Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Unvergessliche Eindrücke, berührende Begegnungen und ein Blick zurück mit Wehmut und gleichfalls mit Zuversicht
Diese Frage wurde mir vor der Abreise immer wieder gestellt. „Warum nach Ostpreußen?“ Meine Antwort war ebenso einfach wie ehrlich: „Weil ich da schon immer mal hinwollte!“ Da kam die Ausschreibung der Reise durch die Kreisgemeinschaft Preußisch Eylau (Regierungsbezirk Königsberg der Provinz Ostpreußen) mit Sitz in Verden gerade recht. Heute wird das besagte Kreisgebiet in der Mitte, knapp südlich der Stadt Preußisch Eylau, durch die russisch-polnische Grenze geteilt. Die Aktivitäten der Kreisgemeinschaft werden im Rahmen der Paten- und späteren Partnerschaft durch den Landkreis mit Landrat Peter Bohlmann sowie die Stadt Verden mit Bürgermeister Lutz Brockmann tatkräftig unterstützt, wobei Letzterer die Tour ins „Land der dunklen Wälder und kristall'nen Seen“ auch initiierte.
Die neuntägige Busreise begann mit einer gefühlt unendlich langen Anfahrt über 940 Kilometer zum ersten Ziel der Reise: Danzig. Die Innenstadt der lebenslustigen und kulturell vielseitigen Hafenstadt an der Mottlau war im März 1945 zu fast 90 Prozent zerstört. In den Nachkriegsjahren wurde die Stadt nach alten Plänen neu aufgebaut und in den letzten Jahren ist auch die Speicherinsel im modernen Stil mit Anleihen an die Backsteingotik bebaut.
Der Spaziergang auf der Langgasse ist ein Muss. Hier reihen sich ehemalige Patrizierhäuser aneinander. Aber auch zwei Wahrzeichen der einstigen Hansestadt – Rathaus und Neptunbrunnen – sind hier zu finden. Erwähnt sei die größte Backsteinkirche im Ostseeraum, die Marienkirche mit der astronomischen Uhr. Die Stadtführung am Morgen reicht natürlich nicht aus, um Danzig zu erschließen. Und das Foto des bekannten Krantors an der Hafenseite darf natürlich nicht fehlen.
Ein weiterer Höhepunkt der Reise war die Fahrt auf dem Oberländischen Kanal. Um einen Höhenunterschied von 100 Metern zwischen Oberland und Ermland zu überwinden, wurden nicht mehrere Staustufen hintereinander gebaut, sondern die Schiffe werden auf Schienen über fünf geneigte Ebenen gezogen. Eine ingenieurtechnische Meisterleistung des 19. Jahrhunderts, die auch heute noch imponiert. Endlich in Ostpreußen angekommen, spendierte die Vorsitzende des Vereins, Evelyn v. Borries, Sekt als Willkommensgruß.
Die Stadt Elbing liegt nur 65 Kilometer von Danzig entfernt in der Nähe des Frischen Haffs und war Ausgangspunkt für die nächsten zwei Tage der Reise. Im Jahr 1237 errichtete der Deutsche Orden in der Nähe des Drausensees eine Festung sowie die Stadt Elbing. Im Jahre 1358 erfolgte der Beitritt zur Hanse, und Elbing wurde zunehmend zu einem Konkurrenten von Danzig. Der wohl berühmteste Sohn der Stadt ist Ferdinand Gottlieb Schichau (1814-1896), der ein begnadeter Konstrukteur von innovativen Dampfmaschinen und Schiffen war.
Ex-Sommerresidenz von Kaiser Wilhelm II. wartete
Tags darauf ging es entlang des Frischen Haffs durch die malerischen Elbinger Höhen nach Cadinen, der ehemaligen Sommerresidenz von Kaiser Wilhelm II. Die vom Kaiser veranlasste Gründung einer Keramik-Fabrik ist durch die Cadiner Fliesen, die in U-Bahnhöfen in Berlin oder im Alten Elbtunnel in Hamburg verwendet wurden, bekannt. Natürlich gehörte auch ein repräsentatives Gestüt, in dem Trakehner sowie Holsteiner gezüchtet wurden, zum Besitz des letzten deutschen Kaisers.
