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Wiedergewinnung eines Gotteshauses

Mit seiner Ankündigung, die Hagia Sophia in Istanbul als Moschee nutzen zu wollen, hat der türkische Präsident Erdoğan überall in der christlichen Welt Proteste hervorgerufen. Dabei gibt es für sein Vorgehen durchaus plausible Gründe

Eberhard Straub
24.07.2020

Die wütend Aufgeregten in der westlichen Wertegemeinschaft, die sich derzeit über die abermalige Umwidmung der Hagia Sophia in eine Moschee empören, sind von ihrer Aversion gegen den türkischen Staatspräsidenten überwältigt und folgen Leidenschaften, die mit dem Gotteshaus an sich gar nichts zu tun haben.

Am 29. Mai 1453 eroberte Sultan Mehmet II. Konstantinopel und begab sich sofort in diese größte und prächtigste Kirche der östlichen Christenheit, in der die Römischen Kaiser des Mittelalters gekrönt und gesalbt wurden. Als Rum Kayseri, als Römischer Kaiser, nahm der Sultan sie in Besitz und erklärte sie zur Moschee. Mehmet achtete auf Kontinuität. Das Osmanische Reich übernahm das byzantinische, römische Erbe und blickte von nun an nach Westen. Dies warf ihm Jahrhunderte später Kemal Atatürk vor, weil die Osmanen damit die türkische Sendung verraten hätten und sich von übernationalen, hellenistischen, römischen und europäischen Traditionen verführen ließen, was unweigerlich zur Katastrophe ihres Reiches führen musste. Es war der Westen, der sie laut Atatürk auf Irrwege verlockte.

Das Osmanische Reich

Wenn heute die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee beklagt wird, sei daran erinnert, dass seinerzeit die lateinischen Christen nichts taten, um den Zusammenbruch der letzten Überbleibsel des einst mächtigen Byzantinischen Reiches aufzuhalten. Der Verlust der Kathedrale wurde vor allem in Italien durchaus wahrgenommen. Aber die Distanz zur griechischen Kirche war viel zu groß, als dass die Westeuropäer sich deren Niedergang allzu sehr zu Herzen genommen hätten.

Zudem wurden die Christen im Osmanischen Reich nach der Eroberung nicht verfolgt, sondern konnten in ihrem Glauben unter dem Schutz der nunmehr muslimischen Kaiser leben und in weitgehender Freiheit vor allem als Fernhändler, Bankiers und Unternehmer sich in den neuen Verhältnissen zurechtfinden. Wer es unter Griechen, Bulgaren, Serben oder auch in Siebenbürgen verstand, sich mit dem neuen, aber gar nicht völlig fremden System zu arrangieren, litt nicht unter Fremdherrschaft. Regionale, nationale und religiöse Sonderformen fanden großzügige Anerkennung. Eine Gleichheit des Denkens und Glaubens galt im Osmanischen Reich nicht als erstrebenswert. So schufen die Sultane eine Jahrhunderte haltende staatliche Ordnung.

Wenn Kirchen zu Moscheen umgewidmet wurden, war das nichts Ungewöhnliches. Der Dom in Syrakus ist ein umgewandelter Tempel der Athena, und eine der größten und schönsten Moscheen des Islam wurde 1236 zum Dom von Cordóba. Bislang hat noch kein Verfechter multikultureller Nachdenklichkeit gefordert, im ehemaligen Athena-Tempel etwa eine Begegnungsstätte für den religiösen Dialog einzurichten oder die Moschee-Kathedrale von Cordóba in ein Kulturmuseum mit Erlebnisgastronomie umzugestalten. Im 17. Jahrhundert hofften manche Deutsche während der Kriege mit den Türken, bis nach Konstantinopel vorzudringen und aus der Hagia Sophia einen – allerdings katholischen – Dom zu machen. Für die Russen blieb Konstantinopel immer ein vaterländisches Ziel, an das sie freilich nie gelangten, weil andere Christen ihnen den Weg nach dem „Zweiten Rom“ versperrten. So blieb die Hagia Sophia eine Moschee, die im Übrigen der europäischen Wissenschaft nicht unzugänglich war.

