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Vor 250 Jahren wurde der Philosoph Hegel geboren – Der Schwabe fühlte sich in Preußen am wohlsten
An der Frage, was denn nun zuerst da war, die Henne oder das Ei, zerbrechen sich die Philosophen seit der Antike die Köpfe. Georg Wilhelm Friedrich Hegel entschied zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Der Weltgeist sei für alles verantwortlich.
Was damit genau gemeint ist, darüber hat jeder Interpret so seine eigenen Ansichten. Die Hegelsche Definition ist so lang wie sein Gesamtwerk: mehrere 1000 Seiten. Gerade wegen seiner Unbestimmtheit und seines kryptischen Aufbaus übte Hegels philosophisches Weltgebäude eine bis heute ungeheure Anziehungskraft aus. Ohne Hegel wäre Marx nicht auf den dialektischen Materialismus verfallen, hätte der gründliche Hegel-Leser Lenin vielleicht nicht die russische Revolution ausgerufen und wäre das 20. Jahrhundert womöglich ganz anders verlaufen.
Hegel für das ganze weltgeschichtliche Elend verantwortlich zu machen wäre aber zu kurz gedacht. Er kann nichts dafür, dass man aus seinem Gedankengebäude, das ja wie auch bei vielen anderen Philosophen eher eine Ruine ist, nur das herausgreift, was einem gerade nützt. Hegel als Vordenker des Sozialismus zu bezeichnen, greift ebenfalls in die Irre.
Doch ja, auch Hegel begrüßte die Französische Revolution. Sie brach just dann aus, als er von seiner Heimatstadt Stuttgart – dort wurde er am 27. August 1770 als Sohn pietistischer Eltern geboren – nach Tübingen zog, um dort evangelische Theologie zu studieren. Mit dem gleichaltrigen, ebenfalls vor 250 Jahren geborenen Dichter Friedrich Hölderlin (siehe PAZ vom 20. März) und dem knapp fünf Jahre jüngeren Wunderkind und späteren Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling heckte er in der Stubengemeinschaft jakobinische Ideen eines deutschen Bundes unter österreichischer – wohlgemerkt: nicht preußischer – Führung aus.
Als Hegel Jahre später nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt Napoleon durch Jena reiten sah, bezeichnete er ihn als „Weltseele zu Pferde“. Da ist er wieder in abgewandelter Form, dieser absolute und auch autoritäre „Weltgeist“, den er in Jena philosophisch wieder aufgriff. Nach Beendigung des Studiums und unbefriedigenden Stationen als Hofmeister in Bern und Frankfurt am Main folgte Hegel seinem bereits als Professor lehrenden Freund Schelling in die Romantiker-Hochburg als unbezahlter Privatdozent.
Hegel kam 1801 in Jena an, kurz nachdem Schiller, die Schlegel-Brüder, Tieck, Novalis und sogar Hölderlin die Stadt schon verlassen hatten. Die Dichter bereiteten den geistigen Nährboden, den Hegel mit seiner Philosophie veredelte. Immanuel Kant mit seinen erzieherischen Aufklärungsgedanken im Hintersinn dürstete man nach neuen Ideen, nach Visionen, wie es in Deutschland weitergehen solle.
Mit seinem in Jena entstandenen Hauptwerk „Phänomenologie des Geistes“ schuf Hegel das romantische Manifest des deutschen Idealismus. Dabei ist das Buch selbst für hartgesottene Philosophie-Leser sprachlich und grammatikalisch eine harte Nuss. Schauen wir mal, was er über das „gleichgültige Auch“ (was auch immer das sein mag) zu sagen hat: „Dieses Auch ist also das reine Allgemeine selbst oder das Medium, die sie so zusammenfassende Dingheit.“ Alles klar?
