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Warschauer Aufstand

„Wir sind schlimmer behandelt worden als Hitlers Satelliten“

Vor 80 Jahren begann die militärische Erhebung der Armia Krajowa. Von außen unzureichend unterstützt, musste sie schließlich kapitulieren

Wolfgang Kaufmann
30.07.2024

Dass Polen heute zu den entschiedensten Gegnern Russlands zählt, hat etliche historische Ursachen. Eine davon ist die sowjetische Haltung während des Warschauer Aufstandes im Jahre 1944. Letzterer gehörte mit dem Slowakischen Nationalaufstand zu den größten Erhebungen gegen die nationalsozialistische Herrschaft. Die Insurgenten wurden von der Sowjetunion im Stich gelassen oder gar von ihr verfolgt. Das lag daran, dass die polnischen Widerstandskämpfer in der Regel zur Armia Krajowa (AK), der sogenannten polnischen Heimatarmee gehörten und damit zum militärischen Arm der polnischen Exilregierung in London, die dem sowjetischen Diktator Josef Stalin ein Dorn im Auge war, weil sie in Konkurrenz zum Polnischen Komitee der Nationalen Befreiung (PKWN) stand. Bei Letzterem handelte es sich um ein prosowjetisches Pendant zur prowestlichen Exilregierung in London, das die sogenannte Westverschiebung Polens und die Eingliederung des Landes in den sowjetischen Machtbereich mittragen und legitimieren sollte. Die Londoner Exilregierung hatte sich im Kreml nicht nur wegen ihrer prowestlichen Einstellung verhasst gemacht, sondern auch weil sie eine internationale Untersuchung des sowjetischen Massakers an polnischen Offizieren im Wald von Katyn verlangte. Daran war weder Moskau noch London gelegen.

Der Aufstand der AK erfolgte, als das Dritte Reich nach dem Attentat auf Adolf Hitler sowie der alliierten Landung in der Normandie schwer angeschlagen schien und die Rote Armee vermeintlich kurz davor stand, in Warschau einzurücken. Sein Zweck bestand insbesondere darin, die polnische Hauptstadt noch vor der Besetzung durch sowjetische Truppen mit eigenen Kräften zurückzuerobern, um so anstelle der Roten Armee als deren Befreier dazustehen. Allerdings hätten die Führer des Aufstandes um Graf Tadeusz Marian Komorowski, genannt Bór, und Antoni Chruściel damit rechnen müssen, dass Stalin eine solche Demonstration auf seine Kosten auf keinen Fall zulassen würde. Und so kam es dann auch.

1. August 1944 um 17 Uhr
Am 30./31. Juli 1944 erreichte die 1. Weißrussische Front nach einem Vormarsch über mehrere hundert Kilometer das rechte Ufer der Weichsel und besetzten Warschaus östliche Vorstadt, Praga. Daraufhin ließ Komorowski seine 40.000 AK-Kämpfer am 1. August 1944 um Punkt 17 Uhr losschlagen. Da sich die Zahl der deutschen Besatzungssoldaten nur auf rund 18.000 belief, gelang es der AK zunächst, die Altstadt und das Stadtzentrum sowie einige südliche Stadtteile unter ihre Kontrolle zu bringen. Allerdings verblieben die wichtigsten strategischen Punkte der Stadt wie die Weichselbrücken und die beiden Flughäfen in deutscher Hand. Daraus entstand bald eine Pattsituation, die dadurch endete, dass Hitler den SS-Obergruppenführer Erich von dem Bach mit zusätzlichen Kräften zur Niederschlagung des Aufstandes nach Warschau entsandte, während die Rote Armee stillhielt.

Der Oberbefehlshaber der 1. Weißrussischen Front, Marschall der Sowjetunion Konstantin Rokossowski, legte zwar einen Operationsplan zur Eroberung Warschaus bis zum 10. August vor, wurde aber von Moskau angewiesen, in defensiver Haltung zu verharren. Einzig und allein drei Divisionen der an der Seite der Roten Armee kämpfenden 1. Polnischen Armee unter dem Kommando von General Zygmunt Berling drangen am 15. September nördlich und südlich von Warschau über die Weichsel nach Westen vor. Allerdings mussten sie die Brückenköpfe schon nach einer Woche wieder räumen, denn der Sieg des Feindes stand nun unmittelbar bevor.

Unter der Führung von dem Bachs war es der deutschen Seite gelungen, die Warschauer Altstadt bis zum 1. September zurückzuerobern. Danach begann die Offensive gegen die noch von den Aufständischen gehaltenen Stadtteile Mokotów und Żoliborz sowie das Stadtzentrum. Angesichts der aussichtslos gewordenen Lage kapitulierte Bór-Komorowski am 2. Oktober. Seine Leute wurden anschließend als Kriegsgefangene gemäß der Genfer Konvention behandelt, weswegen Stalin die Angehörigen der AK nach der sowjetischen Eroberung von Warschau im Januar 1945 als Kollaborateure bezeichnete und unnachgiebig verfolgen ließ.

Dabei hatte die AK in den 63 Tagen ihres Kampfes gegen zuletzt rund 50.000 Angehörige von Wehrmacht und SS große Opfer erbracht. 15.000 Partisanen fielen oder galten nach den Kämpfen als vermisst. Außerdem gerieten etwa 12.000 Mann in deutsche Kriegsgefangenschaft. Dazu kamen 5560 Tote auf Seiten der 1. Polnischen Armee, die der AK zu Hilfe eilen wollte.

Vergessener Verrat
Noch härter traf es die Warschauer Zivilbevölkerung. Bis zu 225.000 Einwohner der Stadt kamen ums Leben, und weitere 700.000 Zivilisten wurden vertrieben oder zur Zwangsarbeit ins Reich deportiert beziehungsweise in die Konzentrationslager Auschwitz, Mauthausen und Ravensbrück verschleppt. Eine weitere Folge der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes war die Zerstörung von 84 Prozent aller Gebäude westlich der Weichsel infolge der Kämpfe oder der deutschen Repressalien danach.

Im Gegensatz zu der äußerst folgenschweren Passivität der Roten Armee anlässlich der Erhebung der AK geriet ein anderer Verrat an den Polen im Laufe der vergangenen 80 Jahre weitestgehend in Vergessenheit. Die Kämpfer der AK wurden keineswegs nur von Moskau, sondern auch von den Briten und Amerikanern im Stich gelassen. Zwar entsprachen diese anfangs den eindringlichen Bitten der Aufständischen, sie aus der Luft mit Waffen, Munition und Lebensmitteln zu versorgen, stellten ihre Unterstützung dann aber schnell wieder ein, als Stalin die AK als eine „Gruppe von Kriminellen“ verleumdete und die Überflugerlaubnis für alliierte Maschinen zurückzog. Für den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und den britischen Premier Winston Churchill waren die Polen keine vollwertigen Partner innerhalb der Anti-Hitler-Koalition, sondern eher lästige Verbündete, deretwegen sie kein Zerwürfnis mit dem Diktator im Kreml riskieren wollten. Deshalb lautete einer der letzten Funksprüche der AK aus Warschau von Anfang Oktober 1944 auch voller Verbitterung:

„Das ist die heilige Wahrheit. Wir sind schlimmer behandelt worden als Hitlers Satelliten, schlimmer als Italien, Rumänien, Finnland. Mag Gott der Gerechte sein Urteil über die furchtbare Ungerechtigkeit fällen, die dem polnischen Volk widerfahren ist, und möge Er alle Schuldigen strafen ...“


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