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Von schicksalhaften Entwicklungen und Brüchen angetrieben: Arno Surminski
Foto: paVon schicksalhaften Entwicklungen und Brüchen angetrieben: Arno Surminski

Im Gespräch mit Arno Surminski

„Zeuge einer sterbenden Welt“

Ostpreußens großer Erzähler wird 90 Jahre alt. Anlass genug, ihn in seinem Haus in Hamburg Barmbek zu besuchen und ein Gespräch darüber zu führen, was ihn sowohl in seinem Leben als auch in seiner Arbeit als Schriftsteller bewegte

René Nehring
18.08.2024

In seinen Romanen und Erzählungen hat Arno Surminski – meist am Beispiel einfacher Leute aus seiner ostpreußischen Heimat – die großen Dramen der jüngeren Geschichte erzählt. Gegenüber der PAZ spricht er nun über die Anfänge und Beweggründe seines Schreibens, spätere Begegnungen mit Ostpreußen und künftige Projekte.

Herr Surminski, Sie sind Jahrgang 1934, waren nach der Flucht aus Ostpreußen in Schleswig-Holstein gelandet, haben dort eine Lehre in einem Anwaltsbüro gemacht, haben einige Jahre als Holzfäller in Kanada gelebt, sind danach Angestellter einer Hamburger Versicherungsgesellschaft gewesen – und haben dann 1974 mit 40 Jahren Ihren ersten Roman „Jokehnen“ veröffentlicht. Was hat Sie bewogen, in vergleichsweise spätem Alter mit dem Schreiben zu beginnen?

Geschrieben hatte ich eigentlich schon immer. Schon in der Schulzeit in Ostpreußen, dann auch nach dem Krieg habe ich kleine Aufsätze und Erzählungen verfasst, und manches davon wurde sogar veröffentlicht. Insofern bin ich nicht erst 1974, als mein erster Roman „Jokehnen“ erschien, Schriftsteller geworden.

„Jokehnen“ war im Wesentlichen die literarische Verarbeitung meiner Familiengeschichte. Das darin Erzählte fußt etwa zu Dreivierteln auf authentischen Erlebnissen, der Rest ist ausgedacht oder verarbeitet anderswo Gelesenes. Insofern hatte sich der Stoff schon eine ganze Weile in mir gesammelt, bevor ich ihn in ein Buch verwandelt habe. Daran, das Schreiben als Beruf auszuüben und gar davon leben zu können, war damals natürlich nicht zu denken.

Sie waren bei Kriegsende etwa zehn Jahre alt. Haben Sie noch viele Erinnerungen an Ihre Kindheit in Ostpreußen?
Ich habe sogar noch enorm viele Erinnerungen: an meine Eltern, an mein Heimatdorf Jäglack, an das Kriegsende, die Eroberung durch die Rote Armee und die Ankunft der neuen polnischen Bewohner. Letzteres deshalb, weil ich nach dem Krieg bewusst zu Hause geblieben bin, als die meisten aus unserem Dorf nur noch wegwollten.

Der Grund dafür war, dass meine Eltern beide verschleppt wurden. Ich dachte, dass, wenn sie zurückkämen, sie natürlich nach Hause kommen würden. Deshalb wollte ich auf keinen Fall weg. Als es dann für die meisten verbliebenen Jäglacker im Dezember 1945 losging, kamen einige Nachbarn und sagten: „Komm du mal mit, das ist besser als hierzubleiben.“ Auch ein russischer Soldat wollte mich mitnehmen, allerdings nach Russland. Als dann die Polen sagten, alle Deutschen müssten entweder raus oder für Polen optieren, also polnische Staatsbürger werden, habe ich mich überreden lassen, gen Westen zu gehen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil mich einige Nachbarn damit lockten, dass meine Eltern sicherlich längst in Berlin seien. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich Jäglack nie verlassen.

Die ostpreußische Literaturgeschichte ist voller klangvoller Namen wie Johannes Bobrowski, Johann Gottfried Herder, E. T. A. Hoffmann, Hans-Hellmut Kirst, Siegfried Lenz, Fanny Lewald, Agnes Miegel, Hermann Sudermann und Ernst Wiechert. Haben Sie sich vor diesem Hintergrund in Ihrem Schreiben in einer bestimmten Tradition gesehen oder gar an literarischen Vorbildern orientiert?
Direkte Vorbilder in dem Sinne, dass ich mich bei meiner Arbeit an ihnen orientiert hätte, hatte ich nicht. Mir war natürlich bewusst, dass Ostpreußen eine Reihe bedeutender Autoren hervorgebracht hat. Und ich habe auch Bücher der meisten von Ihnen genannten Kollegen gelesen.