Immerhin schält sich in dem Werk die hegelianische Dialektik von Ursache und Wirkung heraus, also: These + Antithese = Synthese. Schon die Dreiteilung der jeweiligen Kapitel in A, B, C erinnert an die Trinität von Vater, Sohn und heiligem Geist. Profan gesagt, ergeben Ei und Henne den Weltgeist, führen Idee und Materie zur Erkenntnis, gipfeln Platon und Aristoteles – in Hegel. In der Politik würde man diese Ergebnisse von These und Antithese wohl als faule Kompromisse bezeichnen.
Aus diesem philosophischen Baukasten griff Marx heraus, was er für seine Kapitalismuskritik benötigte. Als Materialist bog er die Dialektik des Idealisten Hegel für seine Bedürfnisse zurecht. Einer der gegen Hegel schießenden Kernsätze von Marx lautet: „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“
Zugleich bastelte er an Hegels Vergleich von Herr und Knecht weiter. Während es bei Hegel um das Selbstbewusstsein des in seinem Handeln freien Knechts und des von seinem Eigentum versklavten Herren geht, gipfelt alles bei Marx in der Überwindung der Herrschaft durch die Knechtschaft. Also der Entstehung eines klassenbewussten Proletariats auf Grundlage ungleicher Produktionsverhältnisse.
Im Vergleich zum mit Geld verschwenderischen Marx war Hegel Kapitalist reinsten Wassers. Nach sechs Hungerjahren in Jena, wo er sein väterliches Erbe aufbrauchte, nahm er in Bamberg eine Stelle als Zeitungsredakteur an, wurde dann Gymnasialrektor in Nürnberg und heiratete, als er finanziell gefestigt war.
Danach erfolgte zweimal der Ruf aus Berlin an die damals noch junge Universität. Es galt, die vakante Professorenstelle des verstorbenen Philosophen Johann Gottlieb Fichte neu zu besetzen. Da sich herumgesprochen hatte, dass sich Hegels rhetorische Fähigkeiten in Grenzen hielten, wollte man in Berlin zunächst seinen mündlichen Ausdruck überprüfen.
Dazu kam es nicht, weil Hegel inzwischen einem Ruf nach Heidelberg gefolgt war. Als die Universität zu Berlin nur anderthalb Jahre später das Angebot wiederholte und auf ein Vorsprechen verzichtete, wurde Hegel doch schwach und lehrte dort von 1818 bis zu seinem Tod 1831.
Konnte der Schwabe anfangs mit den Preußen nicht viel anfangen, so erkannte er später die Modernität des Staates und anerkannte die von Wilhelm von Humboldt und anderen durchgeführten Reformen. So schrieb er begeistert: „Hier ist die Bildung und die Blüte der Wissenschaften eines der wesentlichen Momente selbst im Staatsleben.“
Sein philosophisches System wollte er in einem umfangreichen Gesamtwerk ausbreiten, von dem außer der „Phänomenologie des Geistes“ noch die „Wissenschaft der Logik“ (1816) und „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ (1821) erschienen sind. Zahlreiche Vorlesungsmitschriften wie jene zur Ästhetik sind nach seinem Tod und zum Teil sogar erst im 20. Jahrhundert veröffentlicht worden.
Die lange Rezeptionsgeschichte zeigt ein andauerndes Interesse an Hegel, der aber unter Kollegen viele Gegner hatte. Während sich Friedrich Nietzsche an dem Moralisten Hegel störte, der die christliche Religion als Synthese aller anderen Religionen bezeichnete, beschimpfte Schopenhauer den Kollegen wie folgt: „ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan“. Zuspruch erhielt er von linker Seite. Der marxistische Philosoph Ernst Bloch meinte: „Hegel leugnet die Zukunft, aber keine Zukunft wird Hegel verleugnen.“ Da ist was dran.
• Hegel-Haus Am 27. August wird das derzeit wegen Umbau geschlossene Museum in Hegels Geburtshaus in der Eberhardstraße 53 in Stuttgart mit einer Dauerausstellung neu eröffnet.
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