Wir fuhren weiter nach Frauenburg mit dem imposanten gotischen Dom, der Teil der mächtigen Wehranlage (Domburg) war. Hier verbrachte Nikolaus Kopernikus als Domherr seine wichtigsten Lebensjahre, in denen er seine weltverändernden Entdeckungen machte und die Sonne in den Mittelpunkt unseres Planetensystems stellte. Die Hauptorgel im Dom steht heute in einem Barockprospekt und wird von einer Chororgel ergänzt. Das folgende Klangerlebnis sollte phänomenal werden. Ein Orgelkonzert, bei dem beide Orgeln gemeinsam, also über ein Manual, gespielt wurden und die Töne aus unterschiedlichen Richtungen zu kommen schienen.
Emotional: Auf dem Pfad des Fluchtwegs von 1945
Am Nachmittag gab es dann sehr nachdenkliche Momente bei einer Schiffsfahrt über das Frische Haff nach Kahlberg [Krynica Morska]. Auf diesem Weg flohen Tausende Ostpreußen im Winter Anfang 1945 über das Eis des zugefrorenen Haffs vor der herannahenden Front nach Westen und verließen für immer ihre Heimat. Ein 91-jähriger Mitreisender gehörte zu den damaligen Flüchtlingen, und seine Erzählungen berührten uns tief. Als Zeichen der Versöhnung steht in Frauenburg ein Gedenkstein mit einer Inschrift in deutscher und polnischer Sprache zum Gedenken an die vielen tausend Opfer dieses furchtbaren Kriegswinters.
Die beeindruckende Marienburg als ein Meisterstück der Ordensarchitektur, das seit 1997 in die Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen wurde, war ein weiterer Höhepunkt der Reise. Als Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ordens beeindruckt die Burg am Fluss Nogat auch heute noch mit ihrer über 20 Hektar großen Anlage. Die deutlichen Zerstörungen im Frühjahr 1945 lassen sich für den Betrachter durch die andersfarbigen roten Ziegel gut nachvollziehen. Einen besonderen Blick auf die Festung erlaubt die Fußgängerbrücke von der Wasserseite, zu deren Besuch uns unsere Reiseleiterin Magda ermunterte.
Am Nachmittag ging es dann mit dem Bus weiter nach Allenstein, die gegenwärtige und historische Hauptstadt des Ermlands – somit ein Teil des südlichen Ostpreußens. Der Stadtname hatte für mich immer einen besonderen Klang. Denn in keinem Gespräch mit vertriebenen Ostpreußen fehlte ein Hinweis auf diese größere Stadt. Das Rathaus wurde nach historischem Vorbild wieder aufgebaut, und das Tor überdauerte die Jahrhunderte, weil es immer eine Funktion wie Torhaus, Waffenkammer, Gefängnis, Polizeistation oder Jugendherberge innehatte. Die fast 40.000 Studenten geben heute der Stadt ein junges und modernes Image, das im Einklang mit den aufgebauten Bürgerhäusern steht. Wir übernachteten in Heilsberg [Lidzbark Warmiński], einst Residenzstadt der Fürstbischöfe vom Ermland mit einer mächtigen und wehrhaften Bischofsburg.
Zur Mitte der Reise war das Bürgertreffen in Landsberg [Górowo Iławeckie] angesetzt. Der ostpreußische Kreis Preußisch Eylau ist aufgrund der Grenze zu Königsberg geteilt, und so bestehen aktuell nur zum südlichen polnischen Teil des Kreises partnerschaftliche Beziehungen. Wir wurden vom Bürgermeister der Stadt Landsberg, von den Gemeinden um Landsberg und vom Ratsvorsitzenden vor dem Rathaus empfangen. Besonders herzlich wurden von beiden Seiten Grußworte ausgetauscht. Aufgrund der jahrelangen gepflegten Kontakte „kennt man“ sich gut und ein Besuch aus der Partnerstadt Verden ist ein besonderes Zeichen für die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Vor dem Rathaus war eine große Tafel gedeckt, auf der Wasser, Kaffee und Gebäck bereitstanden. Der Bürgermeister zeigte stolz den Keller des Rathauses, der bis vor Kurzem noch zur Hälfte mit Schutt und Abfall gefüllt war. Heute präsentieren die renovierten Mauer-Kellerräume eine Ausstellung mit Bildern über Frida Kahlo.
