25.04.2024

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Im Gespräch mit Joachim Mähnert

„Wir geben Kant eine Heimat“

Über die Aufgabe, das Leben des Königsberger Philosophen in der Gegenwart zu zeigen, die grundsätzliche Bedeutung des ostdeutschen Kulturerbes und die Herausforderung des Generationenwechsels für die ostpreußische Erinnerungsarbeit

René Nehring
15.12.2022

Nach Jahren der Planung fand nun der Spatenstich für den Kant-Anbau des Ostpreußischen Landesmuseums statt. Erstmalig überhaupt bekommt die deutsche Öffentlichkeit damit einen Gedenkort, der dem Leben und Wirken des Königsberger Philosophen gewidmet ist. Zu Besuch beim Leiter eines Hauses, das in besonderer Weise für die Pflege ostpreußischer Kultur verantwortlich ist.

Herr Mähnert, das Ostpreußische Landesmuseum bekommt einen Kant-Anbau. Was verbirgt sich hinter dem Projekt?

Für unser Haus ist es das zweite große Erweiterungsprojekt in wenigen Jahren, nach der Eröffnung der Deutschbaltischen Abteilung 2018. Nun bekommen wir einen Anbau, der ganz dem Leben und Wirken des Königsberger Philosophen Immanuel Kant gewidmet ist. Anlass ist zum einen der 300. Geburtstag Kants im Jahr 2024, zum anderen die Übernahme der Bestände aus dem früheren Museum Stadt Königsberg in Duisburg. Wir sind froh und dankbar, dass wir vom Bund und vom Land Niedersachsen insgesamt acht Millionen Euro für dieses Projekt bekommen haben, sodass wir der Königsberger Sammlung einen würdigen Ausstellungsort innerhalb unseres Museums geben können.

Die Erweiterung bietet uns auch die Gelegenheit, über die Person Kant neue Zielgruppen anzusprechen. Der Königsberger Philosoph gilt noch immer als einer der bedeutendsten Denker nicht nur Deutschlands, sondern weltweit. Diese Popularität – und auch die Aktualität des Kanteschen Denkens – gibt uns künftig die Möglichkeit, Besucher in unser Haus zu locken, die für das Thema Ostpreußen allein vielleicht weniger erreichbar wären.

Was erwartet die Besucher in dem Erweiterungsbau?

Aus dem Leben Immanuel Kants ist wenig erhalten geblieben, das alte Kant-Museum in Königsberg ist bei den alliierten Bombenangriffen im Sommer 1944 verbrannt. Es gibt also nur wenige Gegenstände, die direkt mit dem Philosophen in Beziehung stehen, und diese befinden sich zum überwiegenden Teil tatsächlich bei uns in der Sammlung. Es gibt zudem zahlreiche Bildnisse, Briefmarken und Skulpturen aus der Zeit nach Kants Tod, die seine anhaltende Popularität verdeutlichen. Davon hatte des Museum Stadt Königsberg eine umfassende Sammlung aufgebaut. Und das alles wird künftig bei uns zu sehen sein.

Wir wollen mit unserem Erweiterungsbau aber mehr: Wir wollen zeigen, dass das, was Kant in Königsberg entwickelt hat, seine Ideen zur Aufklärung, seine Ethik und Moralphilosophie, seine Ansichten zum Völkerrecht, zu Menschenwürde, Presse- und Redefreiheit, noch heute relevant sind. Wir wollen zeigen, wo Kant unsere Welt geprägt hat und noch immer prägt. Dafür nutzen wir auch die Möglichkeiten der neuen Medien. Es wird Angebote der Interaktion geben, die den Besuchern die Gelegenheit bieten, sich aktiv mit Kant auseinanderzusetzen, und sie im Kanteschen Sinne dazu auffordern, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen.

Es geht also mehr um die Philosophie Kants als um sein Leben?

Räumlich durchaus. Der historische Kant wird ungefähr ein Viertel der Ausstellung ausmachen. Es wird auch eine virtuelle Welt geben, in der die Besucher durch das Königsberg des 18. Jahrhunderts streifen können. Wir sind bereits dabei, mehrere tausend Häuser digital zu rekonstruieren. Das wird dann nicht das Königsberg der 1920er bis 1940er Jahre sein, das aus Bildbänden überliefert ist, sondern es wird tatsächlich die Stadt Immanuel Kants sein. Das Schloss, der Dom und auch das Wohnhaus des Philosophen werden in großer historischer Genauigkeit abgebildet.

