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Im Zwiespalt mit der Politik – Eine Ausstellung im Münchener Lenbachhaus beleuchtet die Kunst in der Zeit von 1918 bis 1955
Im Frühjahr 2022 präsentierte die Frankfurter Kunsthalle Schirn mit der Ausstellung „Kunst für Keinen 1933–1945“ unterschiedliche künstlerische Lebenswege während der NS-Zeit. Das Münchner Lenbachhaus scheint das Konzept für seine neue Schau „Kunst und Leben 1918 bis 1955“ übernommen zu haben. Und doch zeigen sich deutliche Unterschiede.
Bemerkenswert an beiden Ausstellungen ist, dass sie sich von gängigen Klischees und Vorverurteilungen in der Betrachtung der Kunst der NS-Zeit zu lösen versuchen. In Frankfurt lag der Fokus auf der „Inneren Emigration“, also jenen Künstlern, die zwischen der offiziellen „Hofkunst“ und den ins Ausland abgewanderten Systemgegnern standen.
Die Münchner Schau ist thematisch weiter gefasst. Nicht nur der Zeitrahmen wurde in die Weimarer Republik und die Nachkriegsjahre verlängert, sodass er bis zur ersten „documenta“ im Jahr 1955 reicht. Es wird auch ein deutlich breiteres Spektrum an künstlerischen Lebenswegen präsentiert. Zwar wurde auf die „Stars“ der NS-Kunst verzichtet, ansonsten aber zeigt sich die ganze Vielfalt künstlerischer Karrieren im Verlauf der NS-Zeit. Verfolgungsschicksale und abgebrochene Karrieren werden Widerstand und Anpassung gegenübergestellt.
Als Beispiel der Verfolgung wird der 1878 im pommerschen Stolp geborene Otto Freundlich gezeigt. Freundlich geriet als abstrakter Künstler und oppositioneller Exilant ins Visier der NS-Behörden. In seinem französischen Versteck denunziert, wurde er verhaftet und starb 1943 auf dem Transport in ein KZ.
Dass die Ideologie der Nationalsozialisten über der künstlerischen Wertung stand, zeigt sich hingegen am Beispiel Marie Heilbronners. Ihre konservativ gemalten Raumszenen hätten unter anderen Umständen zu keinerlei Beanstandungen der NS-Kunstkritik geführt. Doch die in München aktive Heilbronner geriet aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ins Visier der Häscher und starb laut Todesfallanzeige 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt an einem Herzleiden.
Solchen Verfolgungsbiographien stehen politisch deutlich konformere entgegen, etwa Peter Kálmán, der 1944 auf die „Gottbegnadeten-Liste“ gesetzte Hermann Tiebert oder Emilie von Hallavanya, die 1933 in die NSDAP eintrat und in München auch auf den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ gezeigt wurde.
Abseits dieser beiden Pole präsentiert man zahlreiche Künstler, die sich in Grauzonen bewegten, Brüche oder zumindest scheinbare Widersprüche in der eigenen Vita aufweisen. Der Expressionist Karl Hofer zum Beispiel verlor 1933 sein Lehramt, wurde auf der Schmähausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt und ließ sich von seiner jüdischen Ehefrau scheiden, die daraufhin nach Auschwitz transportiert wurde. Gleichwohl war es ihm möglich, weiterhin in Galerien auszustellen.
Inkonsequente Kunstpolitik
Rudolf Schlichter malte einst als bekannter Porträtist sowohl Bertolt Brecht als auch Ernst Jünger. Nach der NS-Machtübernahme wurde ihm seine Vergangenheit in einer linken Künstlergruppe zum Verhängnis, was dazu führte, dass der mittlerweile bekennende Katholik an den Rand des Kunstlebens gedrängt wurde.
Das NSDAP-Mitglied Franz Radziwill wurde erst „außerordentlicher Professor“ in Düsseldorf, dann aber 1935 wieder entlassen, nachdem er wegen seines expressionistischen Frühwerks denunziert worden war. Er nahm dann Aufgaben als Funktionär in Friesland wahr und fand Unterstützer in NS-Kreisen. Dennoch wurden 1937 über 250 seiner Werke im Rahmen der Goebbels-Aktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmt.
Karriere hingegen machten einige Nicht-Parteimitglieder. Carl Theodor Protzen wurde auch ohne Parteiausweis ein gefeierter Maler des deutschen Autobahnbaus. Ähnlich ambivalent zeigte sich der Wiesbadener Wilhelm Heise, der als Vertreter der Münchner Sezession im Stil der Neuen Sachlichkeit malte. Er blieb in der NS-Zeit künstlerisch anerkannt, wurde 1937 als Professor an die Universität Königsberg und an die Frankfurter Städelschule berufen, obwohl kritisiert wurde, dass er kein Parteimitglied sei. Nach dem Krieg konnte der als unbelastet und persönlich integer bewertete Heise im Universitätsbetrieb verbleiben.
„Die nationalsozialistische Kunstpolitik war inkonsequent“, resümiert das Lenbachhaus auch anhand der Biographie von Julius Hüther. Der expressionistisch arbeitende Maler erlebte so während jenen Jahren zugleich Ausgrenzung wie Anerkennung. 1938 wurde eines seiner Bilder aus der städtischen Galerie Lenbachhaus als „entartet“ entfernt, ein Jahr später wurde ein anderes Werk dort wieder eingekauft. In Ungnade fiel er dann in der Bundesrepublik, als er 1951 zu einem Kulturkongress nach Leipzig reiste, der zum Ziel hatte, die kulturelle Einheit Deutschlands zu bewahren. Hüther wurde daraufhin nach der Rückkehr von den Münchner Behörden der Pass entzogen und er durfte bis zum Lebensende die Bundesrepublik nicht mehr verlassen.
Unterschiedlichste Strömungen existierten nebeneinander in jenen bewegten Jahren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bei deren Präsentation verzichtet die Münchner Schau wohltuend auf Wertungen. Einzig ein ausliegendes begleitendes Glossar, das sich Besucher auf den Rundgang mitnehmen können, bietet einige im Sinne des Zeitgeistes stark vereinfachte kunstgeschichtliche Einstiegsinformationen.
Somit ermöglicht die Ausstellung den Blick auf Brüche und künstlerische Kontinuitäten, die zeitlich weit über die NS-Zeit hinausreichen. Zweifellos ist die Schau vielfältig, informativ und kurzweilig. Doch hätte eine Fokussierung auf einzelne, exemplarisch ausgewählte Künstler gutgetan. Von diesen hätten dann gerne mehr als nur jeweils ein, zwei Bilder gezeigt werden können, um die sehr unterschiedlichen Lebenswege in den Jahren 1918 bis 1955 deutlicher zu machen. Dennoch lohnt ein Besuch.
• „Kunst und Leben 1918 bis 1955“ bis 16. April im Lenbachhaus, Luisenstraße 33, München, geöffnet täglich außer montags, von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, Eintritt: 10 Euro. www.lenbachhaus.de