19.03.2024

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Meinungsfreiheit

Wenn Bücher gefährlich werden

Bibliotheken in Deutschland sondern vornehmlich „rechte Literatur“ aus. Englische Universitäten kleben „Trigger-Warnungen“ in viele Werke. Der Bürger wird zunehmend bevormundet

Robert Mühlbauer
01.10.2022

Nein, den neuen Sarrazin haben wir nicht. Die Verkäuferin in der bekannten Münchener Buchhandlung Lehmkuhl schüttelt den Kopf, tippt dann mit säuerlichem Gesicht in ihrem Computer herum. Thilo Sarrazin bereitet ihr offenkundig Bauchweh. Dessen neues Werk „Die Vernunft und ihre Feinde“ könne sie nicht bestellen, behauptet sie dann – es klingt wenig überzeugend. Der potentielle Kunde wird weggeschickt. In einer anderen Buchhandlung ein paar Straßen weiter ist das Buch, das immerhin auf der Bestsellerliste steht, problemlos zu kaufen.

Dass Bücher, die gegen den dominanten Zeitgeist stehen, gefährlich sind und zuweilen unterdrückt werden, weiß man aus der Geschichte. Aber auch in angeblich besonders freien westlichen Gesellschaften gibt es immer wieder Druck, Bibliotheken zu „säubern“. Missliebige Bücher sollen verschwinden. Vor Kurzem berichtete die Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv), Barbara Schleihagen, in einem Gespräch von zunehmendem Druck, Bücher aus dem Bestand zu verbannen. „Wir sehen die Entwicklung mit Sorge“, sagte Schleihagen, deren Verband 9000 Bibliotheken vertritt, gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur KNA.

Meist handele es sich um politische Literatur, aber auch bei manchen religiösen und esoterischen Werken verlangten Nutzer, dass die Büchereien sie aussortieren. „Häufiger wird auch das Entfernen von Kinderbüchern verlangt“, so Schleihagen. Es gebe eine „starke Sensibilisierung, welche Bücher man Kindern zu lesen geben möchte und welche nicht“. Die Debatte um Winnetou-Bücher, das böse I-Wort (Indianer) und Karl-May-Klischees ist noch frisch.

Selbst vor „1984“ wird gewarnt

Die Universitätsbibliothek Freiburg ging vor Jahren schon weiter. Dort wanderten Bücher aus einem rechten Verlag, dem „Antaios“-Verlag, in eine Art Giftschrank. Nur in einem „Sonderlesesaal“ dürfen Bibliotheksnutzer die Werke noch in Augenschein nehmen, quasi betreutes Lesen, wie der Bibliothekar Uwe Jochum damals sarkastisch schrieb.

In der deutschen Bibliotheksszene gibt es schon seit Längerem ein Tauziehen hinter den Kulissen, wie man mit den missliebigen Büchern, Autoren und Verlagen umgehen soll. „Rechte drängen ins Regal“, titelte die linke „Tageszeitung“ vor drei Jahren und verwies explizit auf die Bestseller von Sarrazin und andere erfolgreiche „Rechtspopulisten“.

Eine liberale Fraktion in den Bibliotheken findet, dass die Konsumenten selbst entscheiden sollten, was sie lesen. Der Kommunikationswissenschaftler Hermann Rösch von der TH Köln sagte: „Bibliotheken sollen frei von Zensur sein, sollen Meinungs- und Informationsfreiheit garantieren, sollen die informationelle Grundversorgung sichern, sollen sich aber auch an der Stärkung des demokratischen Systems beteiligen und die Menschenwürde achten.“ Durch Informations- und Diskussionsveranstaltungen könnten Bibliotheken missliebige Bestseller einordnen, so die Hoffnung der liberalen Fraktion.

Eine andere Fraktion unter den Bibliothekaren hingegen praktiziert das Modell Scheiterhaufen. Der Leiter der Stadtbibliothek Duisburg, Jan-Pieter Barbian, griff mutig ins Regal und entfernte sämtliche Katzen-Krimis des deutsch-türkischen Autors Akif PirinÇci, nachdem dieser sich polemisch-rechtspopulistisch und islamfeindlich geäußert hatte. Barbian meinte damals im Deutschlandfunk, es könne keine Trennung zwischen dem Autor „harmloser“ Bücher (Krimis mit der Detektiv-Katze Felidae) und dem gefährlichen Sachbuchautor („Deutschland von Sinnen“) geben. Der Autor wird insgesamt dem Müll übergeben. Wohin der schleichende Zensurzug führt, kann ausgerechnet in Großbritannien beobachtet werden, einem Land mit eigentlich langer liberaler Tradition, das stolz ist auf die praktizierte Rede- und Meinungsfreiheit.

