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Züricher Wissenschaftler betreiben einen riesigen „Kot-Tresor“ – mit der Aussicht auf Durchbrüche in der Medizin
Tief im Inneren einer alten Kohlengrube auf der norwegischen Insel Spitzbergen befindet sich das Weltsamengewölbe (Global Seed Vault). Darin lagern eine Million Samenproben, mit deren Hilfe der Anbau überlebensnotwendiger Nutzpflanzen nach größeren Katastrophen ermöglicht werden soll. Diese Gen-Bank erhält derzeit ein kleines Pedant auf dem Campus der Universität Zürich – allerdings beherbergt die dortige Schatzkammer mit dem Namen „Microbiota Vault“ mehrere tausend menschliche Stuhlproben aus der ganzen Welt.
Der Kot-Tresor, in dessen Innerem minus 80 Grad Celsius herrschen, ist das Ergebnis einer Initiative der Mikrobiologen Adrian Egli und Maria Gloria Dominguez-Bello. Die beiden fanden heraus, dass sich das Bakterienspektrum im menschlichen Darm je nach Lebensraum und Ernährung stark unterscheidet. So haben die Ureinwohner des Amazonasgebietes wesentlich mehr unterschiedliche Bakterien im Verdauungstrakt als Angehörige der westlichen Industriegesellschaft.
Das lässt sich ändern, wie der britische Epidemiologe Tim Spencer durch einen Selbstversuch feststellte. Nachdem er einige Tage bei Jägern und Sammlern in Tansania verbracht und wie diese allerlei lokale Früchte und das Fleisch von Wildtieren gegessen hatte, stieg die Zahl der Bakterienarten in seinem Darm um 20 Prozent. Doch bei den Bewohnern moderner Industriestaaten geht die Darmbakterienvielfalt eher zurück. Gründe dafür sind Stress, einseitige Ernährung und der massive Gebrauch von Antibiotika.
Deshalb soll der „Microbiota Vault“ so viele unterschiedliche Bestandteile der noch existierenden Darmflora wie möglich konservieren, bevor diese für immer aus dem menschlichen Mikrobiom verschwunden sind. Welch gigantische Aufgabe das ist, zeigt der Umstand, dass sich in nur einem einzigen Gramm Homo-sapiens-Kot um die 100 Milliarden Bakterien tummeln – 12,5 Mal so viele, wie Menschen auf der Erde leben.
Darüber hinaus gibt es ganz praktische Probleme beim Sammeln der Proben in allen Regionen der Welt: Diese müssen kurz nach der Entnahme in flüssigem Stickstoff schockgefroren und dann ohne jegliche Unterbrechung der Kühlkette in die Schweiz gebracht werden. Dafür sind etliche Aus- und Einfuhrpapiere nötig.
Der Nutzen des Ganzen besteht darin, dass die Erforschung der Darmflora, die momentan noch in den Kinderschuhen steckt, wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf die Bekämpfung von Krankheiten wie Rheuma und anderen Autoimmun-Störungen verspricht. So verfügen manche Darmbakterien offensichtlich über die Fähigkeit, die Ansiedlung von Erregern zu verhindern, welche Entzündungen auslösen. Daher arbeiten Mediziner inzwischen mit Stuhltransplantationen.
Aus der Analyse des Mikrobioms im Darm könnten sich des Weiteren innovative Therapieansätze bei Krebs und Diabetes ergeben. Aufgrund der Wichtigkeit der Konservierung der Bakterienvielfalt im menschlichen Verdauungstrakt und der Begrenztheit der derzeitigen Aufbewahrungsmöglichkeiten in Zürich steht voraussichtlich bald eine Erweiterung des Tresors an.