Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeit der Landsmannschaft, den schrittweisen Generationenwechsel und die künftige Ausrichtung der Ostpreußen
Im Gespräch mit Stephan Grigat
Die Corona-Pandemie des Jahres 2020 traf die Landsmannschaft Ostpreußen ebenso hart wie andere Organisationen des öffentlichen Lebens. Ein guter Grund, zum Ende eines außergewöhnlichen Jahres den Sprecher gleichermaßen um eine Bilanz und einige ausblickende Gedanken zu bitten.
Herr Grigat, wo steht die Landsmannschaft Ostpreußen am Ende eines Jahres, das ganz anders verlief als geplant?
Wie viele andere Organisationen ist natürlich auch die Landsmannschaft von der Pandemie schwer getroffen worden. Wegen Corona konnten viele Veranstaltungen nicht stattfinden. Dadurch wurde die Pflege des ostpreußischen Gemeinschaftsgefühls schwer beeinträchtigt. Wir haben versucht, mit modernen Medien wenigstens einen Teil des Geplanten zu retten, aber die meisten Veranstaltungen mussten abgesagt werden.
Welche Veranstaltungen konnten denn überhaupt stattfinden?
Vonseiten der Bundeslandsmannschaft hat lediglich die Kreisvertretertagung im März stattgefunden, direkt danach wurde unser Tagungszentrum zum Schutz vor Corona geschlossen. Die Geschichtsseminare, das Volkstanzseminar und das Seminar für die mittlere Generation in Ostpreußen konnten ebenso wenig stattfinden wie das Sommerfest bei Allenstein und die Arbeitstagung der deutschen Vereine in der Heimat. Ganz besonders schwer fiel uns die Absage der Gedenkveranstaltung zum 100. Jahrestag der Volksabstimmung in Ost- und Westpreußen. Dafür haben wir jedoch eine digitale Veranstaltung organisiert, die wir auch im Internet zur Verfügung stellen.
In den Landesgruppen konnten – wenn auch in kleinerem Rahmen – die Landeskulturtagungen in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie das traditionelle Herbsttreffen in Anklam stattfinden. Und von den Heimatkreisgemeinschaften haben Bartenstein, Goldap und Mohrungen ihre Kreistreffen durchgeführt. In den Orts- und Kreisgruppen gab es zwischendurch immer wieder kleinere Treffen, bei denen unsere Landsleute beisammengesessen und plachandert haben.
Insofern können wir feststellen, dass trotz Corona noch einiges stattgefunden hat. Zudem wird gerade durch die Auflistung sowohl der stattgefundenen als auch der abgesagten Veranstaltungen bewusst, wie viel die Ostpreußen auch 75 Jahre nach dem Verlust ihrer Heimat noch immer auf die Beine stellen.
Viele Organisationen haben in diesem Jahr Corona-bedingt ihre digitalen Angebote ausgebaut. Wie sieht es bei der Landsmannschaft Ostpreußen aus?
In der Tat bot uns der technische Fortschritt Möglichkeiten, aus der Not eine Tugend zu machen. So haben wir die für die Gedenkveranstaltung zur Volksabstimmung geplanten Reden per Video aufgezeichnet und auf den Internetseiten der Landsmannschaft und der PAZ ins Netz gestellt. Dort wurden sie inzwischen über 5000 Mal angesehen – und hatten somit sogar deutlich mehr Zuschauer als wenn wir wie geplant in Allenstein vor ein paar hundert Gästen getagt hätten.
Die Not hat uns gewissermaßen zur Digitalisierung gezwungen. Da die Erfahrungen damit durchweg positiv sind, werden wir künftig alle derartigen Veranstaltungen digital zur Verfügung stellen. Zudem sind wir gerade dabei, einen landeskundlichen Film zum Thema „Was und wo ist Ostpreußen?“ zu produzieren. Zum Prozess der Digitalisierung gehört auch die Überarbeitung der Webseite www.ostpreussen.de, die in ihrer neuen Fassung gerade an den Start gegangen ist. Das alles zeigt, dass die Corona-Pandemie keineswegs das Ende der landsmannschaftlichen Arbeit bedeutet. Ganz im Gegenteil.
