26.04.2024

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48er-Revolution

Wie es zum Ersten Schleswig-Holsteinischen Krieg kam

Vor 175 Jahren führte die Eskalation zwischen Kopenhagen und Kiel zur Bildung einer Provisorischen Regierung für die up ewig ungedeelten Elbherzogtümer

Fedor M. Mrozek
27.03.2023

Im Gegensatz zu den anderen deutschen „Bindestrich-Bundesländern“, die von den alliierten Besatzungsmächten nach 1945 aus der Taufe gehoben worden sind, kann das Land zwischen den Meeren auf eine jahrhundertealte staatliche Tradition zurückblicken. Zuerst konnte sich der holsteinische Graf Gerhard VI. aus dem Geschlecht der Schauenburger, ein Vasall des römisch-deutschen Kaisers, anno 1386 zugleich die Herrschaft im Herzogtum Schleswig, einem Lehen der dänischen Krone, sichern. Nach dem Aussterben der Hauptlinie der Schauenburger im Jahre 1459 leistete die größtenteils in beiden Territorien mit Besitz ausgestattete Ritterschaft den Schwur, einen gemeinsamen Landesherrn zu küren. Die Wahl fiel am 2. März 1460 auf den seit 1448 im Königreich Dänemark regierenden Monarchen Christian I. aus dem deutschen Fürstenhause der Grafen zu Oldenburg. Im Sinne einer Wahlkapitulation gelobt dieser drei Tage später mit dem Freiheitsbrief von Ripen, die angestammten Privilegien treu zu bewahren. In jener Urkunde stehen die berühmten Worte „dat se bliven ewich tosamende ungedelt“, laut derer die beiden Lande ewig ungeteilt zusammenbleiben mögen.

Der deutsche Historiker Alexander Scharff erläutert in seiner „Schleswig-Holsteinischen Geschichte“ gemeinsam mit seinem Kollegen Manfred Jessen-Klingenberg eingedenk der am 4. April 1460 auf dem Kieler Schloss ergangenen „Tapferen Verbesserung“ die Versprechen des dänischen Königs sowie nunmehr in Personalunion Herzogs von Schleswig und Grafen von Holstein folgendermaßen: „Der Grundgedanke der Urkunden ist die Autonomie der Lande: daher keine Pflicht zur Heerfolge außerhalb der Landesgrenzen, daher Unabhängigkeit des Gerichtswesens, Münzprivileg, Steuerbewilligungsrecht und Indigenatsrecht [Berufung von Landeskindern, d. Verf.] für alle Ämter. Sowohl die Teilung nach fürstlichem Erbrecht wie die Trennung der Lande soll verhindert werden durch die Verpflichtung des Gewählten und seiner Erben ... In allen wichtigen Entscheidungen (Kriegserklärung, Rechtsgeschäfte, Ein- und Absetzung der Beamten) ist der Landesherr an die Zustimmung des Rates gebunden.“

Eiderdänen in Kopenhagen

Soweit die Theorie, doch die Praxis entwickelte sich vom ausgehenden Mittelalter über die frühe Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert etwas anders. Eine erste Landesteilung erfolgte bereits drei Jahrzehnte danach unter König Johann und Herzog Friedrich, indem Schleswig und ebenso das 1474 von Kaiser Friedrich III. zum Herzogtum erhobene Holstein in einen Königlich-Segeberger nebst einen Herzoglich-Gottorfer Anteil entlang von kreuz und quer durch die beiden Lande verlaufenden Ämtergrenzen umstrukturiert wurde.

Bei der zweiten Teilung 1544 ging man noch über 1490 hinaus, denn neben einen Sonderburger Anteil für König Christian III. traten gleich zwei weitere für seine Stiefbrüder Johann den Älteren (Hadersleben) plus Adolf (Gottorf), wiewohl die nominelle Einheit bezüglich der Oberherrschaft über geistliche Gebiete von Prälaten und über die Gutsbezirke der Ritterschaft gewahrt blieb. Gleiches gilt für die Einrichtungen von Landtag und Landgericht mitsamt Gesetzesbeschlüssen, Kriegs- und Kirchenangelegenheiten.

Letztere Merkmale einer sogenannten Gemeinsamen Regierung in den Herzogtümern überdauerten sogar die zwischen 1660 und 1665 im Königreich mit der „Lex Regia“ eingeführte absolutistische Regierungsweise, bei der Dänemark einen europäischen Sonderweg einschlug. Im europäischen Ausland gingen die absolutistischen Herrschaftsformen organisch aus dem Feudalismus hervor, ohne ihn jedoch amtlich zu ersetzen, sodass sich selbst der französische Sonnenkönig Ludwig XIV. mit ständischen Rechten und Organen zu arrangieren hatte. Dagegen konzentrierte man in Kopenhagen die komplette Macht ganz offiziell in einer Person. Das sollte sich spätestens 1848 als anachronistisch erweisen.

