03.10.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Mary Astor

Von Heilsberg nach Hollywood

Wie aus Lucile Langhanke, der Urenkelin eines ostpreußischen Schumachers, ein erfolgreicher Filmstar wurde

Bettina Müller
28.03.2024

Humphrey Bogart als Detektiv Sam Spade lässt sich nicht bluffen. Da kann seine Klientin ihm noch so schöne Augen machen, er ist ein beinharter Realist und ahnt daher, dass sie es nicht ernst meint. Und dass sich alles im Grunde nur um den schnöden Mammon dreht, in diesem Fall um eine angeblich wertvolle Statue, die bereits mehrere Menschen zum Äußersten getrieben hat, auch zum Mord. Am Ende kommt es, wie es in diesem Genre kommen muss: Humphrey Bogart liefert seine temporäre Flamme Mary Astor ans Messer. Abspann und Licht an, zurück ins grelle Tageslicht und in die bittere Wirklichkeit des Jahres 1941, nachdem die Kinogänger den ersten „Film Noir“ der amerikanischen Filmgeschichte zu sehen bekommen haben.

Die Zutaten für diese dunklen Film-Süppchen waren in der Regel immer gleich: Mord und Totschlag, oft auch begangen von schönen, aber antarktiskalten Frauen, die mit ihren High Heels über Leichen tänzelten. Gescheiterte Existenzen, die sich als Privatdetektive in schäbigen Absteigen versuchten, und das auch noch „Büro“ nannten. Polizisten waren korrupt, überall herrschte trostlose Düsternis. Keiner konnte dem anderen trauen. Auch Mary Astor fügte sich in dieser Rolle nahtlos in das Trauerspiel-Puzzle, auch sie war nicht, was sie schien, das galt für „Die Spur des Falken“, aber auch für ihr richtiges Leben. Das fing schon bei ihrem Namen an, der aristokratisch klang. Dass sie eigentlich Lucile Vasconcellos Langhanke hieß und ihre väterlichen Vorfahren aus Ostpreußen stammten, wussten die wenigsten.

Der amerikanische Traum
1890 ist ihr Vater Otto Langhanke von Berlin nach Amerika ausgewandert und dem amerikanischen Traum gefolgt. Der 18-Jährige ist ambitioniert und ehrgeizig, zudem extrem fleißig und willens, alles für seinen Traum zu tun, der mit zunehmendem Alter zur Obsession wird. Nach seiner Ankunft in Amerika hat er sich in Kansas niedergelassen, wo Freunde wohnen, die es ihm leichter machen, sich zurechtzufinden. Eigentlich ist er Schaufenstergestalter, hat in Berlin eine Lehre gemacht, doch das reicht ihm nicht. So fängt er in Lawrence in Kansas ein Studium an und arbeitet in seiner knappen Freizeit im 40 Kilometer entfernten Topeka als Dekorateur. Vom Tod seines Vaters Carl – 1828 als Sohn des Schuhmachermeisters Johann Langhanki (so im evangelischen Kirchenbuch geschrieben) im ermländischen Heilsberg geboren –, erfährt er 1897 aus Briefen aus der Heimat. 1904 heiratet er Helen Vasconcellos, eine Arbeitskollegin in Topeka.

Zwei Jahre später kommt am 3. Mai 1906 in Quincy, Illinois, ihr einziges Kind, Lucile, zur Welt. Und in das setzt das Ehepaar Langhanke nun seine ganze Hoffnung, denn der „American Dream“ ist für sie noch nicht so richtig Wirklichkeit geworden. Das liegt auch an der volatilen Persönlichkeit Ottos, der zum Jähzorn neigt und dessen Schlägereien auf offener Straße es schon mal in den Regionalteil der örtlichen Zeitung schaffen, er deshalb entlassen und kurz darauf wieder eingestellt wird. Schließlich findet er Anstellung als Deutschlehrer an einer High School, doch zufrieden ist er nicht.

Und so wird Lucile zunehmend zur Projektionsfläche der Wünsche ihrer Eltern, die massiv Einfluss auf ihr Leben nehmen. Die Eltern schirmen sie ab, unterrichten sie zu Hause, und als sie älter wird, kontrollieren sie ihre Finanzen und bestimmen ihre Freunde. Die Tochter ist eigentlich immer eine andere als die, die sie wirklich sein will. Und als sie dann tatsächlich Schauspielerin wird, beraubt man sie endgültig ihrer Identität: aus Lucile Langhanke wird Mary Astor.

