitungs- und Fortbildungskursen für ihre Arbeit mit Tbc-Kranken geschult. Die Lehrer befähigte man durch Unterricht dazu, notwendige Kenntnisse über die Erkrankung in der Schule zu vermitteln. Besonders gefördert wurden überdies Schuluntersuchungen. Nach dem Bericht der Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der Tuberkulose des Jahres 1929 waren bis zum Ende des Vorjahres 177.172 der rund 225.000 Schulkinder untersucht worden. 1929 erhielten 4970 Kinder eine Kur in Erholungsheimen.

Im Verlauf eines Jahrzehnts nach dem Ersten Weltkrieg gewannen operative Maßnahmen in der Behandlung der Lungentuberkulose an Bedeutung. Dadurch änderte sich die Auswahl der Patienten, die in den Heilstätten zu behandeln waren. Sie nahmen jetzt auch bislang abgelehnte, schwer Lungenkranke auf. Ziel war es, dass diese Patienten ihre Arbeitsfähigkeit wiedererlangten. Die Dauer der Kuren richtete sich nach dem Erfolg der kombinierten Behandlung.

Um das Jahr 1928 wurde in Stadtheide bei Tilsit ein modernes Tuberkulosekrankenhaus mit 110 Betten eröffnet. Der Stadtarzt Dr. Theodor Rehberg, zugleich Leiter der Inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses in Tilsit, übernahm die Leitung. Er hatte sich zuvor in der Thoraxchirurgie vorgebildet. Nach dem Stand von 1930 hatte sich in der gesamten Provinz Ostpreußen die Tuberkulosefürsorge zunehmend erfolgreich entwickelt.


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