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Wenn gar nichts mehr geht

Wird die „Korridorsanierung“ zum letzten Sargnagel für die Deutsche Bahn?

Hagen Ritter
30.09.2024

Die angestrebte Bahnreform, mit der die Deutsche Bundesbahn nach der Jahrtausendwende fit für die Börse gemacht werden sollte, ist definitiv gescheitert. Statt mit einer zweistelligen Rendite sorgt die Deutsche Bahn vielmehr mit Milliardenverlusten und notorisch unpünktlichen Zügen für negative Schlagzeilen. Dafür soll nun ein gigantisches Sanierungsprogramm für viel befahrene Strecken nach den Vorstellungen von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und der Konzernführung wieder für Pünktlichkeit bei der Bahn sorgen. Kritiker sehen allerdings die Gefahr, dass die Generalsanierungen den Bahnkonzern eher noch tiefer ins Chaos stürzen werden.

Bis 2030 will die Bahn 41 Hauptstrecken komplett erneuern. Die Sanierungen sollen jedoch nicht im laufenden Betrieb erfolgen, sondern bei jedem Projekt soll die Strecke für mehrere Monate komplett für den Bahnverkehr gesperrt werden. Aus Sicht des Bahnbeauftragten der Bundesregierung, Gero Hocker (FDP), stellt dieses Korridorsanierung genannte Verfahren ein „radikal neues Vorgehen“ der Generalsanierung dar.

Was Fahrgästen und Frachtspediteuren zugemutet wird, zeigt die geplanten Generalsanierung der Strecke Berlin–Hamburg. Befahren wird diese täglich von 230 ICE-, Regional- und Güterzügen. Mit täglich bis zu 30.000 Fahrgästen ist diese Strecke Spitzenreiter in Deutschland unter den Städte-Direktverbindungen. Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Generalsanierung, die von August 2025 bis Ende April 2026 geplant ist.

Eine Kostprobe auf die kommenden Zumutungen liefert die Bahn schon durch die derzeit laufenden Bauarbeiten auf einem Teilstück der Strecke. Diese Arbeiten haben im August begonnen und sollen noch bis Dezember andauern. Laut einem Bahnsprecher war eine Bündelung dieser Arbeiten mit der Generalsanierung im kommenden Jahr nicht möglich. Für die Fahrgäste sind die Auswirkungen der Teilsperrung der Strecke gravierend. Fernzüge zwischen Berlin und Hamburg werden noch bis zum Fahrplanwechsel im Dezember über Stendal, Salzwedel, Uelzen und Lüneburg umgeleitet. Die ICE-Züge sind dadurch im Schnitt mindestens 45 Minuten länger als bisher unterwegs. Mitunter dauert die Reise aber auch bis zu zweieinhalb Stunden länger. Im Fall des schwedischen Nachtzugs EN346 dauert die Fahrt zwischen Hamburg und Berlin nun sogar sechs Stunden.

Zwischen Wittenberge und Hamburg sind Fahrgäste aktuell sogar auf einen zeitraubenden Ersatzverkehr durch Busse angewiesen. Zwischen Wittenberge und Berlin verkehren immerhin noch Regionalzüge. Startet nächstes Jahr die Generalsanierung der Gesamtstrecke, werden Pendler, die von Wittenberge nach Berlin zur Arbeit wollen, ebenfalls auf den Bus-Ersatzverkehr angewiesen sein. Zumuten will die Bahn dies den Fahrgästen neun Monate lang, vorausgesetzt die Bauzeit wird eingehalten.

Größter anzunehmender Unfug
Bahnexperte Arno Luik, bezeichnete gegenüber der „Berliner Zeitung“ die derart geplante Generalsanierung der Strecke als „größten anzunehmenden Unfug“. Laut Luik sei das, was da Hunderttausenden von Reisenden und Pendlern in den kommenden Jahren mit den Generalsanierungen von Hauptstrecken bundesweit zugemutet wird, „weltweit ziemlich einzigartig“. Der Autor des Buches „Schaden in der Oberleitung – Das geplante Desaster der Deutschen Bahn“ argumentiert, in der Geschichte der Bahn würde seit jeher bei laufendem Betrieb repariert, „nahezu unbemerkt von den Reisenden“. Vollsperrungen von Strecken würden dagegen extreme Ausnahmefälle darstellen.

Peter Westenberger vom Netzwerk Europäische Eisenbahnen (NEE) wies auch auf massive Belastungen durch die Streckensperrung für den Güterverkehr hin: „Zwischen Berlin und Hamburg sind Güterzüge zwei bis vier Stunden länger unterwegs als sonst.“ Laut dem Branchenverband NEE kommt auf die Güterzugbetreiber während der Sperrung auch ein erheblicher Mehrbedarf an Lokführern und allgemein höhere Betriebskosten zu.

Kritik aus der Bauindustrie lässt befürchten, dass die Bahn bei ihren Generalsanierungen ihren Zeitplan nicht einhalten kann. Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB) erklärte: „Ich bin mir deshalb mittlerweile sehr sicher, dass bis 2031 nicht alle derzeit geplanten 41 Korridorsanierungen abgeschlossen sein werden. Ich halte es für vernünftig, das ganze Generalsanierungsprojekt zeitlich ein bisschen zu dehnen.“

Auch die Erfahrungen mit anderen Großprojekten, etwa beim Flughafen BER oder Stuttgart 21, geben Anlass zur Skepsis, wenn die Bahn innerhalb von sechs Jahren über vierzig Hauptstrecken sanieren will. Sollte bei dem Projekt der ehrgeizige Zeitplan gerissen werden oder der Geldbedarf aus dem Ruder laufen, muss die Bahnführung damit rechnen, dass die Diskussion um eine Zerschlagung des Konzerns wieder aufflammen wird.


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