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Geschichte

Von großer Vielfalt in Mitteleuropa

Simon Winder legt mit der „Habsburg-Saga“ den zweiten Teil seiner Trilogie vor

Karlheinz Lau
25.11.2023

Der Autor Simon Winder wurde 1963 in London geboren. Er ist Cheflektor des englischen Verlags Penguin Books und zählt zu den bekannten englischen Historikern, die sich mit deutscher Geschichte auseinandersetzen. Dazu gehören unter anderem Ian Kershaw oder Christopher Clark. Die „Habsburg-Saga“ ist der zweite Band von Winders Mitteleuropa-Trilogie.

Schon der Titel sagt, dass es kein gewöhnliches Buch über die Geschichte der Habsburger Monarchie ist. Zwar wird in den 15 Kapiteln die Chronologie vom Anfang im ausgehenden Mittelalter und bis zum Ende des Ersten Weltkrieges eingehalten, die zahlreichen Überschriften aber zeigen die einzelnen, persönlichen Impressionen des Autors zum jeweiligen historischen Gegenstand an.

Nach eigenem Bekunden hat er zur Recherche für sein Buch alle Gebiete und Territorien, die im Laufe der Jahrhunderte Habsburger Besitz waren oder unter seinem Einfluss standen, besucht und erlaufen. Das ist schon eine Mammut-Aufgabe gewesen. Die in der Bibliografie auf 13 Seiten aufgelisteten Quellen waren mit Sicherheit unentbehrliche Ratgeber. Fünf Karten aus verschiedenen Epochen der Geschichte des Geschlechtes vermitteln einen Eindruck.

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation oder die Doppelmonarchie mit den Gebieten, die von Wien oder von Budapest aus regiert wurden, oder die heutige Republik Österreich vermitteln ein Bild vom Umfang der Territorien, die im Kern Mitteleuropa umfassen.

Alle Territorien erlaufen
Es waren aber nicht nur unterschiedliche, auch politisch geformte Gebiete mit eigener Kultur und nicht nur Deutsch als einziger Umgangssprache. Bekannt ist die Vielfalt der Sprachen der Völker in Ost-Mitteleuropa und auf dem Balkan wie Polnisch, Russisch, Türkisch, Ungarisch und Jiddisch und nicht zu vernachlässigen die vielen Dialekte, denen der reisende Autor begegnete.

Eindrucksvolles Beispiel für die Vielseitigkeit der Aspekte, mit denen er sich auseinandersetzen musste, ist das Kapitel „Die Sieben Burgen“ , gemeint ist Siebenbürgen. Auch der Abschnitt „Das andere Europa“ zeigt Winders Arbeitsweise. Die vielseitigen Eindrücke, die er auf den Reisen gesammelt hat, seine historischen und kunstgeschichtlichen Kenntnisse, seine Interpretationen mit Bezügen zur gegenwärtigen Situation in den besuchten Gebieten vereinigen sich zu interessanten Darstellungen mit oft überraschenden und bisher unbekannten Details.

Ein Beispiel bietet das Kapitel „Zipser und Piasten“. Hier geht es um die Eroberung Schlesiens durch Friedrich den Großen. Überhaupt werden gemäß dem chronologischen Grundmuster die wichtigsten, in der Regel Geschichtsinteressierten bekannten Ereignisse der Habsburger behandelt: die Gefahr durch die Türken, die Reformation, der Dreißigjährige Krieg, das Ende des Heiligen Römischen Reiches, das Ende der Habsburger Monarchie 1918, wie auch das Schicksal der österreichischen Republik bis zum Ende des Kalten Krieges.

Im Schlusskapitel reflektiert er seine mehr als 15 Jahre währende Arbeit an diesem Buch in allen Facetten. Er konzen-triert sich auf das 20. Jahrhundert mit seinen häufig brutalen Veränderungen in den ehemaligen Territorien der Habsburger und den Schicksalen der Menschen. Er spricht von rotem Terror und nationalsozialistischem Terror, von den deutschen Vernichtungslagern in Polen, er nennt deutsche Städte ohne Deutsche, polnische Städte ohne Polen.

Blick auf das 20. Jahrhundert
Das Attentat in Sarajewo 1914 führte nicht nur zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, sondern es begann an den Rändern der Doppelmonarchie zu brodeln mit den Ergebnissen, dass Polen und Tschechen, Slowaken, Rumänen, Slowenen und Italiener mit stellenweise extremem Nationalismus ihre Interessen als selbstständige politische Einheiten formulierten. Der Kalte Krieg schaffte dann nach dem Zweiten Weltkrieg neue Realitäten.

Winder hat ein tiefes, ausgeprägtes Interesse an der Dynastie der Habsburger und ihrer im Laufe der Jahrhunderte gewonnenen oder verlorenen Territorien mit ihren Menschen, Kulturen und Sprachen. Gleich am Anfang der Darstellung steht eine Liste der Titel Franz Josephs I. nach 1867. Es sind insgesamt

17 zuzüglich zahlloser Herzog-, Grafen- und Markgrafen-Titel. Allein dies zeigt die große Vielfalt in Mitteleuropa, deren Erbe in den Nachfolgestaaten nicht verloren gehen darf. Bezogen auf Mittel- und Osteuropa findet eine gewisse Asymmetrie in den Kenntnissen statt, in Deutschland durchaus ausgeprägt, daher möchte der Autor durch sein Buch auch zu größerem Detailwissen und Verständnis beitragen.

Winder legt in gut leserlicher und lockerer Form ein hoch interessantes Buch vor, das durch die Fülle der Aspekte und den Umfang beeindruckt. Hilfen könnten eine Zeittafel und Fotos über beschriebene repräsentative Bauwerke, Klosteranlagen und Ähnliches sein. Es ist kein konventionelles Geschichtsbuch, sondern eine Liebeserklärung an einen Teil Europas mit wichtiger historischer Bedeutung.

Simon Winder: „Die Habsburg Saga. Kreuz und quer durch die Geschichte der Donau-Monarchie“, Pantheon-Verlag, München 2023, broschiert, 719 Seiten, 20 Euro


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