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In der Zwischenkriegszeit ein Vorposten des großen Nachbarn im deutschen Stadtstaat: Briefkasten der Polnischen Post in Danzig
bild: Wikimedia / DerHexerIn der Zwischenkriegszeit ein Vorposten des großen Nachbarn im deutschen Stadtstaat: Briefkasten der Polnischen Post in Danzig

Zwischenkriegszeit

Zehn Nadelstiche gegen einen Stadtstaat

In der Freien Stadt Danzig tobte vor 100 Jahren ein Machtkampf um die Rechte der Polnischen Post

Fedor M. Mrozek
12.01.2025

Am 5. Januar vor 100 Jahren staunten die Bürger der Freien Stadt Danzig nicht schlecht, als sie an zehn Häusern von polnischen Mitbürgern roter Briefkästen gewahr wurden, auf denen als Emblem der weiße polnische Adler des großen Nachbarlandes prangte. Parallel zur Anbringung der polnischen Briefkästen begann die Herausgabe von Briefmarken für den Danziger Hafen, kenntlich gemacht durch den zusätzlichen Aufdruck „PORT GDANSK“ zu „POSCTA POLSKA“. Was zunächst wie eine lokale Petitesse daherkam, geriet in den folgenden Monaten zu einem Streitfall der Weltpolitik, der den UN-Vorläufer Völkerbund in Genf sowie den Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag beschäftigen sollte.

Fünf Jahre zuvor, am 10. Januar 1920, war die alte deutsche Hansestadt an der Weichsel mit dem Inkrafttreten des Versailler Diktats aus dem Deutschen Reich herausgetrennt, unter den Schutz des Völkerbundes gestellt und am 15. November zur Freien Stadt Danzig erklärt worden. Deutschland hatte sich am 28. Juni 1919 dem Diktat der Siegermächte des Ersten Weltkrieges beugen und die zu über neun Zehntel von Deutschen bewohnte Stadt abtreten müssen, nachdem es sich vergeblich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 zugrundeliegenden 14 Punkte des US-Präsidenten Woodrow Wilson berufen hatte.

Als Kompromiss zwischen französischer Billigung und britischer Ablehnung einer Einverleibung in die Republik Polen war dann die Idee eines Freistaates in Versailles in den Artikeln 100 bis 108 verankert worden. Zur Posthoheit hieß es in Artikel 104, in einem Abkommen sei Polen „die Überwachung und Verwaltung des Post-, Draht- und Fernsprechverkehrs zwischen Polen und dem Hafen von Danzig zu gewährleisten“.

Vertragswidrige Ausdehnung
Demgemäß wurde die direkte Verbindung des Hafens mit Polen in der Pariser „Konvention zwischen Polen und der Freien Stadt Danzig“ vom 9. November 1920 festgehalten, auf die sich auch die Verfassung des Stadtstaates vom 14. Juni 1922 bezieht, wenn sie mit Genehmigung des Völkerbundes die allgemeine Posthoheit in Artikel 57 für Danzig postuliert: „Das Eisenbahn-, Post- und Telegraphen-, sowie Fernsprechwesen der Freien Stadt ist, unbeschadet des nach Artikel 104 des Friedensvertrages vom 28. Juni 1919 geschlossenen Abkommens, Angelegenheit des Staates.“

Den Umfang des polnischen Postwesens regelte am 24. Oktober 1921 das Warschauer Abkommen in seinen Artikeln 149 bis 168, woraufhin zunächst eine Paketsichtungsstelle in Weichselmünde etabliert wurde. Neben dem Paketdienst bearbeitete man Briefsendungen in geschlossenen Postbeuteln, und beide Versandarten bedienten den Postverkehr mit Polen sowie Übersee. Aus der Paketsichtungsstelle erwuchs am neuen Standort auf der Weichselinsel Holm am 1. November 1922 das Postamt „Gdansk Nr. 1“, das im Jahr darauf seinen dritten Standort am Hafenkanal fand. Das Ersuchen der polnischen Regierung nach einer Briefsichtungsstelle im Hauptbahnhof wurde zwar vom Hohen Kommissar Richard Haking abschlägig beschieden, jedoch vom Senat am 18. April 1923 bestätigt; sie erhielt den Namen „Gdansk Nr. 2“. Am 23. Oktober 1924 folgte das Postamt „Gdansk Nr. 3“ in dem von den Alliierten übereigneten Garnisonlazarett am Heveliusplatz. Dieses Backsteingebäude sollte am 1. September 1939 neben dem polnischen Munitionsdepot auf der Westerplatte internationale Berühmtheit als getarnte Festung erlangen.

