16.04.2025

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Umstrittener Wahlsieger in Rumänien: Călin Georgescu
Bild: picture alliance/ASSOCIATED PRESS|Vadim GhirdaUmstrittener Wahlsieger in Rumänien: Călin Georgescu

Wehrhafte Demokratie oder Diktatur der Mitte?

Erstmalig in der EU wurde im Dezember auf Beschluss das rumänischen Verfassungsgerichts das Ergebnis einer nationalen Wahl annulliert. Doch bei dem Versuch, sich ihrer Gegner zu entledigen, droht die Demokratie sich selbst abzuschaffen

Martin Böhm
11.04.2025

Rumänien erlebt derzeit eine seiner turbulentesten Phasen seit dem Ende des Kommunismus. Das Land wurde in den vergangenen Jahren oft als Musterknabe der demokratischen Entwicklung im Osten Europas gelobt und hat kaum für Schlagzeilen gesorgt, für die es aus Brüssel oder Berlin gescholten worden wäre – im Unterschied etwa zu Viktor Orbáns Ungarn oder Robert Ficos Slowakei.

Am 24. November 2024 gerät Rumänien jedoch gehörig in Aufruhr, denn es ereignet sich ein unerwartetes politisches Erdbeben, das weit über Bukarest hinaus spürbar ist. Der rechtsextreme, bis dahin vielen Rumänen kaum bekannte Călin Georgescu gewinnt die erste Runde der Präsidentschaftswahlen mit knapp 23 Prozent der Stimmen, auf Platz zwei landet die liberal-progressive Herausforderin Elena Lasconi mit 19,2 Prozent. Die Präsidentschaftskandidaten der regierenden Sozialisten (PSD) und Liberalkonservativen (PNL) fahren historisch schlechte Ergebnisse ein und fliegen raus. Für kurze Zeit scheint es, dass Rumänien sich nicht nur mit voller Wucht der seit 2014 andauernden Ära Klaus Johannis entledige, sondern auch seiner Groko-Parteien PSD und PNL.

Bei den Parlamentswahlen eine Woche später bestätigt sich die Unzufriedenheit der Rumänen mit dem angestammten System. Die Sozialisten kommen auf nur knapp 22 Prozent, die Liberalkonservativen auf bloß 13,2 Prozent, weit überholt von der rechtsradikalen Allianz für die Einheit der Rumänen (AUR), die 18 Prozent der Stimmen erhält. Insgesamt stellen die Parteien des rechten Randes – AUR, SOS România und die Partei der jungen Menschen (POT) – nun ein Drittel der Abgeordneten des neuen Parlaments. Trotz dieses Ergebnisses bleibt der große Schock aus, zu sehr haben sich die öffentlichen Debatten auf die am 8. Dezember 2024 stattzufindende zweite Runde der Präsidentschaftswahl versteift. Denn die Angst ist groß, dass der als pro-russisch etikettierte Georgescu die Stichwahl gewinnen und Rumänien damit seinen prowestlichen und EU-freundlichen Kurs beenden könnte.

Das Verfassungsgericht greift ein
So weit kommt es aber nicht, denn die erste Runde der Präsidentschaftswahlen wird vom Verfassungsgericht am 6. Dezember, zwei Tage vor der zweiten Runde, annulliert; der neue Wahltermin wird wenig später auf Anfang Mai festgesetzt. Der Hintergrund: der Verdacht der illegalen Einmischung ausländischer Staaten in den rumänischen Wahlkampf, mutmaßlich Russlands. Einige Wochen vor den Wahlen lag Georgescu in den Meinungsumfragen zumeist bei etwa fünf Prozent der Stimmen, wenige Tage vor den Wahlen steigt seine Zustimmung auf bereits fast elf Prozent. Zu verdanken hat er dies maßgeblich einer beispiellosen Kampagne auf TikTok – das soziale Netzwerk wurde mit seinen Videos in den zwei Wochen vor der Wahl regelrecht überflutet. Der rumänische Geheimdienst SRI vermutet dahinter eine koordinierte Kampagne aus dem Kreml, ohne dessen finanzielle Unterstützung eine solche Mobilisierung nicht möglich gewesen wäre. Einige Beobachter halten Georgescu sogar für einen Schläfer des KGB.

