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Weihnachtssterne und Losungen – Vor 300 Jahren wurde in der Oberlausitz die Glaubensgemeinschaft Herrnhut gegründet
Das in der sächsischen Oberlausitz gelegene Herrnhut ist die Keimzelle einer evangelischen Glaubensgemeinschaft, die weltweit 1,2 Millionen Mitglieder hat. Die berühmtesten Hervorbringungen der Brüdergemeine sind die frommen Losungen und die seit 125 Jahren mit 17 viereckigen und acht dreieckigen Zacken produzierten Herrnhuter Sterne. Dieses Jahr feiert der weltbekannte Ort sein 300. Gründungsjubiläum.
Was aber sollte sich der Besucher Herrnhuts unbedingt ansehen? Einen Blick zurück in alte Zeiten offeriert das mit biedermeierlichen Möbeln, Handarbeiten, historischen Ortsansichten und Familienbildnissen gemütlich ausgestattete Heimatmuseum. Ortsmittelpunkt ist der Kirchensaal. Er ist die ab 1951 errichtete Rekonstruktion des alten, 1756 eröffneten Gebäudes. Das war mit etwa einem Drittel der historischen Bebauung Herrnhuts in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 abgebrannt. Obwohl der Zweite Weltkrieg in Europa beendet war, hatten sowjetische Soldaten Feuer gelegt.
Im zur 300-Jahr-Feier frisch sanierten Kirchensaal fällt auf, dass fast alles weiß ist: Die Orgel, die Wände, die Gardinen, die Bänke und auch das Kreuz hinter dem mit einem grünen Tuch bedeckten Tisch, an den sich der die Gemeindeversammlung leitende männliche oder weibliche Liturgus setzt.
Nicht weit vom Kirchensaal entfernt führt die schnurgerade Lindenallee zum 1730 in Dienst genommenen Gottesacker. Die Einheitlichkeit der flach in den Rasen gebetteten Grabsteine betont die Gleichheit aller Menschen vor Gott. In diese Einheitlichkeit fügten sich zunächst auch die Gräber des Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760), seiner Ehefrauen Erdmuth und Anna sowie weiterer Angehöriger. Erst später hat man sie in Hochgräber umgewandelt.
Glaubensflüchtlinge aus Mähren
Graf von Zinzendorf und weitere Herrnhuter Persönlichkeiten werden uns in der anlässlich des 300. Gründungsjubiläums veranstalteten Sonderschau „Aufbruch. Netz. Erinnerung“ vorgestellt. Sie findet im Völkerkundemuseum statt und ergänzt dort die Dauerausstellung, die Zeugnisse der weltweiten, seit 1732 betriebenen „Heidenmission“ der Herrnhuter und der von ihnen bekehrten Völker präsentiert. Die Sonderschau bringt uns anhand von Kunstwerken und Alltagsgegenständen, Büchern und Dokumenten die Geschichte und Gegenwart Herrnhuts nahe.
Der Ortsname ist übrigens im Sinne von „unter der Obhut des Herrn“ zu verstehen. Folgerichtig begleitete bereits den ersten Akt der Ortsgründung ein Bibelvers. Den sprach der von künftigen Bewohnern Herrnhuts umringte Christian David am 17. Juni 1722, während er mit dem in der Sonderschau präsentierten Breitbeil den ersten Baum zum Bau des Ortes fällte.
Christian David (1692–1751) war Anführer evangelischer Glaubensflüchtlinge aus dem katholischen Mähren. Graf von Zinzendorf gestattete ihnen, sich unterhalb des Hutbergs auf seinem Gut Berthelsdorf niederzulassen. Diese Abkömmlinge der im 15. Jahrhundert gegründeten böhmisch-mährischen Brüder-Unität und Glaubensflüchtlinge aus anderen Gebieten schlossen sich am 13. August 1727 zur „Herrnhuter Brüdergemeine“ zusammen. Damals wurde Gemeinde noch ohne „d“ geschrieben. Daran halten die Herrnhuter fest. Prägende Persönlichkeit der Brüdergemeine war Zinzendorf, den der Berliner Oberhofprediger Daniel Ernst Jablonsky zum Bischof der neuen Glaubensgemeinschaft weihte.
Die Sonderschau präsentiert das handschriftliche Exemplar der 1727 von Zinzendorf erlassenen Herrnhuter Statuten. In dieser Grundordnung des Gemeinschaftslebens heißt es: „Ein jeder Einwohner zu Herrnhut soll arbeiten und sein eigen Brot essen. Wenn er aber alt, krank und unvermögend ist, soll ihn die Gemeine ernähren.“
Die täglichen Losungen
Das von Zinzendorf herausgegebene und mit vielen Eigenkompositionen bestückte Gesangbuch (1735) weist uns darauf hin, dass in den von ihm entwickelten Liturgieformen das gemeinsame Vortragen von Liedern enorm hohen Stellenwert hat. Und ebenso die auf den Tag genaue Erinnerungskultur. So ist überliefert, dass Zinzendorf die Schwestern und Brüder am
3. Mai 1728 mit einem spontanen Reim aus dem Gottesdienst entließ: „Liebe hat dich hergetrieben, Liebe riss dich von dem Thron; und wir sollten dich nicht lieben, Gottes und Marien Sohn?“ Das war die erste der fortan täglich ausgegebenen „Losungen“. Seit 1731 sind sie Jahr für Jahr in Buchform erhältlich.
Zinzendorf suchte die Sprüche aus. Erst nach seinem Tod ging man dazu über, die „Losungen“ tatsächlich auszulosen. Heutzutage bestehen sie aus drei Elementen. Ausgelost wird ein Vers aus dem Alten Testament. Zu ihm suchen die Bearbeiter der Losungen einen passenden „Lehrtext“ aus dem Neuen Testament sowie ein Gebet oder ein Lied aus. Das Studium der in mehr als 50 Sprachen übersetzten Losungen verbindet jeden Tag Millionen von Menschen in aller Welt.
• Bis 27. November im Völkerkundemuseum Herrnhut, Goethestraße 1, geöffnet: täglich außer montags von 9 bis 17 Uhr. Eintritt 3 Euro.
Internet: www.300jahreherrnhut.de