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Was von der vor 40 Jahren von der eigenen Leibwache getöteten Regierungschefin und Parteivorsitzenden geblieben ist
Am Vormittag des 31. Oktober 1984 peitschten 33 Schüsse durch den Garten der Residenz der indischen Premierministerin Indira Gandhi in der Safdarjung Road von Neu-Delhi. 30 der abgefeuerten Kugeln trafen die Regierungschefin, die kurz nach dem Attentat für tot erklärt wurde. Die beiden Schützen, Constable Satwant Singh und Sub-Inspector Beant Singh, gehörten zu ihren Leibwächtern und waren Angehörige der Religionsgemeinschaft der Sikhs. Daraus ergab sich auch ihr Tatmotiv. Sie wollten Vergeltung für den Angriff der indischen Armee auf das höchste Sikh-Heiligtum Harmandir Sahib in Amritsar üben, bei dem im Juni 1984 fünftausend Sikh-Separatisten und unbeteiligte Zivilisten ums Leben gekommen waren. Den Befehl zum Losschlagen hatte Gandhi höchstpersönlich erteilt.
Mit der Ermordung der Premierministerin endete ein Lebensweg voller Höhen und Tiefen. Etliche politische Entscheidungen der Tochter des indischen Nationalhelden Jawaharlal Nehru, die 1942 Feroze Jehangir Gandhi heiratete, wirken sich bis heute aus. So sorgte sie sofort nach Beginn ihrer ersten Amtszeit von 1966 bis 1977 für eine Forcierung des nationalen Kernwaffenprogramms. Daraus resultierte die Zündung der ersten indischen Atombombe noch während ihrer Amtszeit im Jahr 1974. Damit wurde ihr Staat zur sechsten Atommacht. Heute verfügt das Commonwealth-Mitglied über 172 einsatzfähige Sprengköpfe, die es seit Kurzem auch mit U-Boot-gestützten ballistischen Raketen verschießen kann.
Prägend für Außen- wie Innenpolitik
Darüber hinaus ist Gandhi für die Verschlechterung der Beziehungen zur Volksrepublik China verantwortlich. So drängte sie 1959 als Präsidentin der Kongresspartei ihren damals Indien als Ministerpräsident regierenden Vater dazu, dem Dalai Lama und rund 100.000 weiteren tibetischen Flüchtlingen Asyl zu gewähren, nachdem die Truppen Pekings das „Dach der Welt“ annektiert hatten und der Tibetaufstand ausgebrochen war. Aufgrund der ständigen bilateralen Spannungen kam es 1962, 1967 und 1987 zu militärischen Konflikten zwischen Indien und China. Noch heute finden ständig Grenzscharmützel im Himalaya statt, bei denen sich die Soldaten beider Seiten prügeln oder beschießen.
Außerdem griff Indien unter der Führung von Indira Gandhi 1971 in den Bangladesch-Krieg ein und verhalf damit den ostpakistanischen Separatisten zum Sieg über die westpakistanische Zentrale. Die Folge war, dass Ostpakistan als Bangladesch unabhängig wurde. Desgleichen intervenierte Indien im benachbarten Königreich Sikkim, das daraufhin 1975 ein Bundesstaat der Indischen Union wurde.
Indira Gandhi prägte auch den innenpolitischen Stil ihres Landes auf ebenso nachhaltige wie negative Weise. So zeichnete sie nicht nur für das Massaker von Amritsar verantwortlich, das letztlich zu ihrem Tode führte, sondern auch für einen von 1975 bis 1977 währenden Ausnahmezustand. Mit dessen Ausrufung reagierte sie auf soziale Unruhen. Während des Ausnahmezustandes waren wichtige Grundrechte eingeschränkt oder gar aufgehoben und 100.000 angebliche Oppositionelle kamen ohne Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis. Gandhi ließ alle Wahlen aussetzen und regierte das Land per Dekret am Parlament vorbei.
Dieses autoritäre Vorgehen unter Missachtung demokratischer Normen war die Folge ihrer Angst vor Chaos und Kontrollverlust, die nicht selten ans Paranoide grenzte, in Kombination mit mangelndem Vertrauen in die sonstigen politischen Institutionen Indiens. Dazu kam ein ausgeprägtes Machtbewusstsein, das vielfach auch zur Schwächung der föderalen Strukturen und der Unabhängigkeit der Justiz ihres Landes führte.
Sichtbarster Ausdruck dessen war das Durchpeitschen des 42. Zusatzartikels zur indischen Verfassung mit 59 Klauseln, welche die Befugnisse des Premierministers beziehungsweise der Zentralregierung erweiterten und die Rechte des Obersten Gerichts beschnitten. Wesentliche Teile dieser Verfassungsänderung von 1977 sind noch heute in Kraft.
Vergleich mit Narendra Modi
Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass der seit 2014 regierende derzeitige indische Premierminister Narendra Modi das gleiche autokratische Gebaren an den Tag legen kann wie Gandhi. Modi, der sich ansonsten als liberaler Modernisierer gibt, verhängte ebenfalls schon diverse Notstandsmaßnahmen aus innenpolitischen Gründen. Dazu gehörten die Blockierung von Internet- beziehungsweise Mobilfunkverbindungen, Ausgangssperren und Versammlungsverbote.
Und wie 1984 destabilisieren auch heute ethnisch-religiösen Konflikte das Land. Damals opponierten die Sikhs im Bundesstaat Punjab gegen die Zentralmacht wie die Dominanz der Hindu-Mehrheit und strebten nach der Bildung eines unabhängigen Staates namens Khalistan. Infolge der Pogrome an den Sikhs nach der Ermordung Gandhis, die bis zu 16.000 von ihnen das Leben kosteten und Hunderttausende zur Emigration veranlassten, gaben sie den Widerstand aber weitgehend auf. Dafür tobt inzwischen in Indien ein Konflikt zwischen der Hindu-Mehrheit und der muslimischen Minderheit, die mehr als 15 Prozent der Bevölkerung ausmacht.
Modi geht hier mit fast ebenso harter Hand vor wie Gandhi einst gegen die Sikhs. Er erschwert nicht nur die Einbürgerung von nach Indien emigrierten Muslimen aus Pakistan, Afghanistan und Bangladesch, sondern lässt den Sicherheitskräften auch freie Hand, wenn sie an gewaltsamen Aktionen radikaler Hindus gegen die muslimische Bevölkerung teilnehmen. Letzteres unterscheidet sich nur noch wenig von Gandhis Vorgehen im Falle Amritsar. In dieser Hinsicht ist das Erbe der vor 40 Jahren erschossenen Premierministerin also gleichfalls weiter lebendig. Die Gandhi-Dynastie spielt indes nur noch eine sehr marginale Rolle in der indischen Politik, seit Indira Gandhis Sohn Rajiv, der ihr bis 1989 als Regierungschef folgte, 1991 ebenfalls Opfer eines tödlichen Attentats wurde.