Corona-bedingt kaum wahrgenommen wurde 2020 der 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Wie überall ist ein Dreivierteljahrhundert später auch bei den Ostpreußen der Großteil der Erlebnisgeneration aus dem Leben geschieden. Wie wirkt sich dies auf die Arbeit der LO aus?
Die Landsmannschaft durchläuft schon seit einigen Jahren einen Transformationsprozess von einer Gemeinschaft von Landsleuten mit gleichem Schicksal hin zu einer Gesellschaft von Menschen, die sich bewusst für Ostpreußen, seine Geschichte und Gegenwart interessieren und engagieren. Wer die Heimatkreistreffen besucht, wird feststellen, dass es kaum noch Leute gibt, die sich von ihrer gemeinsamen Kindheit in der Heimat her kennen, wie das jahrzehntelang der Fall war. Für diese Generation waren die Treffen vor allem die Gelegenheit zum Wiedersehen mit ehemaligen Spiel- und Klassenkameraden. Doch diese Generation ist zum großen Teil nicht mehr unter uns. Dieser Tatsache muss man sich ganz einfach nüchtern stellen.
Auf der anderen Seite gibt es auch bei den Nachgeborenen, die sich in den Kreisgemeinschaften, Landesgruppen oder in der ostpreußischen Jugend gefunden haben, ein Heimatgefühl für Ostpreußen und auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Dieses müssen wir pflegen. Ostpreuße ist, wer sich als Ostpreuße fühlt.
Wie lässt sich ein solches Ostpreußen-Gefühl erreichen?
Das geht natürlich nur über persönliche Erlebnisse in Ostpreußen, am besten durch Reisen in Begleitung von anderen Ostpreußen-Begeisterten und – wo möglich – auch durch Begegnungen mit der dort ansässigen deutschen Bevölkerung. Idealerweise wird die dabei geweckte Begeisterung an andere weitergegeben. Es gibt landsmannschaftliche beziehungsweise der Landsmannschaft nahestehende Facebook-Gruppen mit über 5000 Freunden, in denen über derartige Reiseeindrücke berichtet wird.
Warum sollten sich junge Menschen für Ostpreußen interessieren?
Weil Ostpreußen trotz veränderter staatlicher Zugehörigkeit noch immer eine der spannendsten Kulturlandschaften ist. Und weil es überaus sehenswerte Landschaften bietet. Das Kurische Haff und die Kurische Nehrung sind ebenso einzigartig wie die masurische Seenlandschaft oder die Flusslandschaften von Alle, Pregel, Deime und Memel oder die Rominter Heide und die Johannisburger Heide. Wer diese Landschaften einmal erlebt hat, wird sich ihrem Zauber nicht mehr entziehen können.
Im Laufe der Jahrzehnte haben die Vertriebenenverbände manches Ziel wie die Minderung der mit dem Verlust der Heimat entstandenen sozialen Härten und die Integration in die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft erreicht. Das Ziel der staatlichen Wiedervereinigung mit dem historischen deutschen Osten konnte nicht erreicht werden. Welche Ziele verfolgt die LO heute?
Die Landsmannschaft verfolgt nach wie vor das Ziel, Ostpreußen im Kontext unserer Kulturnation zu bewahren. Das heißt, unabhängig von heutigen Grenzen dafür einzutreten, dass auch künftige Generationen wissen, dass hinter Oder und Neiße Regionen liegen, zu denen wir eine ganz besondere Bindung haben.Dieser Aufgabe kommen wir – zusammen mit dem Bund und unserem Patenland Bayern – unter anderem durch das Kulturzentrum Ostpreußen in Ellingen und das Ostpreußische Landesmuseum in Lüneburg sowie durch die Arbeit unserer Geschäftsstellen in Hamburg und Allenstein nach. Hinzu kommen Bücher, die Heimatbriefe der Kreisgemeinschaften, Filme sowie Denkmale und Gedenksteine in Ostpreußen. Ein wichtiger Eckpfeiler ist auch die Förderung der deutschen Volksgruppe im südlichen Ostpreußen mit ihren 19 Vereinen und einem Regionalmuseum im „Haus der Heimat“ in Trägerschaft der Kreisgemeinschaft in Goldap sowie der beiden deutschen Vereine in Memel und Heydekrug.