Der Schweizer Gaspare Fossati unternahm im Auftrag des Sultans zwischen 1847 und 1849 eine umfassende Restaurierung. Der preußische Architekt Wilhelm Salzenberg reiste 1847 im Auftrag Friedrich Wilhelms IV. nach Konstantinopel, um die Hagia Sophia und andere Kirchen zu untersuchen und zu dokumentieren. Die Ergebnisse publizierte er 1854 in einem üppigen Tafelwerk. Es gab also keinen Grund zu Vorwürfen, dass despotische Sultane der Christenheit eine ihrer ehemaligen Hauptkirchen entfremdet hätten. Die Briten freilich polemisierten deshalb gegen die „grausamen“ und „unmenschlichen“ Türken, weil diese zuweilen ihre eigenen Interessen durchkreuzten. Was nicht gut für England war, konnte auch nicht gut für Europa und die Menschheit sein. Doch die Hagia Sophia spielte bei solchen antitürkischen Eskapaden keine Rolle. Eine Moschee in einem früheren Kaiserdom erschütterte die selbsternannten weltoffenen Menschenfreunde in ihrem Weltbild und Sendungsbewusstsein in keiner Weise.

Der laizistische Kemalismus

Kemal Atatürk, ein türkischer Nationalist, dem die osmanische Rücksicht auf Mannigfaltigkeit stets unverständlich geblieben war, haderte mit Konstantinopel als Tor zum Westen und verlegte die Hauptstadt des von ihm gegründeten Nationalstaates nach Ankara. Die Hagia Sophia, die Hauptkirche Römischer Kaiser und die herausragende Moschee Völker und Länder verbindender Sultane, galt ihm als ein Symbol untürkischer Gesinnung. So wurde sie von ihm als Museum ab 1934 profanisiert und der modernen Türkei entrückt, die mit der gesamten osmanischen Geschichte und deren Bezügen zu Rom, dem Hellenismus und Byzanz nichts mehr zu tun haben sollte; abgeschnitten von ihren einst so fruchtbaren europäischen und mittelmeerischen Traditionen, die das Osmanische Reich als letzte römische Reichsbildung gar nicht verleugnete. Kemal Atatürk, dieser angebliche Westler, hat den jahrhundertelangen, immer spannungsvollen Zusammenhang von Orient und Okzident endgültig aufgehoben.

Die moderne Türkei, ohne Erinnerung an ihre osmanische und römisch-antike Vorgeschichte, ist trotz westlicher Fassaden eine willkürliche Konstruktion wie eine der in die Unabhängigkeit entlassenen ehemaligen Kolonien. Kemal Atatürk verwarf die osmanische Geschichte und damit auch die Verbindung des Staates mit der Religion. Eine laizistische Türkei hielt der Autokrat für modern, westlich und vernünftig, weil in Übereinstimmung mit dem souveränen Menschen, der allein sich und einer vernunftgemäßen staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung vertraut. Auf den Beifall aller europäischen Laizisten konnte er sich verlassen. Diese übersahen die autokratischen Selbstherrlichkeiten dieses Soldatenkaisers als Präsident, der sich rigoros über die religiösen Bedürfnisse des Volkes hinwegsetzte, das um wirklich souverän zu sein, frei von religiöser Untertänigkeit gemacht werden sollte.

Die ersten radikalen Laizisten waren die wahrhaften französischen Demokraten mit ihrem Staatsterrorismus 1793/94. Schon damals sollte die Freiheit einschüchternd und erziehend wirken, damit die Menschen sich zu wirklich freien Bürgern bilden konnten. Der Laizist darf deshalb nicht tolerant sein, weil die Vernunft es in seinem Weltbild verbietet, mit Unvernünftigen vernünftig, also verständnisvoll umzugehen. Der Göttin Vernunft können zahllose Menschenopfer gebracht werden. Die Gewalttätigkeiten der religionsfeindlichen Vernünftigen, die Frankreich um seine innere Ordnung brachten, unterband erst Napoléon, der die Verständigung mit der Kirche suchte, um das katholische Frankreich zu befrieden. Der Laizismus war für hundert Jahre in den Hintergrund gedrängt und um seine Wirkungsmöglichkeiten gebracht worden.