Natürlich wird auch Kants Leben vorgestellt: seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen, seine pietistische Erziehung im Collegium Friedericianum, der steinige Beginn seiner Universitätskarriere, die anfängliche Armut des Jung-Verwaisten, der als Hauslehrer auf ostpreußischen Gütern sowie auch durch Billard und Kartenspielen seine Brötchen verdienen musste, und natürlich auch der erfolgreiche Kant, der erst in seinen späten Fünfzigern die Hauptwerke „Kritik der reinen Vernunft“, „... der praktischen Vernunft“, „... der Urteilskraft“ und zum „ewigen Frieden“ verfasste, sowie auch der gesellige Kant, der in seinen Tischgesellschaften zahlreiche prominente Gäste empfing.

Kant hat sich als Weltendenker verstanden. Diese Welt hat er sich insbesondere durch Gespräche erschlossen, die er zumeist gerade nicht mit anderen Philosophen führte, sondern mit Soldaten, Kaufleuten oder Pastoren, die ihm ihre Sicht auf die Welt schilderten, woraus Kant dann wiederum seine eigenen Schlüsse über die Welt zog. Auch das wird alles bei uns zu sehen sein, die Besucher können sich virtuell zu Herrn Kant an den Tisch setzen und den Diskussionen lauschen.

Apropos virtuell: Wie viele Persönlichkeiten aus dem Osten ist auch Kant in der Gegenwart ortlos. Während es zum Beispiel für Goethe und Schiller klare geographische Bezugspunkte gibt, hängen die bedeutenden Figuren aus dem Osten virtuell im Raum herum. Man kennt zwar ihre Werke, aber ein Zuhause haben sie nicht.

Richtig. Deshalb gab es eben auch bislang keinen Ort, an dem sich das Leben und Wirken des größten deutschen Denkers widerspiegelt. Da Kant Ostpreußen nie verlassen hat, kann sich kein Ort in der Bundesrepublik mit ihm schmücken. Insofern geben wir Kant erstmals im heutigen Deutschland eine Heimat.

Generell hat der geographische Verlust des deutschen Ostens dazu geführt, dass dieser Osten auch mehr und mehr aus der Geisteslandschaft ausgeblendet wurde. Dagegen wollen wir mit den bescheidenen Mitteln unseres Hauses angehen. Wir wollen zeigen, dass Ostpreußen und insbesondere Königsberg keineswegs so reaktionär waren wie es oft überliefert ist, sondern Heimat eines großen liberalen Denkens. Neben Kant sei hier an den Dichter Johann Gottfried Herder oder den Oberpräsidenten Theodor von Schön oder die Philosophin Hannah Arendt erinnert.

Welche Rolle spielt der Generationenwechsel in Ihrer Arbeit? Diejenigen, die das alte Ostpreußen als persönliche Heimat erfahren haben, werden immer weniger. Müssen Sie den Besuchern von heute von Grund auf erklären, was Ostpreußen ist?

So ist es leider. Und das liegt nicht nur am Generationenwechsel bei den Ostpreußen, sondern auch daran, dass wir generell in einer geschichtslosen Zeit leben. Das historische Grundwissen, das frühere Jahrgänge in der Schule fürs Leben mitbekamen, gibt es kaum noch. Deshalb erklären wir zum Beispiel auch in einem Modul „Christentum für Anfänger“ die Grundlagen des christlichen Glaubens und was die Taufe ist oder das Abendmahl.

In Sachen Ostpreußen ist zwar heute allgemein das Wissen gering, gleichwohl ist es keine emotionale Leerstelle. Es gibt Leute, die allein schon das Wort ablehnen, weil Ostpreußen für sie ein „revanchistischer“ Kampfbegriff ist, und die deshalb auch mit dem Namen unseres Museums fremdeln. Und es gibt die anderen, für die Ostpreußen das schönste Land der Welt ist, das „Land der dunklen Wälder und kristall'nen Seen“, wie es im Ostpreußenlied heißt, das Land der weiten Himmel und der großartigen Landschaften, das selbst bei vielen Leuten, die noch nie dort waren und auch nicht von dort stammen, eine Sehnsucht auslöst. Und solange Ostpreußen derartige Emotionen auslöst, kann man optimistisch nach vorn schauen.

Wir versuchen natürlich in unserer Arbeit, Themen zu setzen, die sowohl ein jüngeres Publikum ansprechen als auch den älteren Besuchern ein Gefühl von Heimat geben. Im Idealfall schaffen wir es, ein Großeltern-Enkel-Gespräch anzustoßen, bei dem die Alten ihren Nachkommen ein Gefühl der persönlichen Verbundenheit mit Ostpreußen geben. Das gelingt vor allem mit gegenwartsrelevanten Denkanstößen wie dem Thema Flucht und Vertreibung, das ja in den letzten Jahren leider wieder eine traurige Aktualität gewonnen hat.

Die Tatsache, dass wir nun schon den zweiten Erweiterungsbau binnen weniger Jahre durchführen können, zeigt, dass diese Erinnerungsarbeit auch in der Politik Anerkennung findet. Und dass Ostpreußen auch in Zukunft ein für die Bundesrepublik relevantes Thema ist.