Ein besonderes Projekt ist die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und das geplante Zentrum gegen Vertreibungen. Für diese zentrale Erinnerungsstätte, die den gesamten deutschen Siedlungsgebieten in Ostmittel- und Osteuropa gewidmet ist, haben wir lange gekämpft. Allein schon, dass dieses Zentrum von bestimmten Kreisen so lange hintertrieben wurde, zeigt, wie wichtig es ist, im Herzen Berlins schon bald eine solche Einrichtung zu haben.
Welche Rolle spielt die Preußische Allgemeine Zeitung (PAZ) für die Zukunftsfähigkeit der Landsmannschaft?
Die Zeitung, die bis 2003 Das Ostpreußenblatt hieß und diesen Namen heute noch im Untertitel führt, hatte schon immer mehrere Aufgaben. Zum einen war und ist sie das Bindeglied zwischen den ostpreußischen Landsleuten und ihrer Landsmannschaft. In dieser Funktion ist sie auch eine Vermittlerin der ostpreußischen Kultur und Landeskunde. Zum anderen ist die Zeitung die publizistische Stimme der Ostpreußen in der deutschen Öffentlichkeit. Allein durch ihre Präsenz an den Kiosken zeigt sie Woche für Woche, dass es die Landsmannschaft gibt.
Natürlich ist die PAZ auch unser Wirtschaftsbetrieb, der uns ein von politischen Konjunkturen unabhängiges Wirken für Ostpreußen ermöglicht. Deswegen bitte ich an dieser Stelle alle Landsleute, die Zeitung immer wieder anderen Ostpreußen und interessierten Nicht-Ostpreußen zu empfehlen oder selbst Abonnent zu werden. Jedes Abo hilft uns, unsere publizistische, wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit zu wahren.
Zudem garantiert die PAZ in der heutigen Medienlandschaft, in der viele altehrwürdige Titel wie der „Rheinische Merkur“ längst verschwunden sind, nicht nur die Weitergabe von Wissen über die historischen Zusammenhänge unseres Landes, sondern auch eine journalistische Meinungsvielfalt.
Was erwartet die Ostpreußen 2021?
Auch 2021 wird sicher noch eine Weile unter den Zwängen der Corona-Pandemie stehen. Was wir bereits wissen ist, dass das im Frühjahr in Wolfsburg geplante Jahrestreffen auf den 11. Juni 2022 verschoben werden muss, da die dortige Messe gerade zum Impfzentrum umgewandelt wird. Ansonsten planen wir, unter Einhaltung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen möglichst viele Veranstaltungen durchzuführen. Genaueres dazu erfahren die Leser regelmäßig in der PAZ.
Und wo sehen Sie die Landsmannschaft mittel- und langfristig?
Zunächst müssen wir – wie alle Organisationen – nach Corona das gewohnte landsmannschaftliche Leben wieder in Gang bringen. Wobei ich mir keine Sorgen darüber mache, dass uns dies gelingen wird. Die Ostpreußen haben im Laufe der Geschichte schon ganz andere Krisen durchlebt und überwunden. Deshalb bin ich sicher, dass wir – auch wenn wir zahlenmäßig kleiner sind – auf Dauer eine schlagkräftige Truppe bleiben werden.
Was wünschen Sie als Sprecher den Ostpreußen zum bevorstehenden Weihnachtsfest?
Vor allem Gesundheit und Stabilität sowie eine gehörige Portion Gottvertrauen und allzeit Gottes Segen.
Das Interview führte René Nehring.