Rückkehr der Türken zu ihren Wurzeln

Kemal Atatürk war kein Robespierre. Er sorgte für keine Massenhinrichtungen, aber seine religiöse Rücksichtslosigkeit schuf Spannungen, die ein Autokrat wie Napoléon einst umsichtig beruhigt hatte. Seit Atatürks Tode gab es immer wieder Versuche, den von ihm geschaffenen Gegensatz zwischen Religion und Staat zu mildern. Recep Tayip Erdoğan, der von seinen westeuropäischen Gegnern als Sultan charakterisiert wird, folgt dem Beispiel Napoléons, die Religion nicht zu verachten, sondern sie zu achten, auch aus Staatsklugheit, weil sie eine gesellschaftliche und geistige Kraft und Macht ist, die dem Staate Energien zu vermitteln vermag, die ihn erst sittlich legitimieren. Er will den geschichtslosen Kemalismus mit der Geschichte versöhnen, mit dem Osmanischen Reich, das trotz mancher Unzulänglichkeiten eine unersetzliche Ordnungsmacht war. „Der Westen“, der sich heute gern über die Türken erhebt, hat hingegen im vorderen Orient nur Chaos und Unordnung geschaffen und weiß gar nicht, wie es dort wieder zu einer Ordnung kommen kann.

Die Hagia Sophia als Moschee erinnert die westlichen Ideologen an ihre Widersprüche. Sie kämpfen gegen jede Religion und haben die „westliche Wertegemeinschaft“ zu einer neuen Weltanschauung erhoben, ähnlich den radikalen „Wertegemeinschaftlern“ um 1793. Sie kämpfen gegen einen Islam, der erst als „Euro-Islam“ nach ihren Vorstellungen sozialverträglich ist, so wie die katholische Kirche heute anstelle des Glaubens an Christus beflissen die Maskenflicht oder den „Kampf gegen Rechts“ als Heilsbotschaften verkündet. Die Hagia Sophia als Museum, das nun schmerzlich von den Laizisten vermisst wird, passt genau in diese Erwartungen. Religion gehört für sie ins Museum, sie ist in ihren Augen antiquiert und eine Antiquität. Wer sie aus dem Museum herausholt, stiftet Unfrieden. Denn Religion, vor allem der Islam, die einzige Religion, die noch Gott verkündet und nicht die Regenbogenfahne als Zeichen der Erlösung von allen Übeln schwingt, stiftet Friedlosigkeit. Dagegen muss sich „der Westen“ – so die Laizisten – vehement wehren.

Die Türken werden wie im 19. Jahrhundert wie störrische Halbwüchsige behandelt. Eines der großen Verdienste Kemal Atatürks war es, dem Westen und allen sonstigen Mächten verdeutlicht zu haben, dass die Türkei ein souveräner Staat ist. Danach richtet sich auch Erdoğan, selbst wenn er einen Touristenmagneten wie die Hagia Sophia den Touristen entzieht. Dieses großartige Gotteshaus war immer für den Gottesdienst bestimmt, jedoch nicht dafür vorgesehen, als pittoresker Hintergrund für Selfies zu dienen.


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Kommentare

Marcus Stritzke am 30.07.20, 10:49 Uhr

Die christlichen Mosaike der Hagia Sophia werden die Umwandlung nicht überleben. Wenn sie nicht „ausversehen“ zerstört werden, werden sie in ein Museum versetzt, was einer Zerstörung gleichkommt.