Der Anschlag auf die Danziger Souveränität basierte auf der vertragswidrigen Ausdehnung des Postgebietes über den Hafen hinaus, denn die polnischen Postboten begannen sogleich mit der Zustellung im Stadtgebiet, und wurde zunächst vom Völkerbund auch mehrfach als Anschlag auf die Danziger Souveränität anerkannt. Auf Antrag des Senatspräsidenten Heinrich Sahm reagierte der Hohe Kommissar Mervyn MacDonnell sofort und forderte zunächst die polnische Regierung über deren Vertreter vor Ort auf, die Briefkästen wieder abzunehmen. Das verweigerte der polnische Generalkommissar.

Sodann drohte MacDonnell Warschau damit, gegebenenfalls den Danziger Senat zur Selbsthilfe zu autorisieren. Da Sahm um Deeskalation bemüht war, schritt er nicht zur Tat, sondern forderte gar die Bevölkerung am 8. Januar auf, Anschläge auf die illegalen Briefkästen zu unterlassen: „Wer Danzig wahrhaft liebt, bewahrt die Ruhe!“ Besonders beliebt war zuvor die Bemalung der roten Kästen mit schwarzen und weißen Streifen gewesen, sodass sich das Bild der alten deutschen Nationalfarben ergeben hatte.

Völkerbundsrat knickt ein
Am 2. Februar erkannte der Völkerbundsrat in Genf formell auf einen Verstoß gegen die völkerrechtlich geltenden Verträge. Nach einem polnischen Revisionsbegehren delegierte der Völkerbundsrat am 13. März die Begutachtung an den Ständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Dieses vom September 1922 bis April 1946 bestehende internationale Gericht entschied am 11. Mai 1925 weitestgehend zugunsten Polens.

Entgegen seiner früheren Auffassung schloss sich der Völkerbundsrat nun dem Haager Gutachten an, gemäß dem die polnische Post über den eigentlichen Hafen hinaus tätig werden dürfe. Und er ließ mit Hilfe eines Ausschusses ein Dreivierteljahr lang eine Karte ausarbeiten, gemäß der die Stadt überwiegend zum Hafengebiet gehöre.

Damit erfüllte sich eine Ankündigung des polnischen Staatspräsidenten Stanisław Wojciechowski, der bereits im Mai 1923 eine härtere Gangart im Sinne einer Politik der Nadelstiche in Aussicht gestellt hatte: „... Polen ist seit Jahren bemüht, Danzig durch Wohlwollen und Zugeständnisse zu gewinnen. Diese Zeitepoche ist als beendet zu betrachten. Man muss Danzig all diejenigen lebenswichtigen Säfte unterbinden, die es Polen entnimmt, und dies so lange, bis in Danzig eine andere dauerhafte Richtung die Oberhand gewinnt, die keinen Kampf noch Entgegensetzung von Schwierigkeiten will, sondern eine loyale Zusammenarbeit sucht und Polen als Großmacht anerkennt, die an Danzig nicht nur geschriebene, sondern natürliche Rechte hat. Danzig hat nur zwei Wege, entweder einen Wirtschaftskampf mit Polen, in dem wir mit völliger Rücksichtslosigkeit Widerstand leisten werden, oder ein loyales Vorgehen der Freien Stadt gegenüber dem großen polnischen Reich.“


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