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Und im Hintergrund regiert der Wilde Kaiser: Die Praxis des Bergdoktors in der Tiroler Gemeinde Ellmau
Foto: TVB Wilder KaiserUnd im Hintergrund regiert der Wilde Kaiser: Die Praxis des Bergdoktors in der Tiroler Gemeinde Ellmau

Tirol

Wo der Bergdoktor ruft

Wenn sie nicht gestorben sind, dann drehen sie noch heute – An der Filmkulisse der beliebten TV-Serie im Kaisergebirge

Anne Martin
27.10.2024

Noch wenige Schritte durch den dunklen Tann, entlang eines gurgelnden Bächleins, noch einmal die Knie spüren, die vom Anstieg schmerzen, dann weitet sich der Blick, und da hält er Hof, der Wilde Kaiser. Scharfe Felszacken bohren sich in den morgengrauen Himmel. Wer genau hinsieht, kann in der Gebirgsgruppe einen Gipfel mit einer gezackten Nase erkennen, ein trotzig in den Himmel gerecktes Kinn, einen hervorstehenden Kehlkopf auf über 2000 Metern Höhe.

Am Tiroler Gebirgsmassiv gleich hinter der deutschen Grenze erscheint ein rötliches Glimmen. Gleich wird die Sonne aufgehen und die Gruppe beleuchten, die ihre Yogamatten auf dem Almboden ausbreitet, immer besorgt, den Kuhfladen auszuweichen. Aufwachen am Berg – so fühlt es sich also an. „Ommm“, summt Yogalehrerin Katharina und gibt das Mantra vor. Wer Yogapraxis vorweisen kann, ahnt, was kommt: der „Herabschauende Hund“ im Vierfüßler-Stand, dann der „Krieger“ mit verdrehtem Oberkörper und ausgestreckten Armen. Zum Schluss im Schneidersitz die schönste Übung: Nachspüren mit geschlossenen Augen.

Aufwachen am Berg, runterkommen am Berg, der Tourismus entdeckt die Stille. Aber kaum sind wir wieder unten in Ellmau, kriegt er Konkurrenz, der schlafende Kaiser, der der Sage nach von seiner eifersüchtigen Gattin zu Stein verwandelt wurde. Da mögen die Geranien in den Blumenkästen noch so prächtig blühen, die Kühe auf den Almen noch so romantisch mit ihren Glocken bimmeln, die Bergbahn hinter der exklusiven Tirol Lodge noch so geschäftig sirren – sie haben keine Chance gegen den wahren Kaiser hier in Ellmau, den Mann mit dem gütigen Lächeln und dem nie erlahmenden Berufsethos, den „Bergdoktor“.

Langsam füllen sich die Parkplätze und eine Linie von Ameisen mit Rucksäcken und Gehstöcken bewegt sich auf ein Bauernhaus oberhalb des Ortes zu, vor dem eine Kasse aufgebaut ist. Vier Euro kostet der Eintritt in das Haus, das in der ZDF-Serie als Praxis dient. Drinnen steht ein betagter Schreibtisch, im Nebenraum eine ebenso betagte Liege, im Flur staunende Fans. Wilder Kaiser gegen Bergdoktor – der edle Wettstreit läuft seit 2008, seit der Dauerbrenner um den Mediziner Dr. Martin Gruber die Erinnerung an die legendäre „Schwarzwaldklinik“ im Glottertal endgültig ablöst hat.

Staffel 18 ist in Arbeit und soll ab Januar 2025 ausgestrahlt werden. Hauptdarsteller Hans Sigl hat mittlerweile einen Kooperationsvertrag mit der Gemeinde, ist eisern lächelnd sowohl am „Bergdoktor“-Fan-Tag zur Stelle, wenn die Fans anstürmen und um Selfies bitten, als auch sonst, falls ihn mal ein Tourist bei der Arbeit erwischt. Nur Autogramme gibt er am Besuchstag der Fans nicht mehr – das wurde einfach zu viel.

Für die Mitarbeiter im Tourismusbüro ist der Ansturm längst Segen wie Fluch. Nun haben sie doch schon sommers wie winters Wanderungen und E-Bike-Touren zu allen Drehorten im Programm.