1924 ist das Jahr, in dem sie schließlich an der Seite von John Barrymore in dem Stummfilm „Beau Brummel“ den Durchbruch als Schauspielerin schafft. Als eine gebrochene Persönlichkeit, die den legendären Dandy „Beau Brummel“ liebt, aber einen anderen heiratet und somit den Rest ihres Lebens eine Lüge lebt. Eine Blaupause auch für das Leben Mary Astors. „Beau Brummel“ markierte den Beginn einer langen und trotz aller Skandale und einer Vielzahl von B-Movies sehr beständigen Filmkarriere, während ihr Privatleben zumeist ein Scherbenhaufen war. Als 17-Jährige ist sie die erste Beziehung mit dem wesentlich älteren John Barrymore eingegangen, streng von den Eltern kontrolliert, bis Barrymore sie deswegen verließ.

Marys Leben wird zur Hölle auf Erden, vor allem, als die Eltern von ihrem Geld in der Nähe von Los Angeles ein prunkvolles Anwesen namens „Moorcrest“ kaufen, sie darin fast wie eine Gefangene halten und auch ihre Finanzen verwalten. Das Ehepaar Langhanke lebt in Saus und Braus, bedient sich dabei aber des Geldes, das seine Tochter mit ihrer Arbeit als Filmschauspielerin verdient und aus der sie somit einen „Goldesel“ gemacht haben. 1926 macht die Familie Schlagzeilen, als Mary eines Tages von ihrem Balkon einen Baum hinunterklettert und in Richtung eines Hollywooder Hotels entflieht. Eine gute Freundin bewirkt, dass sie wieder zurückkehrt und die vermeintlich geläuterten Eltern ihr endlich mehr Freiheiten gestatten. 1928 flüchtet sie erneut, und zwar in ihre erste Ehe – von insgesamt vieren, die alle unter keinem guten Stern stehen. Skandale pflastern ihren Weg, darunter auch ein Sorgerechtsstreit um ihre Tochter von ihrem zweiten Ehemann, der zuvor ihr Psychiater gewesen war. Und schließlich wird sie 1934 sogar von ihren eigenen Eltern verklagt, die angeblich am Hungertuch nagen, weil Mary sie nicht unterstützt habe. Eine glatte Lüge, mit der sich die Langhankes endgültig selber diskreditieren.

Von den eigenen Eltern ausgenutzt
1941 gewinnt Mary Astor den Oscar für die beste Nebendarstellerin in „The Great Lie“ (Die große Lüge) an der Seite von Bette Davis. Doch es ist nicht dieser Film, mit dem sie in die Filmgeschichte eingegangen ist, es ist und bleibt „Die Spur des Falken“ nach dem Roman „Der Malteser Falke“ von Dashiell Hammett. Zunehmend plagen sie diverse Krankheiten und vor allem ihre Alkoholsucht. Bis sie ihrer wahren Bestimmung – der Schriftstellerei – folgt und in der Folge ihr wahres Ich freilegt. Das Schreiben wird für sie auch zu einer therapeutischen Aufarbeitung ihrer problematischen Beziehung zu ihren Eltern. Zwei Autobiographien und fünf erfolgreiche Romane können zwar nicht vollständig über ein durch die eigenen Eltern massiv beeinflusstes Leben hinwegtrösten, sie sind aber das Vermächtnis einer starken Frau, die nicht völlig an diesem Schicksal zerbrochen ist.

Otto Langhanke stirbt am 3. Februar 1943 in Los Angeles, seine Ehefrau sechs Jahre später, zu einer Zeit, als Mary Astor nach wie vor gut im Geschäft ist. In den 1950er Jahren überwindet sie ihre Alkoholsucht vollständig und beendet 1964 nach insgesamt 123 Filmen ihre Karriere. 1971 geht sie in ein Altersheim in Hollywood, wo sie am 25. September 1987 mit 81 Jahren an einem Herzinfarkt verstirbt. Auf der Leinwand lebt sie weiter. Und Sam Spade weiß am Ende des Films, dass er sich in die Mörderin seines ehemaligen Partners verliebt hat. Das kann nicht gut gehen, also kann sie schluchzen, so lange sie will, während die Polizei sie abführt, nachdem Spade sie verraten hat, und es für sie mit dem Fahrstuhl nur noch eine Richtung gibt: Abwärts. Otto Langhanke hingegen wollte seinen Aufstieg um jeden Preis. Für seinen amerikanischen Traum bezahlte jedoch eine andere.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Rasio Brelugi am 28.03.24, 09:44 Uhr

Ein sehr guter und informativer Artikel. Danke dafür!

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS