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Finden Anknüpfungspunkte mit viel Feingefühl und entsprechender Empathie: Cornelia Stieler und Krzysztof Kruszyński
Bild: WagnerFinden Anknüpfungspunkte mit viel Feingefühl und entsprechender Empathie: Cornelia Stieler und Krzysztof Kruszyński

Östlich von Oder und Neiße

Zweifacher Todesmarsch durch Schönwald

Wo einst Verbrechen und Elend offensichtlich waren, herrscht heute ein Geist der Erinnerung, des Friedens und der Zuversicht

Chris W. Wagner
16.12.2024

Schönwald [Bojków] liegt sieben Kilometer vom Oberschlesischen Gleiwitz [Gliwice] entfernt. Der Ort ist nicht nur wegen der besonders schmucken Schönwälder Tracht, sondern auch wegen der dort bis zur Vertreibung vor 80 Jahren gesprochenen Mundart bekannt. Diesen Dialekt hatten Siedler im 13. Jahrhundert aus Meißen in Sachsen mitgebracht. Und weil die Schönwälder durch die viele Jahrhunderte slawisch sprechenden Nachbarn eingekreist waren, ist ihre Sprache ursprünglich geblieben.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm auch die Schönwälder Kultur in Oberschlesien ein jähes Ende. Daran erinnerten vergangene Woche im Gleiwitzer Museum „Villa Caro“ Cornelia Stieler, die Vorsitzende des Vereins Schönwalds Erben der Bundesrepublik und Lehrer Krzysztof Kruszyński. Sie berichteten von zahlreichen Begegnungen von Schönwäldern und ihren Nachkommen mit heutigen Bewohnern. Beide beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Geschichte des längst zu Gleiwitz eingemeindeten Dorfes, mit der Flucht der etwa 4000 von 5000 deutschen Einwohnern im Januar 1945, den etwa 200 Morden unter den zurückgebliebenen Schönwäldern durch die Rote Armee und den Zuzug polnischer Siedler nach Schönwald.

Doch diesmal haben sich Stieler, Tochter einer Schönwälderin, und Kruszyński, Nachkomme der Neubürger aus den polnischen Ostgebieten einem bislang noch nicht bearbeiteten Thema zugewandt – dem Todesmarsch von KZ-Häftlingen, der aus Auschwitz-Birkenau und seinen Außenlagern am 20. und 21. Januar 1945 durch Schönwald führte. Es sei nicht einfach gewesen, Zeitzeugen zu finden, sagt Stieler, weil nur noch damalige Kinder hätten zu Wort kommen können.

Doch sie fand Schönwälder, die, deutschlandweit verstreut, bereit waren sich zu erinnern. Die Geschichte des Todesmarsches sei für die Befragten „immer wie eine Vorgeschichte zur eigenen Fluchtgeschichte, sie ist wie ein Rahmen für die Ereignisse: ‚ganz kurz bevor wir auf die Flucht gingen', was das zentrale, große Thema, ist. Aber es sind eben schon andere vorangegangen“, berichtet die Therapeutin für Kriegserfahrungstraumata. Man müsse sich vorstellen, dass die folgenden Fluchtwochen für die Schönwälder ein nomadisches Leben bedeutete, „es war eine existenziell schwierige Situation. Sie fanden in verschiedenen Regionen eine Heimat. Hinzu kam die Sorge um verloren gegangene Angehörige, manche waren in Lagern. Die Kinder haben über das Erlebte mit niemandem sprechen können“, sagt sie, später habe sich bei den Zeitzeugen eine Spirale aus Schutz, Scham und Verdrängen gedreht.

Auch Stielers Mutter wollte über den Todesmarsch nichts gewusst haben, an den sich nur wenige andere erinnerten oder diesen nicht verdrängten. „Wir können die Lage dieses Marsches nachzeichnen und man kann sehen, das der Marsch quer durchs Dorf ging. Wir können es den Häusern und den Orten zuordne, und wir wissen über die Verhältnisse der damaligen Zeit. Der Winter, der Schnee und die Kälte spielen in den Schilderungen eine große Rolle. Das ist ein Punkt, wo wir viel Empathie bei den Zeitzeugen erlebt haben, dass die Gefangenen sehr dünn bekleidet waren.“

Stieler und Kruszyński sehen in der Aufarbeitung des vor 80 Jahren stattgefundenen Todesmarsches die Chance, dass sich die einstigen und heutigen Schönwälder durch ein gemeinsames Trauern näherkommen. „Es gibt auch eine Koinzidenz. In Schönwald heirateten 1938 die Gillners, die nach der Flucht ins mecklenburgische Malchow kamen. In Malchow gab es ein Außenlager von Ravensbrück und in diesem Malchower Lager war Frau Kropernicka Insassin. Sie und ihr Ehemann kamen 1945 in das Haus der Gillners nach Schönwald“, berichtet Kruszyński. Solche Anknüpfungspunkte ermutigen Stieler und Kruszyński weiterzuforschen, denn noch konnten sie nicht genau herausfinden, wo die vielen Leichen des Todesmarsches beerdigt wurden. Doch erst einmal planen sie eine Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des Todesmarsches in Schönwald. Die Hauptgedenkfeier unter der Schirmherrschaft der Bürgermeisterin von Gleiwitz, Katarzyna Kuczyńska-Budka, ist für den 19. Januar anberaumt.


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Kommentare

sitra achra am 23.12.24, 17:17 Uhr

@MA-E Maienburg
Wenn sie die Tendenz dieser Veranstaltung fehlinterpretieren, ist dies ihrer historischen Ignoranz zuzuschreiben. Der Subkontext ist doch wohl kaum zu leugnen. Ihre Verheißung einer bequemen, oberflächlichlichen "Gedenkkultur", die den Nachfahren der Vertriebenen aufgehalst werden soll, hat nichts, aber auch gar nichts mit einer Versöhnung stiftenden Annäherung zu tun. Dieser billige Narrativ ist eine Verhöhnung der deutschen Opfer, deren Tod Ursache rassistischer slawischer Hetze war, deren Folgen zumeist die Zivilbevölkerung trafen. Ich selbst habe mehrmals vor den Orten gestanden, an denen sie verscharrt wurden.
Menschen, die dies ignorieren, besonders Westdeutsche, halte ich nicht für klug.

Ma_E Maienburg am 20.12.24, 21:07 Uhr

Haben sie einen anderen Text gelesen? Wo stand da was von Schuld? Es ist doch wunderbar, dass heutige polnische Bewohner und Nachfahren früherer deutscher Bewohner nach 80 Jahren eine gemeinsame Gedenkkultur etablieren. Über Geschichte von zwei Seiten in den Dialog zu kommen, sollte Vorbildwirkung für viele ehemals deutsche Orte haben.
Ich sehe die Verdrängung eher bei Ihnen, wenn sie sofort reflexhaft Taten von Polen und Tschechen dagegen aufwiegen. Es scheint inzwischen viel mehr kluge Menschen zu geben, die Beides nebeneinander stehen lassen und Ursache und Wirkung voneinander trennen können. Zum Glück!

sitra achra am 17.12.24, 16:37 Uhr

So wie ich das sehe, hatten die Schönwalder überhaupt keine Schuld an den Vorgängen in der Todesfabrik in Auschwitz. Deswegen ist es widersinnig, hier in eine Schuld-, Scham- Trauerattitüde zu verfallen. Von Verdrängung kann keine Rede sein. Natürlich ist der Anblick von heruntergekommenen, dürftig gekleideten Spukgestalten gerade für Kinder traumatisierend, aber ein ähnlicher Anblick bot sich bei der Bestrafung von deutschen Kriegsgefangenen in der SU oder in den Rheinlagern. Machen wir uns doch nichts vor! Die "Befreier", u.a. auch die Polen (Lager Lamsdorf) und die Tschechen waren auch nicht besser. Und dass die Polen sich nicht dafür schämen, unser Land zu okkupieren, wundert mich nun gar nicht mehr. Es ist ja so billig, alle Schuld auf uns Deutsche abzuwälzen, damit die eigenen Verbrechen nicht zutage kommen. Do stu piorunów!

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