Aber gibt es im schönen Tirol nicht noch andere Attraktionen? Im Winter, okay, ist Drehpause, da tobt hier der Skizirkus. Aber im Herbst muss man sich etwas einfallen lassen. Also nach dem Frühyoga und dem Frühstück auf der Wochenbrunner Alm weiter zur Kräuterhexe Anna Widmoser, die im windschiefen Heimatmuseum ihre selbstgerührten Tinkturen aufgebaut hat und über die segensreiche Wirkung natürlicher Wirkstoffe doziert. Ein Tee von Schafgarbe hilft gegen Völlegefühl, Brennnesseln liefern Eisen und entwässern die Nieren, der Saft von zusammengeknüllten Blättern des Spitzwegerichs lindert juckende Mückenstiche.

Jahr für Jahr zieht sie mit einem Korb über die Almen und sammelt, was die Natur bietet. Aber auch dieses uralte Bauernhaus, in dem die Holzdielen knarren und alte Truhen noch vergilbte Aussteuer bergen, blieb kein Geheimtipp. Was wurde hier und in der Nähe nicht schon alles gedreht: Von der Hard-Rock-Band Rammstein bis zu Carmen Nebel und ihren Volksmusikanten – alle waren sie da.

Noch zwei Stunden bis zur Besichtigung des Bergdoktor-Wohnhauses im Nachbarort Söll. Genug Zeit zur Erkundung des Hintersteiner Sees, der alle paar Schritte neue Motive anbietet – Bergsee in Türkis mit Tannen im Vordergrund? Oder Bergsee mit reetgedecktem Bauernhaus in Ufernähe? Wer nach Tirol reist, kommt mit Fotos perfekter Idylle nach Haus.

Aber nun endlich nach Söll, zur ultimativen Drehort-Begehung. Auf dem Parkplatz unterhalb der Alm warten sie schon, junge wie ältere Serien-Liebhaber. 16 Jahre ist es her, dass Peter Eisenmann auf die Idee kam, die Fans auf einem Trecker die Serpentinen hinauf bis zum 1000 Meter hoch gelegenen Wohnhaus des Bergdoktors zu bringen. Seitdem brummt das Geschäft, die Treckertouren sind ausgebucht. In der Saison knattert er bis zu fünfmal hoch und wieder hinunter.

Vor Ort angekommen auf dem Kolping-Hof, der noch in Privatbesitz ist, aber nicht mehr bewohnt wird, dürfen alle staunen: über das, was sie aus dem Fernsehen kennen und das, was ihnen der Eisenmann über die Hintergründe erzählt. Wer weiß denn schon, dass der Frühstückstisch des Dr. Gruber wegen seiner Westlage eigentlich im Schatten liegen würde? Also werden Frühstückszenen nachmittags gedreht, da scheint überm Eingang die Sonne. Auch bei den Nummernschildern der Autos wird gemogelt: die Münchener Kennzeichen werden flugs in „KU“ wie Kufstein umgedreht. Die leuchtenden Äpfel im Obstkorb sind aus Plastik, und so schön wie heute ist es während der Dreharbeiten nicht immer.

Mehrere Lkw kriechen dann den Berg hinauf, hinterm Haus ist alles voller Versorgungsfahrzeuge. Oft werde Schauspieler Sigl gefragt, wann er den Arztkittel denn an den Nagel hängen wolle, erzählt Eisenmann. Die Antwort sei immer gleich: Dafür müsse er laut Drehbuch heiraten oder sterben. Wenn sie also nicht gestorben sind, dann drehen sie noch heute, zwölf Stunden am Tag für acht bis zwölf Minuten Sendezeit. Eisenmann fährt seinen roten Traktor mit Anhänger vor.

In den Tourismusbüros überlegen sie krampfhaft nach Alternativen zur Fernsehkonkurrenz. Einen smaragdgrünen Regenwurm haben sie kürzlich entdeckt, hoch oben am Wilden Kaiser, dort, wo die Falken und ab und an Gleitschirmflieger kreisen. Wo der Wanderer auf Wiesenschaumkraut, Enzian und Salamander trifft. Wo der Berg ruft und es gleichzeitig sehr still ist. Und garantiert echt.

www.wilderkaiser.info


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