Fakt ist, dass sich der Einfluss der sozialen Netzwerke im rumänischen Wahlkampf tatsächlich als enorm erwiesen hat. Knapp neun Millionen Rumänen, also fast die Hälfte der Bevölkerung, verfügt über einen TikTok-Account. Da Georgescus Videos, im Unterschied zu den Videos der anderen Kandidaten, nicht als politische Inhalte gekennzeichnet waren, sondern zur Rubrik „Unterhaltung“ gehörten, erreichte der Kandidat eine viel breitere Masse als seine Kontrahenten. Die Wahlbehörde sah darin einen Verstoß gegen das Wahlgesetz, fand aber auch weitere Anhaltspunkte, die auf eine Verletzung der Vorschriften zur Wahlkampffinanzierung hindeuten. So soll ein Unternehmer einen sechsstelligen Dollar-Betrag für Georgescus TikTok-Kampagne ausgegeben haben, obwohl Georgescu angab, er verfüge über kein Wahlkampfbudget. Das Verfassungsgericht argumentierte in seinem Urteil vom 6. Dezember schließlich, dass die Unregelmäßigkeiten „die freie und faire Stimmabgabe der Bürger sowie die Chancengleichheit der Kandidaten beeinträchtigt“ hätten.

Aber reichen diese Vorwürfe, um ein unliebsames Ergebnis im Nachhinein zu annullieren? Eine explodierende TikTok-Kampagne, die viele Fragezeichen aufwirft, der Vorwurf der mutmaßlichen Unterstützung aus Russland über Mittelsmänner hin oder her. Georgescu, der in einigen seiner Videos mit freiem Oberkörper auf einem weißen Pferd reitet oder sich in einen Judomantel hüllt wie einst der russische Präsident Putin, hat mehr als zwei Millionen Stimmen auf sich vereint und ist zur Anti-Establishment-Ikone geworden. Was Georgescu zudem von den anderen Stars der rumänischen Rechtsextremen abhebt, ist sein unzweifelhaftes Charisma. Während Diana Șoșoacă und George Simion im Parlament regelmäßig durch ihr lautes Gebrüll und theatralisches Gehabe auffallen, gibt sich Georgescu betont staatsmännisch.

Seine besonnene, elegante und dabei volksnahe Art zu Reden täuscht dabei leicht darüber hinweg, dass er zum Teil krude Verschwörungstheorien bedient. So äußerte er etwa unlängst, dass Softdrinks wie Pepsi und Fanta Nanochips enthalten, die beim Konsum in den menschlichen Körper eindringen würden. Gefährlicher ist jedoch, dass er keinen Hehl aus seiner Sympathie für die dunkelsten Gestalten der rumänischen Geschichte macht. Den Faschistenführer der Zwischenkriegszeit, Corneliu Zelea Codreanu, wie auch Marschall Antonescu, der für die Ermordung Hunderttausender Juden während des Zweiten Weltkriegs verantwortlich ist, bezeichnete er als nationale Helden.

Dass neofaschistische und antiglobalistische Rhetorik bei vielen Rumänen angesichts der breiten gesellschaftlichen Unzufriedenheit und der Erinnerungen an die in Rumänien besonders repressive Corona-Zeit zündet, verwundert jedoch nicht. Die Inflation ist nach wie vor eine der höchsten in der EU, die Infrastruktur in einem miserablen Zustand – Bukarest ist immer noch nicht an das europäische Autobahnnetz angeschlossen, die Eliten werden gemeinhin als korrupt wahrgenommen. Zudem genießt die politische Rechte einen erheblichen Zulauf seit dem Krieg in der Ukraine, der auch in Rumänien die Angst vor einer Eskalation des Krieges schürte und aufgrund dessen die Strom- und Gaspreise für viele Menschen nicht zu stemmen sind. Georgescu ist es gelungen, diese Ängste sowie die anti-westlichen Stimmungen in der Bevölkerung, vor allem im ländlichen Raum, zu bündeln. Darüber hinaus wird er schon seit längerer Zeit von einem Teil des nationalistischen wie traditionalistischen Lagers der mächtigen Rumänisch-Orthodoxen Kirche unterstützt.

Höhepunkt eines Politkrimis
Nach der Annullierung der Präsidentschaftswahlen durch das Verfassungsgericht am 26. Februar erreicht der Wahlkrimi Ende Februar einen neuen Höhepunkt, als Călin Georgescu im Bukarester Verkehr angehalten und von Polizisten zu einer Anhörung in die Generalstaatsanwaltschaft gebracht wird. Nach einem sechsstündigen Verhör wird er entlassen, die Generalstaatsanwaltschaft stellt ihn jedoch für 60 Tage unter gerichtliche Aufsicht. Ihm werden mehrere schwere Straftaten vorgeworfen, darunter die Anstiftung zu Handlungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung, die Verbreitung von Falschinformationen, die Gründung oder Unterstützung einer Organisation mit faschistischem, rassistischem oder fremdenfeindlichem Charakter sowie die Verherrlichung von Kriegsverbrechern.

