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3000 Mark Kopfgeld: Fahndungsplakat
Foto: Wikimedia3000 Mark Kopfgeld: Fahndungsplakat

Kriminalgeschichte

„Wie ein wildes Tier“

Erst mordete er, dann narrte er die Berliner Polizei – Der Berliner Raubmörder Rudolf Hennig, der 1906 hingerichtet wurde

Bettina Müller
01.10.2024

Am 5. Dezember 1905 lockte Rudolf Hennig den stellungslosen Kellner August Giernoth unter dem Vorwand, ihm eine Stelle verschaffen zu wollen, in den Glienicker Forst, wo er ihm zwei Mal in die Schläfe schoss. Unter falschem Namen hatte er sich dem Mann vorgestellt, der sich so gefreut hatte, endlich wieder eine Arbeit zu finden.

Doch am Ende lag er tot auf dem Waldboden, während der Mörder nach Berlin eilte, um Giernoths Sparbuch zu verpfänden und so zu Geld zu machen. Die Unterschrift auf dem Wechsel wurde ihm zum Verhängnis, als ein Kriminalbeamter sie mit Schriftproben aus den Verbrecheralben verglich. Und so konnte dem Publikum vermeldet werden, dass der vorbestrafte Lederarbeiter Karl Rudolf Hennig derjenige war, der das Sparkassenbuch geraubt und Giernoth erschossen hatte. Doch wo war Hennig?

Tagelang wurde in allen Ecken und Winkeln gesucht, die gesamte Berliner Presse stand Kopf. Erst als ein Hausbesitzer die Polizei auf einen verdächtigen „Kaufmann Hein“ aufmerksam machte, war das Spiel aus. Eine ganze Polizeiarmada rückte an, umstellte das Haus, riegelte die Straßen ab, um den Verbrecher dingfest zu machen.

Als die Polizei vor seiner Tür stand, blieb er völlig gelassen und folgte ihnen brav zur Wache in der Choriner Straße. Doch auf der Treppe davor drehte er sich auf einmal um, schlug einen Beamten nieder und floh. Im Haus Schönhauser Allee 28 hetzte er bis zum obersten Stock, trat auf das Brett des Gangfensters und sprang dann unter Lebensgefahr über anderthalb Meter Zwischenraum hinweg bis zu dem Absatz eines offenen Treppenflurfensters des benachbarten Hauses in der Treskowstraße 14, die 1952 in Knaakstraße umbenannt wurde. Dort ging es weiter nach oben, bis er eine offene Bodenfensterluke vor sich sah und so bis zum Dach des Nebenhauses gelangen konnte.

Auf der Straße gab es bereits Menschenansammlungen, alle Hälse reckten sich nach oben, fast schwerelos tänzelte Hennig über Firste und schmale Simse, von Dach zu Dach. Aber dann war er auf einmal wie vom Erdboden verschwunden. Hennig hatte die Polizei düpiert und setzte dann noch einen drauf. Er betrat in aller Seelenruhe im Erdgeschoss eine Schuhmacherwerkstatt und bat den Meister, ihm seine Schuhe neu zu besohlen. Während der Mann bereits werkelte, schlüpfte er in ein Paar Filzpantoffeln, setzte sich eine grüne Schirmmütze auf und schlurfte dann durch den Hausflur an diversen Beamten vorbei in die Freiheit.

Nun schien das ganze Land auf der Jagd nach ihm zu sein. Die Polizeibehörden des Deutschen Reiches waren alarmiert. Die Suche dauerte geschlagene acht Tage, an denen zahlreiche unschuldige Männer denunziert oder sogar verprügelt wurden, weil sie Ähnlichkeit mit Hennig hatten. Es lockte immerhin eine Belohnung von 3000 Mark.

Doch der Verbrecher war längst in Stettin – es wurde sein ganz persönliches Waterloo. Am 14. März 1906 stahl er dort ein Fahrrad, konnte aber von dem hartnäckigen Besitzer dingfest gemacht und schließlich der Polizei übergeben werden. Die Beamten staunten nicht schlecht, als sie merkten, wen sie da vor sich hatten.

Am 30. April 1906 wurde Hennig nach Potsdam überführt. Die Flut an Zeitungsmeldungen steigerte das öffentliche Interesse am Prozess. Und der wurde für den vor Gericht sehr eloquenten Hennig zum Kampf ums Überleben, den er jedoch verlor. Seine Eloquenz, die er oftmals sehr sinnvoll einzusetzen wusste, nützte ihm jetzt nichts mehr. Hennig wurde zum Tode verurteilt.

„Wie ein wildes Tier“, so ein Augenzeuge, habe Hennig geschrien, als man ihn um halb acht Uhr morgens in Plötzensee auf den Hof führte, wo der Scharfrichter ihn bereits erwartete. Das Mittelalter ließ grüßen. Und Hennig kreischte in Panik: „Was wollt ihr denn von mir?“ Es war ein letztes Aufbäumen, dem dann die Resignation folgte. Hennig ließ sich widerstandslos auf den Richtblock legen. Anschließend wurde die Nachricht von der Hinrichtung dem Kaiser Wilhelm II. per Telegramm mitgeteilt.


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