Richtig ist, dass ich mich stets als Erzähler meiner ostpreußischen Heimat verstand, wobei ich auch viele Bücher über andere Themen und Länder – etwa über Kanada – geschrieben habe. Ich habe nie Hemmungen gehabt, mich zu meiner Herkunft zu bekennen. Für mich war und ist das immer etwas völlig Selbstverständliches. Erst jetzt im Alter ist mir allerdings klar geworden, dass ich in der jüngeren Literaturgeschichte immer mit dem Hinweis „Ach, der ist ja aus Ostpreußen“ behängt wurde, was durchaus abwertend gemeint war.

Inwiefern?
Sagen wir mal so: Als meine ersten Romane erschienen, hatte die Bundesrepublik erst wenige Jahre zuvor die durch den Krieg geschaffenen Verhältnisse anerkannt. Wer dann noch an die Landschaften östlich von Oder und Neiße erinnerte, stand schnell im Verdacht, an den Zuständen rütteln zu wollen. Dass mein Werk derartige Unterstellungen nicht hergibt, hat dann wenig interessiert.

Sie haben sich dem Schicksal Ostpreußens auf sehr unterschiedliche Weise genähert: Neben Ihrer Familiengeschichte haben Sie die verschiedenen Facetten von Flucht und Vertreibung sowie auch der Heimkehr und der Wiederentdeckung seit den 1970er Jahren, einschließlich des Verschickens von Hilfspaketen in die Heimat während des Kommunismus, geschildert. Sie haben in „Sommer 44“ am Beispiel Königsbergs die Zerstörung einer deutschen Großstadt beschrieben und in „Irgendwo ist Prostken“ am Beispiel eines masurischen Lokführers die Verstrickungen der Deutschen in den Holocaust erzählt. Was hat Sie dazu angetrieben, sich immer wieder neu mit dem Schicksal Ihrer Heimat zu befassen?
Angetrieben hat mich vor allem, dass dieses Schicksal oft meinem eigenen Schicksal entsprach. Wie eben gesagt, habe ich noch rund zehn Jahre des alten Ostpreußen miterlebt sowie dann die epochalen Veränderungen bei Kriegsende und danach. Mir war schon früh bewusst, dass ich Zeuge einer sterbenden Welt war. Das hat mich dazu bewogen, in meinen Büchern möglichst viele Facetten dieser sterbenden Welt festzuhalten – bis hin zu den Verstrickungen in die zeitgeschichtlichen Umstände, die zum Untergang Ostpreußens geführt haben.

Haben Sie unter all Ihren Romanen und Erzählungen so etwas wie eine Lieblingsgeschichte, bei der Sie vielleicht sogar sagen, das ist die typischste aller Surminski-Geschichten?
Meine Lieblingsgeschichte ist diejenige, an der ich jeweils gerade schreibe. Ihr gilt meine ganze Aufmerksamkeit. Später lässt das nach, da wieder etwas Neues kommt. Das muss wohl auch so sein, sonst könnte man nicht ordentlich schreiben. Ansonsten ist „Jokehnen“ sicherlich die bekannteste Arbeit von mir und somit – auch wenn sie, wie gesagt, nur zum Teil mein eigenes Leben widerspiegelt – wahrscheinlich die typischste Surminski-Geschichte.

Wann haben Sie erstmalig Ihre ostpreußische Heimat wiedergesehen?
Das war 1974, und zwar bevor „Jokehnen“ erschien. Ich hatte Angst, dass ich nach den darin enthaltenen Schilderungen der Vertreibung vom kommunistischen Polen nicht mehr in mein Heimatdorf Jäglack, das ja das Vorbild für Jokehnen und später auch anderer Romane wie „Polninken“ war, gelassen würde. Deshalb habe ich mir alles nochmal angesehen, vor allem mein Elternhaus. Die damals dort wohnende Familie hat mich sehr herzlich aufgenommen, hat mir ein Mittagessen vorgesetzt, und wir haben uns dann lange unterhalten. Und ich habe mein altes Kinderbett gesehen.

Wir waren dann mit der Familie im Laufe der Zeit viele Male in Jäglack. Anfangs in den Siebzigern gab es noch einige Deutsche, bei denen wir übernachten konnten. Und so wurde mir die Heimat nach vielen Jahren Unterbrechung schnell wieder vertraut.

