26.04.2024

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Iwan Iljin

Wladimir Putins Lieblingsphilosoph

Russlands Staatschef verhehlt seine Bewunderung für seinen vor fast sieben Jahrzehnten gestorbenen Landsmann nicht

Norbert Matern
03.04.2022

Viele fragen sich gerade auch angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine, was der russische Staatspräsident Wladimir Putin will, welche Ziele er verfolgt, was ihn antreibt, welche Weltanschauung sein Leben und Handeln bestimmt. Bei der Suche nach einer Antwort sollte nicht unberücksichtigt bleiben, wer der Lieblingsphilosoph des Staatslenkers ist: Iwan Iljin.

Im Jahre 2005 ließ Putin den Leichnam des 1883 in Moskau geborenen und 1954 nahe Zürich in Zollikon gestorbenen Gegners der Bolschewiki, Anhängers der Weißen Armee, konservativen Monarchisten und Slawophilen in der Schweiz exhumieren und im Moskauer Donskoi-Kloster, in dem auch Alexander Puschkin und Alexander Solschenizyn liegen, bestatten. Putin war persönlich dabei. Für Alexius II., Patriarch von Moskau und der ganzen Rus von 1990 bis 2008, war das ein „Zeichen einer wiederhergestellten Einheit zwischen der russischen Nation und der orthodoxen Kirche“. Ein Jahr später ließ Putin Iljins Nachlass aus der Michigan State University holen. 2009 legte Putin in Anwesenheit von Medienvertretern erneut Blumen am Grab von Iljin nieder. Seither hat Putin Iljin bei seinen jährlichen Ansprachen im russischen Parlament regelmäßig zitiert.

Putin holte seine Leiche zurück

Putin fühlt sich durch Iljin in seinem Verdacht bestätigt, dass der dekadente Westen permanent die russische Unschuld missbraucht. Wenn Geschichtsstudenten Putin fragten, welche Autorität ihr Fach habe, antwortete Putin nur kurz: „Iljin“. Dimitri Medwedew, der Vorsitzende der Präsidenten-Partei „Einiges Russland“, empfahl Iljin der russischen Jugend zur Lektüre.

Der Aristokratenspross Iwan Iljin machte eine wissenschaftliche Karriere als Jurist über die Oktoberrevolution hinaus. 1906 wurde er Student und 1909 Privatdozent an der Jura-Fakultät der Kaiserlichen Moskauer Universität. 1918 promovierte er über „Die Philosophie Hegels als Lehre von der Konkretheit Gottes und des Menschen“. Es folgte die Ernennung zum Professor der Rechtswissenschaften.

Der Gegner der Bolschewiki wurde sechsmal verhaftet und sogar zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde jedoch nicht vollstreckt. Stattdessen wurde er ausgewiesen. 1922 verließ er mit 160 anderen Denkern auf einem der sogenannten Philosophenschiffe sein Heimatland.

Gegner der Bolschewisten

Er kam nach Deutschland, zuerst nach Stettin, dann nach Berlin. In der Reichshauptstadt begann er 1922 am Russischen Wissenschaftlichen Institut als Professor zu arbeiten. 1925 erschien sein Buch „Über den gewaltsamen Widerstand gegen das Böse“. Das machte ihn in Kreisen der Geisteswissenschaft bekannt, und er las als Gastprofessor unter anderem an den Universitäten Heidelberg, Freiburg und Göttingen. Mit Blick auf die Bolschewiki forderte er zum Mut auf „zu verhaften, zu verurteilen und zu erschießen“.

Nachdem ihm die Nationalsozialisten, deren Machtübernahme er zunächst begrüßt hatte, Publikationsverbot erteilt hatten, ging er in die Schweiz, wo die Behörden in ihm einen versteckten Nationalsozialisten sahen. Er lebte in Zollikon, wo er von den Behörden beobachtet wurde. In seinen Vorlesungen in Deutsch nannte er Russland nicht eine kommunistische Gefahr, sondern ein „christliches Heilsversprechen der Zukunft“. In den 16 Jahren seines Schweizer Aufenthalts schrieb er die meisten seiner 50 Bücher. Dennoch ist er im deutschsprachigen Raum so gut wie unbekannt. Daran ändern auch einige Beiträge über ihn im Internet nichts.

Professor in Deutschland

In der Sowjetunion waren seine Werke durch die Zensur verboten. Einige erschienen nach 1990 in Russland. Putin zitiert daraus des Öfteren in seinen Reden mit Sätzen wie: „Wer Russland liebt, muss ihm Freiheit wünschen, vor allem Freiheit für Russland selbst, seine internationale Unabhängigkeit und Selbstständigkeit.“

Iljin deutete die orthodoxe Lehre um, indem er, wie der US-amerikanische Professor Timothy Snyder von der Yale Universität in seinem Buch „Der Weg in die Unfreiheit. Russland, Europa, Amerika“ schreibt, das russische Wort „pasitelnii“ (erlösen) in den Bereich der Politik übertrug und „proizvol“ (Willkür) als patriotisch interpretierte. „Wir werden unsere Freiheit und unsere Gesetze von unserem russischen Patrioten erhalten, der Russland die Erlösung bringt“, prophezeit Iljin. Der Erlöser werde „recht männlich“ sein und „hart werden im gerechten und männlichen Dienst. Inspiriert ist er vom Geist der Totalität und nicht von einem bestimmten persönlichen Interesse oder dem einer Partei. Er steht allein und handelt allein, denn er kennt die politische Zukunft und weiß, was getan werden muss“. Als einen solchen Erlöser soll sich Putin sehen.


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Kommentare

Berlin 59 am 06.04.22, 19:35 Uhr

Und ich dachte der geistige Führer von Putin währe Wodka Gorbatschow. Naja jetzt weiß ich es besser. Danke PAZ.

sitra achra am 05.04.22, 11:51 Uhr

Iljin ist für Putin lediglich ein Feigenblatt für seine faschistische Weltsicht, die von seinem wahren Hausphilosphen Alexander Dugin ideologisch ausgestattet wird. Heil Putin!

Chris Benthe am 04.04.22, 15:29 Uhr

Die PAZ überrascht mich immer wieder, dank so wunderbarer Beiträge wie dieser hier. Mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Danke.

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