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Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer als Paar, dessen Liebe durch den Schlaganfall der Frau auf die Probe gestellt wird
Eigentlich ist es ein gutes Leben, das Sabine und Stefan Schuster in einer idyllischen mitteldeutschen Kleinstadt teilen. Sie eine engagierte Lehrerin, er Forstwirt, kennengelernt haben sie sich beim Wandern auf dem thüringischen Rennsteig, gemeinsam haben sie ihre längst erwachsene Tochter großgezogen.
Zur Feier ihrer silbernen Hochzeit laden sie zu einem großen Fest, tanzen unter bunten Lampions und sehen einander tief in die Augen. Er ist zufrieden mit seinem Leben, in dem alles seine Ordnung hat, sie nur halb. „Kann das alles gewesen sein?“ schreibt sie in ihr Tagebuch.
Dann passiert, was die eingespurte Ehe innerhalb von Sekunden aus den Angeln hebt: Während einer Theaterprobe mit ihren Schülern beginnt Sabine zu taumeln, kann keine klaren Sätze mehr formulieren, stürzt, ist nicht mehr ansprechbar. Ihr Glück: Eine Schülerin holt umgehend Hilfe, sie kommt schnell in eine Klinik. Die Diagnose: Schlaganfall.
Rund 270.000 Menschen im Jahr trifft in Deutschland „der Schlag“, also eine Durchblutungsstörung im Gehirn oder ein geplatztes Aneurysma. Die sekundenschnell absterbenden Hirnfunktionen haben dramatische Folgen. Jeder fünfte Schlaganfallpatient stirbt, 64 Prozent bleiben pflegebedürftig. Soweit die Statistik.
„Aus dem Leben“ (9.10. um 20.15 Uhr, Das Erste) zeigt, wie sich das Leben danach anfühlt, wenn es Tag für Tag gemeistert werden soll – vom Betroffenen, aber auch vom Partner und der Familie. Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer, auch im wahren Leben ein Ehepaar, nehmen das Thema als Herausforderung, aus bekannten Rollenmustern auszubrechen. Sie, die Endfünfzigerin mit der mädchenhaften Lockenmähne, zeigt sich als halbseitig Gelähmte mit hängendem Augenlid und eingefrorenen Gesichtszügen. Er, seit Jahren als Wiener Tatort-Kommissar eine feste Größe im Krimi-Genre, spielt den Ehemann, der zwischen Hoffen und Bangen an seine Grenzen kommt. Wird ihre Ehe diese Belastung aushalten? Frauen, so besagt es die Statistik, fügen sich eher in die Rolle der Pflegenden als Männer. Nur 20 Prozent bleiben bei ihrer behinderten Partnerin.
Fiktive Realität fühlen
Wer soll denn auch wissen, wie es sich wirklich anfühlt, wenn die Patientin nach dem Schlaganfall nicht nur körperlich eine andere ist. Sabine hat dabei noch Glück im Unglück. Sie ist in ihrer Bewegung eingeschränkt, spricht langsamer, aber es hätte doch viel schlimmer kommen können. In 15 Prozent der Fälle sind die Folgeschäden derart gravierend, dass die Kranken in einem Pflegeheim versorgt werden müssen. Was es bedeutet, einen geliebten Menschen zu waschen, zu füttern und zur Toilette zu bringen, wie es sich anfühlt, wenn Freunde abtauchen, wenn die finanziellen Rücklagen schmelzen und das Ringen mit der Krankenkasse oft den letzten Nerv kostet, das erfasst eben keine Statistik. Genauso wenig wie die psychische Veränderung der Kranken.
Die in ihr Haus zurückgekehrte Sabine ist mürrisch und aggressiv. Nichts kann ihr neuen Lebensmut geben, nicht mal die Tochter, die das Elternhaus doch verlassen und zu neuen Ufern aufbrechen wollte. Ihre neuen Wanderschuhe, ein Geschenk zum Hochzeitstag, erscheinen der Rekonvaleszenten wie Hohn. Sie landen im Müll. Da sitzt sie nun in der Dämmerung ihrer Wohnung, an den Rollstuhl gefesselt, vom Leben getrennt. Die Zukunft der Schusters scheint grau in grau.
Es gibt schonungslose Arten, mit dem Thema einer schweren Erkrankung umzugehen, wie vor Jahren in dem Drama „Liebe“ von Michael Haneke, wo ein alter Mann seine Frau nach mehreren Schlaganfällen erstickt. Es gibt humorvolle, wie es Til Schweiger mit „Honig im Kopf“ gelang, wo ein dementer alter Mann mit seiner Enkelin zu einem Road-Trip aufbricht. Oder sarkastische, wie in „Ziemlich beste Freunde“, wo ein unkonventioneller Pfleger einem Gelähmten neuen Lebensmut gibt. Das Erste entscheidet sich für eine Variante, die das Drama nicht verrät, aber dennoch Hoffnungsfunken glimmen lässt. Als wahrer Engel zeigt sich dabei die resolute Pflegerin Iryna, die Sabine bei ihrem Ehrgeiz packt. Jetzt wäre doch mal Zeit, neue Wege zu gehen! Mal was anderes zu machen! Raus aus der Routine! Die Wanderschuhe werden wieder hervorgeholt.
Trotzdem den Gipfel erreichen
Dass es ausgerechnet ihr Lieblingsberg ist, den die Kranke besteigen will, könnte hier als Parabel gelten. Jeder, der sich nach einem Schlag zurück ins Leben kämpft, muss einen Berg überwinden, Schritt für Schritt. Wie ein vorläufiges Happy End wirkt die Szene, als beide oben angelangt sind, in einem Zelt übernachten und ihr zweites Leben feiern.
Sabine will zurück in die Schule, wieder unterrichten, aber vorher steht noch ein Informationsabend an. Das Auto wartet schon, sie will nur noch schnell ein Formular ausdrucken. Stefan geht schon vor und stockt. Warum braucht sie so lange? Zurück im Haus findet er seine Frau zusammengesunken vor dem Computer – Schlaganfall, der Zweite.
Was Kramer und Krassnitzer jetzt zeigen, ist eine Feuerprobe auf jede Ehe, auch eine gute. Wird die Geduld halten, die Zuversicht – die Liebe? Oder wird er seiner Frau helfen, ihrem Leiden selbstbestimmt ein Ende zu setzen, so wie sie es sich in der dunkelsten Stunde von ihm wünscht?
Die letzten Szenen zeigen Krassnitzer mit ernstem Gesicht, dunklem Mantel und einer weißen Lilie in der Hand. Die nun folgende, überraschende Wendung könnte dem Bemühen geschuldet sein, das Publikum nicht zu überfordern. Was bleibt, ist ein berührender Film, der von den beiden Hauptdarstellern souverän getragen wird.