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Trotz harscher Kritik der Betroffenen: Senat hält an Umgestaltung der Friedrichstraße fest
Bereits in den 1960er Jahren beschrieb Wolf Jobst Siedler in seinem Buch „Die gemordete Stadt“, wie der Städtebau der Nachkriegsjahrzehnte in einer Tabula-rasa-Mentalität ebenso banale wie leblose Neubausiedlungen hervorgebracht und das „Verlöschen des eigentlich Städtischen“ gefördert habe. Wolf Jobst Siedlers Abrechnung hatte ihren Anteil an der Wiederentdeckung großstädtischer Bautraditionen in den 80er Jahren und in der späteren Ära des Berliner Senatsbaudirektors Hans Stimmann.
Inzwischen liefert der Berliner Senat am Beispiel der Friedrichstraße neues Anschauungsmaterial, wie ideologiegesteuerte Stadtplanung Urbanität auslöscht und Ödnis hinterlässt. Im Zuge eines Verkehrsversuchs „Flaniermeile Friedrichstraße“ hat die Senatsverkehrsverwaltung seit August 2020 einen Teilabschnitt der Friedrichstraße zwischen Leipziger Straße und Französischer Straße für den privaten Autoverkehr gesperrt. Freie Fahrt räumte die Verkehrsverwaltung unter Grünen-Führung dafür Radfahrern ein. Diese konnten während des Versuchs einen vier Meter breiter Fahrradstreifen nutzen, der mitten auf der Straße verläuft. Bereits bei einer Zwischenauswertung im vergangenen Herbst hatten die Senatsverkehrsverwaltung und der Bezirk Mitte das Projekt als Erfolg bezeichnet.
Selbst Senatorin räumt Fehler ein
Vor Kurzem legte Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) nun ihre weiteren Pläne für die Friedrichstraße vor: „Mein Wunsch ist eine Piazza, so wie man sie aus Italien kennt“, so Jarasch. Dauerhaft soll nach dem Willen der Senatorin der autofreie Zustand bleiben: „Der fließende Verkehr bleibt draußen. Sonst wird der ganze Verkehrsversuch ad absurdum geführt“, so die Grüne.
Die Senatorin selbst räumte am 2. Mai bei der Präsentation ihrer Pläne ein, die Idee einer Flaniermeile in dem Teilstück zwischen Leipziger und Französischer Straße habe bisher nicht funktioniert. Der Versuch habe vielmehr gezeigt, dass der Fahrradstreifen in der Mitte der Friedrichstraße die Menschen daran hindere, auch die Straße zu nutzen oder zu überqueren. Als Konsequenz will Jarasch nun den Radverkehr in die parallel verlaufende Charlottenstraße verlegen.
Die Grünen-Politikerin reagiert damit auf die immer wieder vorgebrachte Kritik, dass statt der angekündigten Flaniermeile eine Fahrradrennstrecke entstanden sei. Die Kritik von Anrainern geht allerdings noch viel weiter. Ein Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße!“ fordert von Jarasch neben einem sofortigen Stopp des Projekts ein Gesamtkonzept für die Friedrichstraße und auch den angrenzenden Gendarmenmarkt ein. Das Bündnis strebt dabei zudem an, dass ein Verkehrs- und Tourismuskonzept unbedingt auch den Lieferverkehr berücksichtigt und aufzeigt, wie künftig Taxis und Touristenbusse ohne Stau durch Berlins historische Mitte kommen. Das Aktionsbündnis hat überdies das Ergebnis einer professionellen Datenauswertung vorgelegt. Demzufolge ist die Besucherfrequenz in der Friedrichstraße seit der Einführung des Verkehrsversuches um ein Drittel zurückgegangen. Der Verein „Die Mitte e. V.“, in dem sich 150 Gewerbetreibende zusammengeschlossen haben, fordert sogar den sofortigen Stopp des Verkehrsversuchs. Zur Begründung sagt Conrad Rausch, der Vorsitzende des Vereins: „Mittlerweile sind diese 800 Meter des Versuchs optisch traurig und peinlich für die Stadt. Die Optik des Verkehrsversuchs wertet die gesamte historisch bedeutende Friedrichstraße ab.“
Bei Dunkelheit nahezu ausgestorben
Tatsächlich weckt die Friedrichstraße aus Sicht vieler Anrainer und Berlin-Besucher nicht einmal mehr entfernt Erinnerungen an eine Flaniermeile. Auf dem für Autos gesperrten Abschnitt sind Schaufenster von mittlerweile geschlossenen Geschäften abgeklebt. Nach Angaben von Gewerbetreibenden haben seit der Sperrung der Straße bereits 15 Filialen dicht gemacht. Verschärft wird das Bild der Trostlosigkeit noch von Schaukästen, die im Zuge des Verkehrsversuches aufgestellt wurden.
Ursprünglich sollten Geschäftsinhaber die Schaukästen zur Werbung nutzen. Tatsächlich stehen aber mittlerweile viele der Schaukästen leer, sind zum Teil auch schon demoliert. Daneben nutzen Obdachlose die neu aufgestellten Holzbänke als Schlafstätte. Vor allem in den Abendstunden erweckt die Friedrichstraße einen Eindruck – für eine zentrale Innenstadtstraße einer Millionenmetropole eher untypisch. In den 1920er Jahren galt die Friedrichstraße geradezu als Inbegriff für ein quirliges Nachtleben. Heutzutage wirkt die einstige Prachtstraße in dem autofreien Abschnitt nach Einbruch der Dunkelheit geradezu wie ausgestorben.