23.10.2024

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Kreis Goldap

Zeitzeugnis wahrer ostpreußischer Lebensart

Neuer Ortsatlas des Kirchspiels Szittkehmen/Wehrkirchen: eine Sammlung voller Details, Wehmut, Erinnerungen aber auch Zuversicht

Andreas Gautschi
22.10.2024

Bei der dem Forstmeister Joseph Freiherr Speck v. Sternburg in Szittkehmen gewidmeten Dokumentation handelt es sich um die zweite Auflage des einst von Dr. Wolfgang Rothe in Zusammenarbeit mit Heinz Gruber und Lutz Wenau (alle verstorben) geschaffenen Ortsatlanten von 1996.

War schon die erste Auflage wertvoll für all jene, die sich über das in seiner baulichen Substanz weitgehend zerstörte östlichste Kirchspiel Preußens informieren wollten, so stellt die zweite Auflage in ihrem praktischen und historischen Wert eine weitere bedeutende Steigerung dar.

Die Verfasser haben keine Mühe gescheut, den bereits vorliegenden Erkenntnissen durch das Erschließen neuer Quellen viele weitere hinzuzufügen. Vor allem, indem sie sich an die ältesten Zeitzeugen wandten, bei denen sie Angaben aus erster Hand erhielten.

Namentlich für die kleineren Dörfer des Kirchspiels gestaltete sich die selbstgestellte Aufgabe, nämlich „die Geschichte, die Kultur, das Alltagsleben, die Arbeit der Menschen, die dörflichen Strukturen und die Erinnerung an das Schicksal der Flucht der Menschen für die heutigen und zukünftigen Generationen aufzuheben“, schwierig, sind doch heutzutage die Stimmen größtenteils verstummt, welche noch vor wenigen Jahrzehnten die wertvollsten Angaben hätten machen können.

Es ist der Wunsch der Verfasser, „diese siedlungsgeschichtliche Dokumentation Teil der Erinnerungskultur, und weiteren wissenschaftlichen Forschung werden zu lassen“, und so werden zweifellos landeskundliche Untersuchungen in Zukunft mit großem Nutzen auf diese Publikation, die in dieser verbesserten Form auch für weitere Kirchspiele des Kreises Goldap vorliegen, zurückgreifen können. Allen Verfassern und Mitarbeitern, die sich um die Erhaltung der Kulturgeschichte ihrer verlorenen Heimat verdient gemacht haben, gebührt hoher Dank.

Dass die Genannten das Werk immer weiter auszubauen verstanden, führte dazu, dass das einstige Leben in diesem auf tragische Weise verlorenen östlichsten Teil Deutschlands, des ostpreußischen Kreises Goldap, nun besser für die Zukunft konserviert ist als es in manchen heute noch von Deutschen bewohnten Gebiet der Bundesrepublik der Fall ist. Dort ist oft wenig Interesse dafür vorhanden, das Erbe der Ahnen – das ja immer noch gegenwärtig ist – zu pflegen.

So darf man feststellen, dass die Zerstörung und der Entzug der Heimat bei den Betroffenen zur starken Besinnung auf die Wurzeln ihres Daseins geführt und zur Erbringung von besonderen kulturhistorischen Leistungen bewegt hat, was bei weiterem Verbleib in der Heimat nicht so eindringlich stattgefunden hätte. Diese Feststellung kommt in der Arbeit zum Ausdruck und beweist erneut, wie wichtig Menschen die angestammte Heimat ist und wie sie noch wichtiger wird, wenn sie fern und fremd geworden ist.

In dem Ortsatlas werden die Dörfer des Kirchspiels Szittkehmen in alphabetischer Reihenfolge behandelt und für jedes Dorf zunächst die Umbenennungen und Veränderungen des Ortsnamens angegeben. Sodann wird die politische Verwaltungszugehörigkeit bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt. Auch die Gerichtsbarkeit und kirchliche Administration werden genannt, dazu Angaben über die Infrastruktur, Bahn- und Poststation, Amtsbezirk und -vorsteher, Bürgermeister, Gendarmeriebezirk, zudem Apotheke, Zahnarzt, Hebamme und die medizinische Versorgung mit dem Johanniter-Krankenhaus in Szittkehmen erwähnt. Ebenso werden Strom-, Wasser- und Telefonanschlüsse, Schulen, industrielle, gewerbliche und die landwirtschaftlichen Betriebe aufgeführt.

Die Karten der besiedelten Flächen sind in genügender Größe und in ausgezeichneter Qualität auf Grund der Messtischblätter erstellt worden, wobei jedes Gebäude mit einer Nummer versehen wurde, mit welcher in der daneben abgedruckten Legende unschwer die einstigen Bewohner mit Ruf- und Nachnamen sowie Berufsbezeichnungen gelistet sind. Es fehlen auch nicht die Angaben über die durch Krieg, Flucht, Vertreibung und Gefangenschaft ums Leben gekommenen Einwohner der jeweiligen Ortschaften.

Zeitzeugen des dortigen Lebens
Eine Zeittafel gibt danach zweckmäßig Auskunft über die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse seit Mitte des 16. Jahrhunderts für das betreffende Dorf. Es folgen kürzere Schilderungen von Zeitzeugen, die ob ihrer aus dem Leben gegriffenen schlichten Art historisch eindrücklich wirken. Jedem Dorfkapitel ist am Schluss eine gut ausgewählte kleine Sammlung von Fotografien beigefügt. Gegen Ende des Buches sind in einem Anhang weitere das Kirchspiel insgesamt betreffende aufschlussreiche Darlegungen wiedergegeben, außerdem ein Bestand von Farbaufnahmen aus der Neuzeit sowie ein Gesamtnamensregister.

Nachdenklich hat der Verfasser dieser Zeilen, der nunmehr seit über drei Jahrzehnten in Szittkehmen wohnt, auf seinen Gängen und Jagden die mit Buschwerk bestandenen alten Hofstellen betrachtet, auf deren Fundamenten nun der Fuchs in der Wintersonne ruht. Dieses Werk erzählt vieles, sehr vieles, was hier einst gewesen.

Herausgeber: Kreisgemeinschaft Goldap/Ostpr. e.V., Stade, 2024, ISBN 978-3-9815253-9-7. Verfasser: Annelies u. Gerhard Trucewitz, Hans-Peter Phielipeit. Titel: Ortsatlas des Kirchspiels Szittkehmen/Wehrkirchen, Kreis Goldap in Ostpreußen. Siedlungsgeschichtliche Dokumentation. Selbstverlag Kreisgemeinschaft Goldap e.V.. 384 Seiten. Preis: 28,90 Euro


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