Die Kirche in Mehlauken, Arnau und Domnau sind dafür traurige Beispiele. Eine Restaurierung durch Deutsche wurde verhindert. In Arnau wurden die Fresken „ausversehen“ zerstört (von den Wänden geschlagen).

sitra achra am 28.07.20, 18:10 Uhr

Never surrender. Der Museldr... muss weg!
Es hat keinen Zweck, ein Jota zurückzuweichen. Die verstehen nur eine Sprache, die wir wieder erlernen sollten.
Außerdem haben wir Europäer eine weltweite Mission zu erfüllen. Unser kultureller Hintergrund fordert uns geradezu dazu auf, missionarisch tätig zu werden.
Die Verletzung der Menschenrechte durch Pseudoreligionen wie den Islam muss mit aller Macht weltweit bekämpft werden. Die taqiyya muss aufgedeckt und die bisher erfolgte Usurpation durch die Muselmanen muss konsequent revidiert werden, egal mit welchen Mitteln, am besten mit denen, die sie selbst vornehmlich anwenden.

Rico Zwackel-Döhner am 27.07.20, 19:31 Uhr

Eine interessante Perspektive, die ich so noch nirgendwo gelesen habe. Danke dafür.

Jan Kerzel am 27.07.20, 14:51 Uhr

Ein differenzierender und interessanter Artikel zur Umwidmung der Hagia Sophia. Der Westen sollte wirklich aufhören, die Akteure des Nahen Ostens, einschließlich der Türkei, als Narren u.ä. zu bezeichnen. Das unermessliche Leid und Elend der letzten Jahrhunderte ,speziell in Europa, offenbaren größte Defizite. Jedes Problem, jede zeitgeschichtliche und politische Erscheinung kann und muss aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden, erst dann wird die Sache rund und das Urteil ausgewogen. Wir hier sind nicht der Mittelpunkt der Welt, unsere sehr spezifischen und subjektiven Ansichten und Einsichten taugen meist nicht für den weltweiten Export. Das werden wir wahrscheinlich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten verstärkt lernen müssen. Der Autor hat diesen Aspekt ganz hervorragend und kenntnisreich herausgearbeitet.

Siegfried Hermann am 24.07.20, 20:01 Uhr

Eigentlich müssen wir dem Möchte-gern-Sultan E. dankbar sein, zeigt es doch, was unter "Toleranz der Islam-Friedensreligion" gemeint ist.
Und den bunt-Linken SED-System-Blockparteien-Beifallklatschern geht sowieso jede Empathie für den eigenen christlichen Glauben am Hintern vorbei und lügen sich alles in die Tasche.
Was würde hier die verlogene bunte guuudmenschen-Hölle losbrechen, wenn auch nur eine Hinterhofmoschee zum Schweinestall erklärt würde!!??
Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, das ist nicht irgendeine orthodoxe Dorfkirche, sondern war jahrhundertelang (!) DAS zentrale orthodoxe Glaubenszentrum und hieß nicht umsonst Ostrom.
Die Osmanen praktizieren mit der Umwidmung übelste Provokation und ist quasi eine Kriegserklärung an alle Orthodoxen.
Und wie immer haben sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Russen warten nur darauf (150k Soldaten 1000 Panzer bereit), das Erdogan ein paar unwichtige griechische Inseln kriegerisch besetzt. In Athen würde dann der Nato-Fall gefordert. Brüssel bloß gestellt. DT eine Steilvorlage zum aufzuräumen geboten. Da braucht es nur noch in Armenien, wie derzeit, richtig laut (AKW-Angriff) zu knallen, (Ebenfalls der MIT dran beteiligt) und schon explodiert der Hexenkessel. btw. Das AKW soll auf einer Verwerfungslinie (die sich durch die ganze Türkei zieht) -bewusst-- gebaut worden sein, um im Angriffsfall dann die ganze Türkei komplett platt zu machen.
Dann könnte Masken-Mass 30 Mio. Mohamedaner in der BRD dazu aufrufen brüderliche Aufbauhilfe zu leisten. Nach der Saga von Claudia-Fatima haben sie ja schon viel Erfahrung gesammelt.
Ehrlich. An den Gedanken kann ich mich erfreuen.

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