Aber das war nicht die einzige Neuerung. Der Bürgermeister der Gemeinden präsentierte der Reisegruppe den Neubau eines Kurbetriebs außerhalb der Stadt in Neuendorf. Die Kuranlagen mit Bewegungsbecken und großem Gradierwerk waren kurz vor der Fertigstellung. Durch den Neubau sollen das unter seiner Randlage leidende Landsberg und dessen Umgebung wirtschaftlich besser erschlossen und weitere Investition initiiert werden.
Großartig war der Besuch von Schewecken [Żywkowo], das auch die Storchenhauptstadt genannt wird. Wenige hundert Meter von der Grenze zu Russischen Föderation entfernt gibt es eine für „Adebar“ ideale Landschaft. Von einem hohen Holzturm aus lassen sich die jungen Störche gut zählen und die Eltern bei der Aufzucht beobachten. Ein junges Ehepaar hatte in dem Ort ein mutiges „Start up“ mit einem hübschen Restaurant gewagt. Die Reisegruppe war von der Gastfreundschaft und der reichlich gedeckten Tafel, begleitet von Akkordeonmusik, sehr beeindruckt. Andere Teilnehmer der Reisegruppe nutzten stattdessen die Gelegenheit für einen individuellen Ausflug in ihre Heimatdörfer.
Engelhaftes Trompetenspiel in einer malerischen Wallfahrtskirche
Ein Besuch des Klosters Heilige Linde [Święta Lipka] durfte nicht fehlen. Die barocke Pracht in den ostpreußischen Wäldern steht im Kontrast zur sonst eher gradlinigen ostpreußischen Architektur. Die reiche Innenausstattung der Wallfahrtskirche wird gekrönt durch eine berühmte Orgel mit vielen beweglichen Figuren, die bei einem kleinen Anspiel erlebt werden konnten. Es verneigen sich Heilige und es drehen sich Engel mit Trompeten hin und her. Zuvor gab es noch einen Zwischenstopp auf dem Gut Gallingen [Galiny], früher im Besitz der Grafen zu Eulenburg. Ein polnischer Investor hat das Gut umfangreich restauriert, und es entstand im einstigen Gutshaus ein Hotel mit angeschlossenem Gestüt. Heute ist es mit seinen Baudenkmälern eines von wenigen noch vollständig erhaltenen Gütern in Ostpreußen. Zum Abend erreichte die Reisegruppe dann Lötzen zur nächsten Übernachtung.
Von Lötzen, der „Sommerhauptstadt“ Masurens, ging es per Schiff gemächlich, geradezu entschleunigend im sonst dicht gedrängten Reiseablauf über die Masurischen Seen, um unter dem „typischen ostpreußischen Himmel“ Angerburg zu erreichen.
Zu Besuch beim Cousin von Gräfin Dönhoff
Auf der Halbinsel, die den Mauersee von Dargainensee trennt, liegt die Ortschaft Steinort [Sztynort] mit dem Gut und Schloss der Grafen von Lehndorff. Letzter Schlossherr war der Graf Heinrich von Lehndorff, ein Cousin Marion Dönhoffs. Der Graf bereitete die Operation Walküre vom 20. Juli 1944 mit vor und wurde nach dem missglückten Attentat hingerichtet. Die Deutsch-Polnische Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz (DPS) setzt sich dafür ein, das ehemals repräsentative Schloss zu retten, denn der Zustand war und ist kritisch. Die Reisegruppe durfte im Rahmen einer Führung einige Räume im Erdgeschoss besichtigen und sich über die Sicherungsmaßnahmen informieren.
