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Gregor Gysi: „Was Politiker nicht sagen – weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht“, Econ Verlag Berlin 2022, gebunden, 272 Seiten, 22 Euro
Gregor Gysi: „Was Politiker nicht sagen – weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht“, Econ Verlag Berlin 2022, gebunden, 272 Seiten, 22 Euro

Politik

Wie Gregor Gysi sich selbst sieht

Im Plauderton und angereichert mit biografischen Einschüben, erklärt der Linken-Politiker Politik

Karlheinz Lau
30.04.2022

Gregor Gysi ist ein bundesweit bekannter Politiker, ein überzeugter Linker, was in seinen politischen Aktivitäten in der SED, der PDS und der Linken dokumentiert wird. Heute gehört er zur Fraktion der Linkspartei. Er gilt als fachlich kompetent sowie als kluger und geistreicher Diskussionspartner und Debattenredner. Diese Eigenschaften erklären seinen Bekanntheitsgrad über die Parteigrenzen hinaus.

Der Titel seines neuen Buches „Was Politiker nicht sagen“ suggeriert die ganze Spezies Politiker, im Grunde aber meint er sich selbst, wie die Ausführungen zeigen. Das Buch enthält zwanzig kleine Kapitel mit inhaltlich unterschiedlichen Ansätzen, die im Ergebnis ein Bild des Politikers Gregor Gysi zeichnen. Es ist ein Kaleidoskop mit vielen Versatzstücken: Erfahrungen, Selbstzitaten, seiner Biografie, der DDR und der Bundesrepublik – und sie enthalten immer wieder auch Plädoyers für die eigene Partei.

Dabei werden seine Kenntnisse der Geschichte der Rhetorik gebührend unter Beweis gestellt: Namen wie Aristoteles, Cicero und Cato, aber auch Goethe, Lessing, Schiller und Walter Jens dürfen im Personenregister nicht fehlen. Die Überschriften weisen nicht unbedingt auf die folgenden Ausführungen hin, Beispiel Kapitel 5: „Über den Müggelsee laufen“.

Gysi beschreibt seine Zeit als Vorsitzender der SED ab Dezember 1989 und den Übergang zur PDS, er begründet seine Haltung, die damals aus allen politischen Lagern kritisiert und verurteilt wurde. Dabei gab es auch Witze über seine Person. Er stand am Müggelsee und Jesus kam zu ihm und versprach, dass er über den Müggelsee laufen könne. Der politisch links stehende Wundermann konnte es natürlich nicht und erntete den Spott vieler Bürger.

Sprache als Instrument

Zugegeben, das klingt etwas herbeigeholt, ist aber nicht typisch für das Niveau des Buches. In all seinen Beiträgen versteht sich Gysi als aktiver Politiker, er ist heute außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Von zentraler Bedeutung sind für ihn Sprache und Rhetorik; er bezeichnet sie als das wesentliche Instrument des Menschen in der Politik. Ausgehend von dieser Feststellung bietet er grundsätzliche Überlegungen zur praktischen Anwendung im persönlich/privaten Bereich, in öffentlichen Veranstaltungen, in Parteiversammlungen und schließlich im Parlament.

Ein ganz besonderes Thema sind die vielen Talkshows, oft war und ist er Gesprächsteilnehmer. Er nennt sie Pflichttermine für alle Politiker. Für die Bürger seien sie ein Angebot für politische Bildung. Wo immer man auftrete, sei es im Gespräch, in einer Diskussion, innerhalb der eigenen Partei oder im Parlament, bedürfe es bestimmter Grundsätze oder Regeln, wenn der Gesprächspartner überzeugt werden solle: Wahrhaftigkeit und nicht Überforderung, keine falschen oder gefälschte Informationen oder Nachrichten. „Zu den Waffen des gewieften Rhetorikers zählt leider die gespaltene Zunge.“

Insgesamt liefern Gysis Anforderungen an eine Rede oder für ein Gespräch keine neuen Erkenntnisse. Was sie in Texte eingebaut interessant macht, ist die Verquickung mit seinen persönlichen Erfahrungen in der praktischen Politik, meist aus dem Bundestag. Es sind Einzelbilder, die er vermittelt. So bezeichnet er den „Rhetorikwerkkasten“, den er beispielsweise in Konferenzen oder in Parteibüros und im Parlament einsetzt, als abseits des Alltags, er entspreche nicht der Lebensrealität der Menschen. Diese sprächen ihre eigene Sprache.

Originell sind die Sprüche des Autors, die er vor jedes Kapitel setzt. Sie stammen aus Parlamentsreden, Parteitagsdiskussionen oder persönlichen Begegnungen. Einige Beispiele zu unterschiedlichen Gelegenheiten: „Ein Ostdeutscher ist Bundespräsident, eine Ostdeutsche ist Bundeskanzlerin, und was aus mir wird, wissen Sie alle nicht“, Bundestagswahlkampf 2013, oder: „Wer die deutsche Einheit will, muss sich auch mit mir abfinden. Billiger ist sie nicht zu haben“, Bundestagsdebatte Mai 1996, oder: „Ich fand das Plakat der CSU ‚Wer betrügt, der fliegt' gut. Ich weiß nur nicht, wo wir mit der ganzen Bundesregierung hinsollen“, Aschermittwoch 2015.

Originelle Sprüche

Diese und weitere Sprüche zeigen einen selbstbewussten Gysi, der mit seinem Witz zu kokettieren weiß. Das gesamte Buch kann auch in einzelnen Kapiteln gelesen werden. Man kann unterstreichen, das Buch ist anregend und lesenswert, es ist ein gelungener Versuch, „ein paar Gedanken zur politischen Rhetorik und zu meinem Verhältnis zur Sprache aufzuschreiben“.

Ein Standardwerk etwa über die Arbeitsweisen in der parlamentarischen Demokratie ist es nicht, will es ausdrücklich nicht sein, der Autor gibt sich bescheiden: „Kein Angriffspapier. Kein Ratgeberprogramm. Eine Rezeptur schon gar nicht. Ein biografisch beeinflusster Erklärungsversuch. Systematik? Eher eine Plauderei.“ Dem ist zuzustimmen: ein anregender Cocktail – gut bekömmlich durch die ernsthafte Mischung anregender Zutaten.


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