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Mit dem „Rasenden Roland“ zu Corona-Zeiten über Deutschlands größte Insel
„Das hat´s hier noch nie gegeben!“, schüttelt die Schaffnerin den Kopf. Arg verwundert bin auch ich, der diesen sonnigen Tag für einen Ausflug unter Dampf nutzen möchte. Am Bahnsteig der Rügenschen Kleinbahn in Putbus stehen hinter der Lok nämlich nur drei Waggons: zwei für Personen, einer fürs Gepäck. Und weit und breit keine Fahrgäste – nur ich. Da komme ich mir doch sehr verloren vor, freue mich aber auch, dann habe ich endlich mal den ganzen Zug exklusiv für mich.
„Normalerweise fahren die Züge mit dreimal so vielen Waggons“, erklärt die Zugbegleiterin. Wieso denn in diesen Corona-Zeiten überhaupt, möchte ich wissen. „Wir haben einen Beförderungsauftrag vom Land“, höre ich. Als Eisenbahn-Nostalgiker bin ich begeistert. Vielleicht kann ich mit meiner Fahrkarte sogar ein paar Schaufeln Kohle finanzieren. Das mach ich doch gern, um ein bisschen zum Unterhalt dieser Rügenschen Attraktion beizutragen.
Der erste Streckenabschnitt zwischen Putbus und Binz wurde am 22. Juli 1895 eröffnet. In den folgenden Jahren erweiterte man die Strecke mehrmals. Die Gesamtstrecke bis Göhren konnte ab 13. Oktober 1899 befahren werden. Für die 27 Kilometer benötigt der Zug auch heute noch entschleunigende 75 Minuten. Das erinnert auch stark an das dichte Kleinbahnnetz in Hinterpommern. Damals wurden dort nicht nur Personen, sondern überwiegend landwirtschaftliche Produkte von den Gütern ins Reich transportiert.
Mit wem man auch wo immer spricht: Der „Rasende Roland“ ist weit über die Grenzen der Republik hinaus bekannt. Spätestens ab 25. Mai wird er wieder mit voller touristischer Anhängelast über die Insel zockeln, die gerade jetzt mit ihrem frischen Grün und den dottergelben Rapsfeldern vor blauer Seekulisse besonders attraktiv ist. Da mischen sich die steinkohlewürzigen Dampfwolken aus längst vergangenen Zeiten mit dem Duft von Millionen Blüten. Die Schutzmaske ist zwar (noch) Pflicht, aber wenn man einziger Fahrgast an Bord ist, kann man sie auch weglassen – um sich die Düfte mit allen Sinnen reinzuziehen. Dafür eignen sich die offenen Waggons am besten, die aber noch auf wärmere Zeiten warten.
Auf der offenen Plattform direkt hinter der Lok hat man dieses Erlebnis allerdings auch. Gesteigert wird es noch durch die körpernahen schrillen Pfiffe und das Glockengeläut. Alles untermalt von dem herrlich beruhigenden Tack-Tack-Tack-Tack der Schienenstöße. Das sind die einzigen „Geräusche“ – die für mich keine sind! – , nicht gestört durch laute Fahrgäste, die sich wenig oder gar nicht für diese nostalgischen Impressionen begeistern können.
Auf der Transsibirischen Eisenbahn lebt man damit acht Tage lang zwischen Moskau und Wladiwostok. Ich weiß nach vier Reisen, wie das so läuft. Allerdings ist die Strecke zwischen Putbus und Göhren abwechslungsreicher als die mit 9288 Kilometern längste der Welt von Europa nach Fernost. Da fährt man stunden- und tagelang nur durch Birken- oder Kiefernwälder. Auch schön, weil irgendwie sibirisch-exotisch. Doch fürs Auge bietet der „Rasende Roland“ allemal mehr. Und ist natürlich auch viel preiswerter.
• Der Rasende Roland, wie er liebevoll genannt wird, fährt nun schon seit 1895 mit gemütlichen 30 km/h Höchstgeschwindigkeit über die Insel Rügen und verbindet die bekannten Seebäder miteinander. Seit Anfang 2008 ist die Eisenbahn-Bau- und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn mbH aus Jöhstadt in Sachsen der Betreiber dieser idyllischen Kleinbahn. Es bestehen wegen der Corona-Pandemie Einschränkungen.
www.ruegensche-baederbahn.de