Am Schloss steht ein Gedenkstein, der anlässlich des 100. Geburtstages des Grafen im Jahre 2009 aufgestellt wurde. Der Gedenkstein zeigt einen Satz aus dem Abschiedsbrief des Grafen an seine Frau. Besonders berührend waren Textstellen aus dem Tagebuch der Ehefrau Lehndorffs über den Nachmittag nach dem Attentat auf Hitler, die von der unglaublich gebildeten, sympathischen Reiseführerin Magda vorgelesen wurden.
Das erste deutsche Freilichtmuseum
Von Lötzen aus begann nach dem Frühstück die erste Etappe der Heimreise. Unterwegs wurde ein Zwischenstopp im Freilichtmuseum „Museum für volkstümliche Baukunst“, das im Jahre 1938 in Hohenstein errichtet worden ist. Den Anstoß für die Sammlung gab die Verlegung des Freilichtmuseums aus dem Königsberger Tiergarten, des ersten deutschen Freilichtmuseums. Es zeigt einige Dutzend originale und rekonstruierte Gebäude aus dem Oberland, dem Ermland, Masuren und Preußisch Litauen.
Posen sollte die letzte (Übernachtungs-)Station dieser mehr als nur beeindruckenden Reise werden und rundete die gesamte Tour in seiner ganzen Schönheit, Pracht und Emotionalität noch einmal auf besondere Weise ab.
Der kürzlich restaurierte zentrale historische Altmarkt ist eine Augenweide. Er wird geprägt durch das sehenswerte Renaissance-Rathaus, an dessen Uhr jeden Tag um 12 Uhr die Figuren zweier Ziegenböcke, dem Wahrzeichen von Posen, erscheinen. Wegen Reparaturarbeiten ist das Schauspiel leider seit Längerem nicht möglich. Gerahmt wird der Platz von sehr schön gestalteten Bürgerhäusern. Vom Marktplatz ist es nur ein kurzer Weg zum Jesuitenkolleg. Neben der Jesuitenschule, die von 1571 bis 1773 existierte, lohnt es sich, die Kirche des heiligen Stanislaus zu besuchen. Ein Besuch der ältesten Kathedrale Polens aus dem 10. Jahrhundert, die sich auf der Dominsel befindet und den Heiligen Peter und Paul geweiht ist, musste aus Zeitmangel auf die nächste Reise verschoben werden.
Alle Erwartungen übertroffen
Aber auf alle Fälle wollten wir noch die süße traditionelle Leckerei, nämlich das Posener Martinshörnchen, probieren. Zu lange Schlangen standen jedoch vor der entsprechenden Bäckerei und verhinderten deshalb unser kulinarisches Anliegen. Nun denn, dann beim nächsten Mal.
Nach der morgendlichen Stadtführung durch Posen ging es weiter Richtung Verden. Die Grenzkontrollen fielen wegen der Fußball-EM in Deutschland etwas genauer und damit zeitaufwendiger aus. Somit ergab sich Muße für ein Resümee. Die Reise hat alle Erwartungen übertroffen sowie uns einen Blick in die Vergangenheit und gleichzeitig auch in eine hoffnungsvolle friedliche Zukunft Deutschlands und Polens eröffnet.
Ich möchte daher meine ehrliche Antwort auf die eingangs gestellte Frage noch um ein Argument erweitern: „ ... weil der Himmel über Ostpreußen wirklich anders aussieht ...“
Kersti Wolnow am 09.08.24, 07:26 Uhr
Im Zuchthaus Preußisch Eylau hat sich mein Großvater unter den Russen zu Tode schuften müssen, nahdem er ihnen im Frühjahr 1945 die Technik seiner Landmaschinen vor deren Abtransport hat erklären müssen. Auf Anfragen meinerseits nach dem Todesdatum und -grund sogar auf Russisch, hält man eine Auskunft nicht für nötig. Ich weiß, wir Deutschen gelten als Kollateralschaden, keine Trauer, kein Gedenken, auch keine Stolpersteine...