30.04.2024

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Geschichte

Zehn Thesen zu Krieg und Frieden

Der Historiker Jörn Leonhard geht in seinem Buch „Über Kriege und wie man sie beendet“ auf Möglichkeiten zur Überwindung der „Furie“ ein

Dirk Klose
08.01.2024

Eine Metapher in früheren Zeiten sprach von der „Furie“ des Krieges, die, einmal losgelassen, alles unter sich zermalme. Der Freiburger Historiker Jörn Leonhard ist mit dieser Furie recht gut vertraut. In seiner Geschichte des Ersten Weltkrieges und in seiner Analyse des Versailler Vertrages von 1919 hat er gezeigt, wie ein Krieg im
20. Jahrhundert gegenüber früheren Zeiten radikal ausufert und entsprechend Verhandlungen über sein Ende unter dem Eindruck hochgeputschter Emotionen extrem schwierig werden.

Die Geschichtswissenschaft, so eine seiner Thesen, erlaube aus genauer Kenntnis historischer Abläufe einen präziseren Blick auf Kriege. Sie kann immunisieren gegen zu einfache Erklärungen und zeigen, dass es immer Entwicklungen auf ein Ende hin gegeben hat. Leonhard geht zurück in die Antike zum Peloponnesischen Krieg und zu den Punischen Kriegen, sieht als ein Paradebeispiel den Dreißigjährigen Krieg und den Wiener Kongress, nennt die Kabinettskriege des 18. Jahrhunderts und die „kurzen“ Kriege Bismarcks von 1864, 1866 und 1870/71, endlich die Massen- und Vernichtungskriege des 20. Jahrhunderts.

Zehn Thesen stellt er mit vielen historischen Beispielen zur Diskussion: So bestimme die Natur eines Krieges auch sein Ende. Je länger ein Krieg dauere, desto schwieriger werde seine Kontrolle; „faule“ Frieden können einen Krieg verlängern, „verstümmelte“ Siege sind der Quell von Enttäuschung und neuer Gewalt (Italien nach 1918). Solange noch eine Chance auf Sieg gesehen werde, würde auch Krieg geführt. Friedensverhandlungen verlangten ein Minimum an Vertrauen. Nach einem Friedensschluss beginne eigentlich erst die Arbeit am Frieden; schließlich paradox genug: Eine Niederlage kann durchaus eine Chance sein (Preußen nach 1807).

Den klassischen Dreischritt von Waffenstillstand, Präliminar- und dann Definitivfrieden gibt es heute nicht mehr. Kriege werden, wie Korea seit 1953 zeigt, eingefroren, vielleicht demnächst auch in der Ukraine. Das frühere, geradezu human anmutende Instrument des wohltätigen Vergessens in den Friedensverträgen des 17. und 18. Jahrhunderts ist heute unmöglich.

Leonhard kann, fast verständlich, am Ende nicht der Versuchung widerstehen, doch zuerst Geschichte selbst zu erzählen, was zeigt, dass man bei diesem Thema gar nicht unbeteiligt sein kann. Eine leise Hoffnung vermittelt dieses lesenswerte Buch, dass Krieg keine unbezähmbare Furie zu sein braucht. Die Menschen haben alles Geschehen letztlich in der Hand.

Jörn Leonhard: „Über Kriege und wie man sie beendet. Zehn Thesen“, C.H. Beck Verlag, München 2023, broschiert, 208 Seiten, 18 Euro


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