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„Spiegel“-Redakteure, Wissenschaftler und Forscher widmen sich einem Kapitel der deutschen Geschichte, das kaum noch präsent ist
In vielen Familien sind die leidvollen Erfahrungen der im Zweiten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft geratenen deutschen Soldaten noch präsent. Sie beruhen auf den Erzählungen der Väter, Großväter oder Urgroßväter, die während ihrer Gefangenschaft der Willkür des Gegners ausgeliefert waren und viel Elend überstanden hatten.
Die Erinnerungen verblassen und werden mit der Zeit schemenhaft, doch sie prägen die Familien bis heute. Der Sammelband „Kriegsgefangene. Die vergessenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs“ des „Spiegel“-Buchverlags widmet sich mit einem übergreifenden Ansatz in 21 packend geschriebenen Aufsätzen dem derzeit kaum mehr präsenten Thema. Grundlage der Kapitel sind jeweils Zeitzeugenberichte, Feldpostbriefe, Berichte von Angehörigen oder Protokolle des US-Nachrichtendienstes von abgehörten Gesprächen deutscher Gefangener.
Die Autoren sind „Spiegel“-Redakteure und Historiker. Im Mittelpunkt steht vor dem Hintergrund von Einzelschicksalen die deutsche Geschichte. Insgesamt waren im und nach dem Zweiten Weltkrieg etwa 35 Millionen Soldaten eine Zeit lang in Gefangenschaft, davon mehr als elf Millionen Deutsche. Die letzten Gulag-Häftlinge kehrten erst Mitte der 50er Jahre aus der Sowjetunion zurück.
So grausam wie behauptet sei die Behandlung der deutschen Soldaten in den alliierten Rheinwiesenlagern nicht gewesen, ist die Schlussfolgerung im Kapitel „Der Mythos vom geplanten Tod“. Ein weiterer Schwerpunkt betrifft den Umgang mit den Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft. Sie wurden zu Hunderttausenden nach Deutschland deportiert und als Zwangsarbeiter ausgebeutet. Mit Massenmorden an Tausenden Italienern übte die Wehrmacht ab 1943 Rache nach der Aufkündigung der „Achse Berlin-Rom“. In Lemberg wurden im „Stammlager 328“ der Wehrmacht mehr als 100.000 sowjetische Militärinternierte zu Tode gehungert.
Das Buch bietet mit seinen Schlaglichtern eine Übersicht über ein kaum überschaubares Themenfeld. Neben den Berichten über unmenschliche Bedingungen und Verbrechen an Kriegsgefangenen sowohl in deutschem und als auch in alliiertem Gewahrsam werden Schicksale wenig bekannter Gefangenengruppen wie Wissenschaftlern und Soldatinnen aufgegriffen. Einzelne Kapitel sind mit Zusatzinformationen versehen. Den Abschluss bildet ein Kompendium mit Infos zu einzelnen Regionen und Schauplätzen weltweit.
Felix Bohr/Eva-Maria Schnurr (Hg.): „Kriegsgefangene. Die vergessenen Soldaten des Zweiten Weltkriegs“, Spiegel-Buchverlag/DVA, München 2023, gebunden, 235 Seiten, 22 Euro
P. Dege am 15.10.23, 09:01 Uhr
Mein Vater, der, im Gegensatz zu manchem seiner Kameraden, am 10. Mai 1945 nach über vier Jahren aus französischer Kriegsgefangenschaft endlich nach Hause zurückkehren durfte, hat immer an jenem Tag im Jahr zusammen mit uns eine Flasche französischen Rotweins aufgemacht und beim anstoßen dann gesagt: "Die Amerikaner feiern am 8. Mai, die Sowjets feiern am 9., und wir feiern am 10.!" Das war dann für Ihn und uns so etwas wie unser ganz privater Nationalfeiertag!