Wer Ihr Werk kennt weiß, dass Sie bei aller Liebe zur Heimat immer im Geiste der Versöhnung und Verständigung mit den heute dort lebenden Menschen geschrieben haben. In „Polninken“ ist das etwa der alte Kasimir ...
... ein Held erster Güte ...

... absolut. Der sitzt als Pole vor der Haustür und kommentiert eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte, die sich vor seinen Augen abspielt. Wie sind Sie im Laufe der Jahre von den Polen aufgenommen worden?

Hierzu kann ich am besten mit einer kleinen Begebenheit antworten, die vor allem meine Frau bewegt hat. Ich habe in den letzten Jahren viele Lesungen in Ostpreußen gehalten. Da ich kein Polnisch kann, musste ich auf Deutsch vortragen, was dann übersetzt wurde. Und bei einer dieser Veranstaltungen stand jemand auf und sagte: „Ja, endlich ist mal einer von uns hierhergekommen ...“ Damit wollte er mich natürlich nicht zum Polen erklären, sondern vielmehr eine über Völkergrenzen hinweggehende Verbundenheit ausdrücken.

Sind Ihre Bücher auch auf Polnisch erschienen?
Ja, sogar einige, und nicht nur auf Polnisch. Die Bücher sind auch überwiegend sehr positiv aufgenommen worden. Nur meine Novelle „Die Vogelwelt von Auschwitz“ nicht. Diese erzählt nicht nur von dem polnischen Maler Marek, der in dem Vernichtungslager Skizzen für einen SS-Mann zeichnet, um zu überleben. Und sie schildert auch nicht nur den fürchterlichen Alltag des Lagers, sondern sie erzählt eben auch von einem SS-Mann, der als gelernter Ornithologe die Vogelwelt über dem Lager beobachtet und festhält. Hier gab es wiederholt die Kritik, dass ich den SS-Mann zu positiv dargestellt hätte. Doch das habe ich nicht. Ich wollte ihn nur nicht als völlig entmenschlichten Verbrecher schildern. Letztendlich wird für mich gerade hier die Banalität des Bösen sichtbar, wenn ein sensibler Beobachter der Natur seelenruhig seinen Dienst in einem Vernichtungslager verrichtet.

Pünktlich zu Ihrem runden Geburtstag haben Sie sich und Ihre Leser mit einem neuen Buch beschenkt. „Von den Wäldern. Roman einer Heimkehr“ lautet der Titel. Worum geht es darin?
Es geht um das Schicksal eines Wehrmachtsoldaten aus dem Emsland, der während des Krieges in russische Gefangenschaft gerät und die folgenden Jahre tief in den russischen Wäldern verbringt. Sein heimatliches Dorf wird kurz vor Kriegsende von britischen Bomben getroffen, sodass er sich nach der Heimkehr zehn Jahre später auf die Suche nach seiner Frau und seinem Kind begibt. Diese Suche führt ihn zum Teil bis nach Kanada und in die dortigen Wälder. Mehr möchte ich hier nicht erzählen, um den Lesern nicht vorzugreifen.

Es ist also keine Ostpreußen-Geschichte?
Richtig. Es geht jedoch um die Frage, wo ein vom Leben gezeichneter Mensch sein Zuhause findet. Das war und ist natürlich auch ein Lebensthema der meisten Menschen aus dem deutschen Osten. Das russische Kriegsgefangenenlager in Tschuwaschien, in dem der Held des Romans Gerd Wolters zehn Jahre seines Lebens verbringt, ist übrigens das gleiche Lager, in dem mein Vater nach dem Kriegsende interniert war und kurz darauf verstarb. Ich habe das in den 90er Jahren über einen Suchdienst herausgefunden. Insofern ist „Von den Wäldern“ ein sehr persönliches Surminski-Buch.

Ist es angesichts Ihres neuen Romans unangemessen zu fragen, ob Sie schon wieder ein neues Projekt im Kopf haben?
Die Frage nach dem nächsten Buch wird mir oft gestellt. Ich habe in einem Ordner sogar schon mehrere Dutzend fertige Erzählungen und Essays liegen, könnte also sofort einen Band veröffentlichen. Aber das würde unmittelbar nach dem Erscheinen meines aktuellen Romans keinen Sinn ergeben.

Und natürlich sitze ich auch schon wieder an neuen Geschichten. Ich habe also noch lange nicht vor, mich zur Ruhe zu setzen.

Das Gespräch führte René Nehring.


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