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Stadtjubiläum

Wo der Meistertrunk milde stimmt

Vor 750 Jahren wurde Rothenburg ob der Tauber zur Reichsstadt erhoben – Große Jubiläumsfeierlichkeiten ab Pfingsten

Veit-Mario Thiede
13.05.2024

Am 15. Mai 1274 bestätigte König Rudolf dem Ort Rothenburg ob der Tauber die Reichsstadtprivilegien: „Wissen soll das gegenwärtige Geschlecht und die Nachwelt: ... dass alle, die füglich Einwohner dieser Stadt sind, sich unseres und des Reiches ewigen Schirmes und besonderen Schutzes erfreuen sollen.“ Damit war Rothenburg ein nur dem jeweiligen König oder Kaiser verpflichtetes Territorium innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

Das 750 Jahre zurückliegende Ereignis feiern die Rothenburger mit „reichsstädtischer Herrlichkeit“, wie sie ankündigen. Auf dem Programm stehen Konzerte, am Pfingstwochenende das historische Festspiel „Der Meistertrunk“, im September die Reichsstadtfesttage und ab Juni die große Sonderausstellung „Die Waffen einer Reichsstadt“. Sie wird von Stadtarchivar Florian Huggenberger kuratiert und findet im RothenburgMuseum statt, das im ehemaligen Dominikanerinnenkloster residiert. In ihm befindet sich eine der größten historischen Waffensammlungen Deutschlands, die für die Sonderschau neu geordnet wird.

Die aber wird weit mehr bieten. Huggenberger erklärt: „Waffen wird im doppelten Sinne verstanden: als tatsächliche Waffen und im übertragenen Sinn als Mittel der Durchsetzung eigener Interessen im politischen, juristischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich.“ Etwa durch Verträge und Urkunden. Für die Entwaffnung Rothenburgs sorgte Bayern, das sich 1802 die nunmehr ehemalige Reichsstadt einverleibte.

Eine herausragende Rolle spielt in der Sonderschau der 1616 in den städtischen Dienst gestellte „Kurfürstenhumpen“. An ihn knüpft sich die Legende vom „Meistertrunk“. Den 3,25 Liter fassenden Glashumpen reichten die Stadträte bedeutenden Gästen zum Willkommenstrunk.

Ein unliebsamer Gast bekam ihn laut der 1826 verfassten „Geschichte der Stadt Rothenburg“ im Dreißigjährigen Krieg vorgesetzt: der kaiserliche Heerführer Tilly. Er nahm das protestantische Rothenburg 1631 ein und soll die Hinrichtung von Ratsmitgliedern befohlen haben. Während alle auf den Henker warteten, trank Tilly Wein aus dem Humpen. Der stimmte ihn milde und so bot er an, Gnade walten zu lassen – falls es einem der Räte gelänge, den Humpen auf einen Zug zu leeren. Altbürgermeister Georg Nusch, so die Überlieferung, schaffte das. Stadtarchivar Huggenberger aber sagt: „Zeitgenössische Berichte kennen keinen ‚Meistertrunk' zur Rettung Rothenburgs.“ Richtig ist, dass Tilly die Stadt zur Plünderung freigab, aber von ihrer Brandschatzung absah.

Inspiration für Disneys „Pinocchio“
Im Laufe des 19. Jahrhunderts erwarb sich Rothenburg bei Künstlern und Kunsthistorikern den Ruf, „Inbegriff eines typisch deutschen Mittelalters zu sein“, wie es Huggenberger formuliert. Dieser gute Ruf zog erste Kulturreisende an. Um den Fremdenverkehr anzukurbeln, beschlossen einige Bürger die Aufführung eines Historienspiels. Verfassen ließen sie es vom Glasermeister und Gelegenheitsdichter Adam Hörber, der die Legende vom Meistertrunk aufgriff. Aufgeführt wird es seit 1881 am Pfingstwochenende von Laienschauspielern im Kaisersaal des gotischen Rathaustraktes. Das Historienspiel, inzwischen um einen Festzug durch die Altstadt und ein Feldlager im Garten der bis auf wenige Reste verschwundenen „roten Burg“ bereichert, ist ins Deutsche Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes eingetragen.