Im Gefolge von französischer Revolution und napoleonischer Fremdherrschaft in Mitteleuropa hatte der dänische Regent und nachmalige König Friedrich VI. versucht, das faktische Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806 zu nutzen, um Holstein formell in sein Reich zu inkorporieren. Indes wurde nach der Überwindung der napoleonischen Zeit im Zuge der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress von 1814/15 mit dem Deutschen Bund in gewisser Hinsicht ein Nachfolger des Heiligen Reiches geschaffen. Die Elbherzogtümer Holstein und Lauenburg wurden einerseits Gliedstaaten dieses neugegründeten Bundes und bildeten andererseits gemeinsam mit dem autonomen Herzogtum Schleswig sowie dem Königreich selbst den dänischen Gesamtstaat.

Die dänischen und deutschen Liberalen einte zwar scheinbar das Streben, den Absolutismus durch eine konstitutionelle Monarchie zu ersetzen, doch der nationale Gedanke machte eine Übereinkunft unmöglich. In Kopenhagen formierte sich am 11. August des Jahres 1848 die liberale Bewegung mit dem Ziel, die Verfassung für einen Nationalstaat unter Einschluss Schleswigs bis zur Eider auf den Weg zu bringen, daher die Bezeichnung „Eiderdänen“.

Deutsche in Kiel

Genau eine Woche darauf formulierten in Rendsburg die Vertreter der schleswigschen und holsteinischen Ständeversammlungen gemeinsam mit einer Volkskundgebung einen Protest und konterten mit der Forderung, aus der seit 1460 überlieferten Realunion beider Herzogtümer durch Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund einen Zusammenschluss auf freiheitlicher Verfassungsgrundlage zu schmieden.

Der nationalliberale, eiderdänische Politiker Orla Lehmann deutete das am 20. März im Kopenhagener Casino-Theater als Aufruhr und mobilisierte tags darauf einen 20.000-köpfigen Demonstrationszug zum König, um von diesem eine neue Regierung zu fordern. Dieser Forderung wurde mit einer neuen Regierung unter maßgeblicher Mitwirkung der Eiderdänen entsprochen. Am 22. März trat sie ihr Amt an. Die Nachrichten aus der dänischen Hauptstadt alarmierten schon am folgenden Tage die deutschgesinnten Schleswig-Holsteiner jedweder politischen Couleur.

Führende Professoren der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, darunter Staatsrechtler und Historiker, stellten nun die Personalunion zwischen Dänemark und Schleswig-Holstein in Frage. Sie verwiesen darauf, dass nach dem Tod des Königs Christian VIII. am 20. Januar dieser gemäß der dänischen Lex Regia von dem aus einer weiblichen Linie stammenden Friedrich VII. im Königreich beerbt worden war, dass aber in den Herzogtümern mit dem salischen ein anderes Erbrecht als im Königreich galt und diesem zufolge Christian August aus der männlichen Nebenline der Augustenburger die Herrschaft in den Herzogtümern zustand.

Nichtsdestotrotz hielt man nach außen vorerst an Fridrich VII. fest. Entscheidend für das Zusammengehen von Konservativen, Liberalen und Demokraten in Kiel war das Bewusstsein, der Landesherr sei unter dem Druck der Massen eingeknickt und somit nicht mehr Herr seiner eigenen Entscheidungen. Folglich müsse man das Heft des Handelns in die eigenen Hände nehmen und dem von der eiderdänischen Regierung avisierten Bruch des Ripener Privilegs von 1460 Paroli bieten.

Zu mitternächtlicher Stunde läuteten am 24. März die Glocken der Kieler Nikolaikirche, und vor dem Rathaus verkündete Wilhelm Hartwig Beseler um 1 Uhr morgens die Bildung einer Provisorischen Regierung mit Friedrich Graf zu Reventlou, Prinz Friedrich von Noer, Theodor Olshausen und weiteren Honoratioren. In Kiel erwartete man zu Recht, dass sich Kopenhagen das nicht würde bieten lassen. So machte sich noch am selben Morgen um 5 Uhr der Prinz von Noer, der Bruder des die Herzogtümer beanspruchenden Christian August, mit einem Dampfzug auf den Weg zur Landeshauptfestung Rendsburg, um diese in einem Überraschungscoup ohne Kampf zu nehmen und sich damit eine möglichst günstige militärische Ausgangsposition zu verschaffen für den nun beginnenden Ersten Schleswig-Holsteinischen Krieg.


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