Ändert sich mit dem Generationenwechsel auch das Verständnis von Ostpreußen? Jahrzehntelang ging es ja vorwiegend um Rechts- und Grenzfragen – während Themen wie die Frage, was Ostpreußen inhaltlich ausgemacht hat, in den Hintergrund rückten. Im Ergebnis beginnt für die meisten Deutschen hundert Kilometer östlich ihrer Hauptstadt ein großes schwarzes Loch, mit dem sie nichts verbinden.

Das ist natürlich ein großes Problem. Königsberg ist für die meisten Deutschen nur halb so weit entfernt wie Rom, doch während wahrscheinlich jeder Bundesbürger schon einmal in Italien war, sind bislang die wenigsten Deutschen in Ostpreußen gewesen. Diese Nicht-Beachtung hat sicherlich viele Gründe, zum Beispiel die deutsche und europäische Teilung während des Kalten Krieges oder auch die allgemeine Verteufelung des alten Preußen als angeblich alleinigen Grund allen deutschen Übels oder auch die Folgen der Neuen Ostpolitik, die für die einen den Aufbruch in eine neue Zeit markiert, für andere aber auch den Verlust der eigenen Heimat bedeutete und deshalb zu einer Spaltung der Gesellschaft führte. So wurde das ganze große Thema des ostdeutschen Kulturraums mit seinen Figuren wie Kant, Schopenhauer, Herder, Corinth, Kopernikus, Andreas Schlüter, Eichendorff, E.T.A. Hoffmann, Gerhart Hauptmann, Käthe Kollwitz und vielen anderen überlagert.

Für das Ostpreußische Landesmuseum sind diese Wissenslücken jedoch auch eine Chance. Wir können zeigen, welchen biographischen und geographischen Hintergrund diese Persönlichkeiten haben und viele unserer Besucher damit positiv überraschen. Für diese Arbeit sind wir allerdings nach wie vor auch auf die Unterstützung der Ostpreußen angewiesen, auf ihre Erinnerungsstücke, Briefe, Dokumente und Aufzeichnungen. Die Weitergabe der Überlieferungen an künftige Generationen ist keine Selbstverständlichkeit. Die Ostpreußische Kulturstiftung, die Trägerin unseres Landesmuseums und des Kulturzentrums Ostpreußen in Ellingen, ist die zentrale Sammelstelle für ostpreußisches Kulturgut. Hier können zum Beispiel alle schriftlichen Zeugnisse digitalisiert und so der Nachwelt zugänglich gemacht werden.

Zurück zum Kant-Anbau. Wie geht es mit diesem nach dem nun erfolgten Spatenstich weiter?

Ein Spatenstich ist zunächst nur ein symbolischer Akt, der die Fertigstellung aller Planungen und der Ausschreibung der ersten Gewerke sowie die Sicherstellung der Finanzierung markiert. Die Bauarbeiten beginnen im kommenden Frühjahr. Die Archäologen prüfen, ob inmitten der mittelalterlichen Lüneburger Altstadt noch zu sichernde Funde liegen. Anfang des zweiten Quartals 2023 sollen dann die Arbeiten am Hochbau beginnen. Diese werden dann ungefähr ein Jahr lang dauern. Der Bau wird also nur im allergünstigsten Fall im Frühjahr 2024, zum 300. Geburtstag Kants, fertig sein, realistischer ist das Jahresende. „Corona“ hat leider auch hier manche Planungen verzögert, beziehungsweise Überarbeitungen der bestehenden Pläne erforderlich gemacht. Doch in jedem Fall werden wir rechtzeitig zum Kant-Jubiläum eine Ausstellung zeigen, in der wir das Leben und Schaffen dieses bedeutenden Königsbergers, Ostpreußen und Weltbürgers gebührend feiern.

Lesen Sie auch den Bericht zum Spatenstich auf Seite 16 dieser Ausgabe.

Dr. Joachim Mähnert ist seit 2009 Direktor des Ostpreußischen Landesmuseums mit Deutschbaltischer Abteilung in Lüneburg. Er ist Mitherausgeber der Bände „Im Streit der Stile. Die Künstlerkolonie Nidden zwischen Impressionismus und Expressionismus“ (Kunstverlag Fink 2014) und „Vertraute Ferne. Kommunikation und Mobilität im Hanseraum“ (Husum Verlag 2012).
https://ostpreussisches-landesmuseum.de


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Kommentare

Kersti Wolnow am 15.12.22, 09:12 Uhr

Ist dieser gesichtslose Steinhaufen das Ostpreußische Landesmuseum? Wer kreiert in der Gegnwart diese Bauart? Mit Architektur oder Baukunst kann man das geschmacksverirrte Machwerk nicht bezeichnen.

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