Anlässlich der Festnahme Georgescus rufen die Parteien des rechten Randes zum Protest auf, doch die große Massenmobilisierung bleibt aus. Am 1. März kommen statt der erwarteten 100.000 lediglich rund 10.000 Anhänger Georgescus, der Druck der Straße reicht nicht aus, um das Blatt zu wenden. Dagegen erklärt das Zentrale Wahlbüro am 9. März seine Kandidatur für ungültig, da Georgescu die Demokratie nicht respektiere und die Wahlbestimmungen verletzt habe. Die Entscheidung wird am 11. März vom Verfassungsgericht bestätigt. Für Călin Georgescu ist es damit aus für das Rennen um das Präsidentschaftsamt, während die Ermittlungen gegen ihn noch laufen.

Eine Ausnahme ist sein Ausschluss jedoch nicht. Bereits im Oktober 2024 wurde die Kandidatur der rechtsextremen Diana Șoșoacă für die Präsidentschaftswahlen annulliert. Ihre pro-russischen Positionen, ihr offener Antisemitismus und ihre fundamentale Ablehnung der EU und NATO wurden als unvereinbar mit der Verpflichtung des Präsidenten angesehen, die Verfassung und die demokratischen Werte des Landes zu respektieren. Am 15. März wird ihre Kandidatur erneut für ungültig erklärt.

Somit liegt es nun an George Simion, dem Parteivorsitzenden der AUR, den rechten Rand bei den Wahlen Anfang Mai zu repräsentieren. Dabei kann er auf die Stimmen von Georgescus und Șoșoacăs Wählerbasis zählen, denn auch er vertritt ultranationalistische, pro-russische und anti-westliche Positionen. Von einem offensiven Antisemitismus machte er hingegen bislang keinen Gebrauch und treibt auch keinen EU-Austritt Rumäniens voran. In den Umfragen führt er das Rennen mit über 30 Prozent der Stimmen an. Offen ist noch, gegen wen er in der zweiten Runde antreten wird: Der von der PSD und PNL sowie der ungarischen Minderheit unterstützte Crin Antonescu liegt in etwa gleichauf mit Ex-Premier Victor Ponta sowie dem liberalen Bürgermeister Bukarests, Nicușor Dan.

Doppeltes Zeugnis einer bedrohten Demokratie
Sicher ist, dass die rumänischen Präsidentschaftswahlen doppeltes Zeugnis einer bedrohten Demokratie ablegen, die auch für den Rest Europas unangenehme Präzedenzen schaffen könnte. Zum einen ist der erstarkte rechte Rand der Spielart von Georgescu, Simion oder Șoșoacă weitaus extremer, als man ihn in Westeuropa von Meloni, Wilders oder Le Pen kennt. Ein Präsident Simion, der den kommunistischen Diktator Nicolae Ceaușescu lobte und erklärte, dieser sei besser gewesen als alle Präsidenten, die Rumänien nach 1989 hatte, würde dem Zustand der rumänischen Demokratie keinen Gefallen tun.

Zum anderen ist die Gangart des Wahlbüros und des Verfassungsgerichts, Kandidaten auszuschließen und Wahlgänge zu annullieren, höchst problematisch und wird nicht nur von Anhängern des rechten Randes als undemokratisch gesehen. In dem Versuch, sich ihrer Gegner zu entledigen, droht die rumänische Demokratie sich selbst abzuschaffen.

Martin Böhm ist Doktorant an der deutschsprachigen Andrássy Universität Budapest sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gedenkstätte Haus des Terrors in Budapest.


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Kommentare

sitra achra am 12.04.25, 14:40 Uhr

Georgescu liebt sein Land, so etwas ist heutzutage selten.
Like.

Peter Wendt am 12.04.25, 07:25 Uhr

Wer oder was bestimmt eigentlich was die politische Mitte ist? Gibt es dieses Recht zur Klassifizierung politischer Standpunkte? In Deutschland hat Merkel völlig willkürlich und selbstherrlich die sog. „Mitte“ weit nach links verschoben. Bürgerliche die sich jahrzehntelang als links bzw. rechtsmittig definiert haben wurden plötzlich von ihren politischen Gegnern als rechts bzw. rechtsextrem eingestuft bzw. als rechter Flügel der SPD. Dieser Vorgang ist zutiefst undemokratisch und beleidigend. Das einzige was zählt ist die Verfassung bzw. in Deutschland das Grundgesetz. Über diese definieren sich die Demokraten und über Sachfragen. Wer zur Verfassung steht und sich in die Gesellschaft einbringt ist ein Demokrat. Wer ständig andere als Faschisten beschimpft und die Verfassung nach Belieben ändert ist kein Demokrat.

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