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Wenn die Kunstwelt alle zwei Jahre nach Venedig pilgert – Impressionen von der 60. Biennale in der Lagunenstadt
Wenn schwarz gekleidete Kunstliebhaber die Taxiboote entern, ein Mann im Schottenrock neben einer jungen Frau mit gepierctem Nasenflügel und grüner Haartolle dem Wellengang der Lagune trotzt, kurz, wenn ein Hauch von Exzentrik die Serenissima durchweht, dann ist wieder Biennale in Venedig.
Hauptziel der Pilgerströme sind die „Giardini“ mit ihren 28 Länderpavillons, die luftig über das Gartenreich verteilt sind, eine Spielwiese für die Künstler der Saison, die unter dem Motto „Foreigners everywhere, Fremde überall“ alles durchdeklinieren, was aktuell zum Zeitgeist passt – Geißelung des Kolonialismus, Untersuchung von Herkunft, Migration und Identität. Von den 332 Teilnehmern des noch bis 24. November laufenden Kunstfestivals gehören viele der queeren Gemeinschaft an. Und das indigene Amazonas-Volk der Huni Kuin durfte den zentralen Pavillon der Messe in bunten Mustern und Farben gestalteten.
Erster Stopp ist am deutschen Pavillon, jenem 1909 als „Padiglione Bavarese“ errichteten und 1938 umgebauten Tempel mit dem Schriftzug „Germania“ über dem trutzigen Säulen-Portal. Es ist ein Wunder, dass er überhaupt noch steht, so rabiat wurde der Bau in den letzten Jahrzehnten von Künstlern traktiert. Hans Haacke riss 1993 den Travertinbelag auf und schuf ein Eismeer aus Scherben; Anne Imhof legte 2017 Glas über den kontaminierten Boden und schickte Wachhunde als Angstmacher ins Areal; Maria Eichhorn legte 2022 Nahtstellen frei und grub ein Loch in die Mitte.
In diesem Jahr ist der Haupteingang mit Tonnen von Erde blockiert, überwiegend anatolischer Erde. Wer durch den Seiteneingang ins Innere geht, erlebt einen Turm, dessen Wendeltreppe in eine rekonstruierte Arbeiterwohnung führt, die der Künstler Ersan Mondtag seinem türkischen Großvater Hasan gewidmet hat – einem von vielen Gastarbeitern, die Mitte der 60er Jahre im Berliner Asbestwerk „Eternit“ arbeiteten und an den Folgen von krebserregendem Asbest starben.
Alles ist von einer dicken Staubschicht bedeckt, als solle der Besucher gleich mit ersticken. Als Bodenbelag wählte Mondtag Parkett aus einem aufgegebenen Kulturhaus in Brandenburg, auch dies modrig riechend. Es soll eine Verschränkung der westdeutschen mit der mitteldeutschen Arbeiterklasse assoziieren. Viele Besucher geben sich betroffen, andere zucken die Schultern, denn Mondtags Großvater war kein tragischer Einzelfall – deutsche Arbeiter erlitten ein ähnliches Schicksal wie er. Die Verarbeitung von Asbest wurde erst Anfang der 90er Jahre verboten.
Wärterinnen filzen die Besucher
Als Gegenposition läuft ein Film der israelischen Künstlerin Yael Bartana, in dem Menschen in Tiermasken okkulte Tänze aufführen, die an Leni Riefenstahls Körperbild erinnern sollen. In einem Nebenraum können sich die Besucher auf Matratzen legen und an die Decke starren, auf der Szenen aus einer Art Weltraum flimmern. Motto: Nichts wie weg von unserer verseuchten Erde! Dass der von NS-Ästhetik geprägte Pavillon im Sinne der Kunst kurz und klein gehauen wird, ist wohl nur eine Frage der Zeit.
Weiter zieht die Prozession der Kunstinteressierten. Einige Meter entfernt steht der israelische Pavillon, der aus politischen Gründen gar nicht erst eröffnet wurde. In Sichtweite stehen schwerbewaffnete Polizisten. In den australischen Pavillon werden Besucher nur in überschaubaren Grüppchen hineingelassen und von einem jungen Mann streng ermahnt, den Ureinwohnern Respekt zu zollen. An den Wänden finden sich unzählige gestrichelte Namen: ein Stammbaum der Aborigines, der Tausende von Jahren zurückreichen soll. Der indigene Künstler Archie Moore wurde für sein Werk mit dem „Goldenen Löwen“ ausgezeichnet.
Im koreanischen Pavillon hängt ein schwarzer Gnom von der Decke, der aus seiner Mundöffnung alle paar Sekunden duftenden Nebel speit. Die koreanische Künstlerin hatte ihre Landsleute darum gebeten, Gerüche zu beschreiben, die an die Heimat erinnern. Aus den Einsendungen mischte sie diesen dschungelartigen Geruch, eine Melange aus holzig, süßlich und bitter. Was ist real, was Inszenierung?
Die Frage stellt sich spätestens auf der Giudecca, jener Insel der Lagunenstadt, auf der tatsächlich noch echte Fischer ihre Netze flicken und echte Handwerker in ihren Werkstätten hölzerne Gondeln bauen. Ein riesiges Abbild zweier Füße des Künstlers Mauricio Cattelan weist den Weg zum Frauengefängnis, dem künstlerischen Schauplatz des Vatikans. Zwei Wärterinnen in lachhafter Operettenuniform filzen die Wartenden wie ehemals am Grenzübergang zur DDR. Was, der Mädchenname steht nicht auf der Akkreditierung? Nicht zugelassen! Wie, die Akkreditierung wurde nicht im Internet ausgestellt? Durchgang verboten!
Gehört die pedantische Kontrolle womöglich mit zur Inszenierung? Jedenfalls bleibt es den abgewiesenen Besuchern erspart, in die Rolle von Voyeuren gedrängt zu werden, die neben der Kunst auch die Inhaftierten beobachten.
Zeitlos faszinierend in diesem Irrgarten aus Ethno-Arbeiten, Installationen und Endzeitstimmung bleibt ohnehin der Blick in die Paläste und Kirchen, wie in San Zaccaria, in der die lieblichste Madonna von Giovanni Bellini lächelt. Ein Glanzlicht ist auch das abendliche treppauf, treppab vorbei an gluckernden Kanälen und bröckelnden Fassaden, bis der Besucher in einer Bar mit üppig belegten Tramezzini, den belegten Weißbrotscheiben, landet, um am späteren Abend in einem Restaurant zu stranden, wo der Padrone eine Creme Brûlée zaubert, die alle tagsüber gesehene Düsternis dahinschmelzen lässt. Kochen ist eben auch eine Art von Kunst. Und gut verdaulich noch dazu.