Dort sind die aus den USA stammenden „Trigger Warnings“ in vielen Bibliotheken und besonders Universitätsbibliotheken inzwischen gang und gäbe. Ein spezieller Hinweis soll Leser vorab warnen, dass sie „verstörende“ Inhalte gewärtigen müssten. Ironie der Geschichte: Selbst George Orwells dystopischer Roman 1984, der vor einem manipulativen Überwachungsregime warnt, wurde an der Universität Northampton mit einer Trigger-Warnung versehen. Er enthalte „herausfordernde Dinge mit Verbindung zu Gewalt, Gender, Sexualität, Klasse, Rasse, Missbrauch, politischen Ideen und beleidigender Sprache“, so die Warnung.

Eine große Recherche der Zeitung „The Times“ hat vor Kurzem aufgezeigt, wie viele Werke der Weltliteratur – von Shakespeare, Chaucer, Jane Austen, Charlotte Brontë, Charles Dickens und Agatha Christie – inzwischen mit den Warnhinweisen versehen wurden. Mehr als tausend Beispiele für Bücher und Texte, auch von vielen zeitgenössischen Autoren und teils auch von Linken, werden an Universitäten nur noch mit Warnhinweis ausgehändigt.

Ma besten gar nicht erst ins Regal lassen

Die Zeitung hatte bei 140 Hochschulen unter Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz angefragt und bekam erschreckende Einblicke, wie sehr inzwischen Formen der weichen Zensur oder Abschreckung um sich greifen. Dozenten der Universitäten Exeter und Sussex beispielsweise säuberten die Literaturlisten ihrer Kurse um all jene Autoren, denen in irgendeiner Weise „offensive“ Ansichten vorgeworfen werden. Andere Unis wie Warwick, Exeter und Glasgow machten die umstrittenen Texte zur optionalen Lektüre.

Die Gründe für Trigger-Warnungen muten oft bizarr an. Vor der Novelle „The Underground Railroad“ des linken, schwarzen Pulitzer-Preisträgers Colson Whitehead wird gewarnt, weil sie eine drastische Schilderung der Sklaverei enthält. August Strindbergs Theaterstück „Fräulein Julie“ sollten Studentinnen und Studenten der Uni Sussex besser nur vorgewarnt lesen, weil darin ein Selbstmord vorkommt. Kritiker in den angelsächsischen Ländern sagen, dass die Studenten zu „Schneeflocken“ verhätschelt würden, wie in Watte gehüllt. Sie sollten geschützt werden vor unbequemen, „verletzenden“ Ansichten oder den rauen Dingen des Lebens. Alles, was in der woken Weltsicht keinen Platz hat, könnte ihnen wehtun und sie beschädigen.

Der bevormundende Zug, unbequeme Literatur vom Bürger fernzuhalten, ist aber auch in Deutschland längst Realität. Da die explizite „Trigger-Warnung“ oft genug eher den gegenteiligen Effekt haben mag, Leser erst recht neugierig zu machen, verfährt man hierzulande eher deutsch-direkt und lässt unbequeme politische Bücher gar nicht erst ins Regal beziehungsweise in die Rezensionsspalten der großen Zeitungen, damit sie niemanden auf dumme Gedanken bringen. Bücher sind eben gefährlicher Stoff.


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Kommentare

Klaus Schneider am 06.10.22, 04:23 Uhr

Als Duisburger war für mich interessant zu erfahren, dass Herr Barbian, der Leiter der Stadtbücherei, Akif P. aus dem Sortiment genommen hat, samt seiner Katzenkrimis. Sollte er mir mal in der Bücherei wieder über den Weg laufen, werde ich ihn dazu sicher mal nett befragen.

Waffenstudent Franz am 03.10.22, 05:32 Uhr

Auch die Abteilung Naturwissenschaft wird seit 50 Jahren ständig geschleift. Dabei haben sich die Naturgesetze nicht geändert. Das Buch über Heisenbergs genialen Ansatz zur vereinheitlichen Feldtheorie, man findet es nicht mehr.

Aber der Anteil an Büchern in Jiddischer Sprache, ist in der Bonner Stadtbücherei dreimal so umfangreich, wie die Abteilung Mathematik, Physik, Chemie, Biologie und Informatik!

Goethes Theaterstück, "Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern" wurde bereits vor 40 Jahren heimlich zensuriert!

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