Das auf einem Bergsporn hoch über dem Taubertal gelegene, als romantische Sehenswürdigkeit verehrte Rothenburg zieht alljährlich unzählige Besucher aus aller Welt an. Es ist mit zahlreichen Anziehungspunkten gesegnet: 46 Türmen, den markanten Bürgerhäusern in Fachwerk- oder Steinbauweise, gotischen Kirchen und altehrwürdigen öffentlichen Bauten, umgürtet von der mittelalterlichen Stadtmauer. Die mehr als drei Kilometer lange Wehranlage weist sechs Haupttore auf. Absoluter Besucherliebling aber ist das „Plönlein“, ein kleiner Platz mit Brunnen und spitz zulaufendem Fachwerkhaus, hinter dem in einiger Entfernung der Sieberturm und der Kobolzeller Turm aufragen. Das malerische Plätzchen fand Eingang in Walt Disneys Zeichentrickfilm „Pinocchio“ (1940).

Schaurig geht es im Mittelalterlichen Kriminalmuseum zu. Deutschlands bedeutendste rechtshistorische Sammlung umfasst 2000 Exponate aus den letzten 1000 Jahren. Zu ihnen gehören Daumenschrauben und Streckbänke, Schandmasken und ein Richtschwert, Gesetzestexte und eine Druckgraphik mit so einfallsreichen wie fürchterlichen historischen Körperstrafen und Hinrichtungsarten.

Ein außergewöhnliches architektonisches Detail zeichnet die Jakobskirche aus: Der Westchor überbrückt eine Straße. In diesem befindet sich der größte Kunstschatz Rothenburgs: Tilman Riemenschneiders „Heilig-Blut-Altar“ (1500–1505). Bekrönt wird er von einem Kreuz, in dessen Zentrum die Bergkristallkapsel mit der Heilig-Blut-Reliquie funkelt. Im Mittelschrein zeigt der Bildschnitzer die beim Abendmahl sitzenden Jünger. Die beiden Hauptfiguren haben sich erhoben: Zwischen den beiden Bänken im Vordergrund steht der Apostel Judas, dem sich Jesus zuwendet.

Vorbildlicher „Rothenburger Weg“
Erstaunlicherweise wirken im Stadtzentrum etliche Häuser weit älter als sie sind. Im März 1945 warfen US-Piloten neun Tonnen Bomben über Rothenburg ab. Mit „gutem Erfolg“, wie sie meldeten: 40 Prozent der Altstadt lagen in Schutt und Asche. 306 Häuser gingen völlig unter, 52 Gebäude waren teilweise zerstört, 750 Meter der Stadtmauer beschädigt. Der Wiederaufbau der Altstadt gelang jedoch so gut, dass er gar nicht auffällt. Sein wesentliches Ziel war die Wiederherstellung des alten Stadtbildes mit seinen verwinkelten Straßenzügen, Erkern und steilen Dächern, an denen Gauben die absolute Ausnahme sind.

Statt wie andernorts die Gelegenheit zum autogerechten Umbau der Stadt zu nutzen, sah der von Stadtführung und Denkmalpflege nicht zuletzt in Hinblick auf den Fremdenverkehr eingeschlagene „Rothenburger Weg“ vor, ausgebrannte Gebäude, bei denen die Umfassungsmauern noch standen, zu rekonstruieren. Das betraf etwa die zum Markt gelegenen Teile des imposanten Rathauses.

Völlig zerstörte Häuser aber sollten nicht rekonstruiert, sondern durch als solche klar erkennbaren Neubauten ersetzt werden, die sich unter Verwendung ortsüblicher Baumaterialien maßstabsgerecht in das überlieferte Stadtbild einfügen. Das vermögen sie so gut, dass sie entgegen der Richtlinie nur schwer oder überhaupt nicht als Nachkriegsbauten zu erkennen sind. Einige stehen inzwischen sogar unter Denkmalschutz.

Die Ausstellung „Die Waffen einer Reichsstadt“ läuft im RothenburgMuseum, Klosterhof 5, vom 1. Juni 2024 bis zum 31. Dezember 2025. Eintritt: 5 Euro. www.rothenburgmuseum.de


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